Live-Konzerte in Zeit von Social Distancing, ein leidiges Thema. Die Unterhaltungsbranche liegt seit Monaten brach, Konzerte, die zu Anfang der Corona-Krise in den Herbst verschoben wurden, werden inzwischen bis weit in die zweite Jahreshälfte von 2021 verlegt. Nichts widerspricht den während der Pandemie geltenden Abstandsregeln leider mehr als ein Konzertbesuch mit tausenden von Menschen, dicht an dicht gedrängt, gemeinsam schwitzend, tanzend und singend.
Für den begeisterten Konzertgänger mag die derzeitige Situation eine persönliche Qual sein, für die Eventbranche ist sie eine existentielle Bedrohung. Um für und gegen beides ein Zeichen zu setzen, gibt es immer wieder Alternativkonzepte, die das gemeinsame Erleben von Livemusik ermöglichen sollen. Den ersten Schritt wagte man mit Autokino-Konzerten, sehr effektiv, was Social Distancing betrifft, aber doch eher unbefriedigend in Hinblick auf das Gemeinschaftsgefühl, das Livemusik eigentlich mit sich bringt. Der Berliner Veranstalter Landstreicher Konzerte hat nun mit einer Reihe von Picknick Konzerten den nächsten Versuch gewagt, im Rahmen der derzeitigen Bestimmungen Konzerte zu veranstalten. Damit ist ihnen ein überzeugendes und entspanntes Erlebnis geglückt.
Um es gleich vorweg zu sagen: wer wie wir regelmäßig mit großer Leidenschaft Konzerte besucht, für den wird sich alles im Moment wie ein halbgarer Kompromiss anfühlen. Aber man muss einfach mit großem Respekt würdigen, dass die Picknick Konzerte mit einem denkbar einfachen Konzept das Ultimative aus der Situation herausholen. Auf der Wiese des Marienparks in Berlin sind mit Fußballkreide in exakt abgemessenen Abständen Vierecke aufgezeichnet, in denen die Besucher ihre Picknickdecken ablegen können. Pro Decke ist eine Gruppe von maximal vier Personen erlaubt, der eigene Bereich darf nur zum Besuch der Toiletten oder des Merch-Standes verlassen werden, dabei muss immer Maske getragen werden. Essen und Getränke gibt es aufgrund der Hygienebestimmungen nicht zu erwerben, dafür darf ein eigenes Picknick mitgebracht werden. Auf der eigenen Decke darf in Berlin (anders als bei den Picknick-Konzerten in Leipzig und Dresden) aufgestanden und auch getanzt werden.
Da an dem Abend, an dem wir uns eines der Picknick Konzerte ansehen dürfen, die Hamburger Techno Marching Band Meute auf der Bühne seht, wurde von diesem Recht auch ausgiebig Gebrauch gemacht. Spätestens beim dritten Song schafft es kaum einer mehr, gemütlich auf seiner Decke herum zu lümmeln, trotz der drückenden Hitze wird rasch aufgesprungen und im Takt der Bläser und Trommeln gezappelt. Dabei geht es ausgelassen, aber stets gesittet zu. Der Eindruck, der an diesem Abend entsteht ist übergeordnet der, dass es ein großes Bedürfnis nach Bewegung und Zerstreuung gibt, der Respekt für die derzeitige Situation dabei aber nicht verloren geht.
Man hat schon fast vergessen wie schön es sein kann, wenn hunderte von Menschen gemeinsam tanzen und Spaß haben. Neben dem eigenen Bedürfnis mitzutanzen nimmt auch immer wieder das Gefühl von uns Besitz, sich das Ganze einfach nur versonnen ansehen zu wollen. Es ist wie ein Blick von außen in eine fremde Welt, die uns in ihrer vollen Schönheit leider noch eine Weile verschlossen bleiben wird. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass diese Art von Konzerten ein reines Geschenk an uns Zuschauer sind: finanziell rechnet sich das auf die Dauer weder für Veranstalter noch für Künstler. Und im Moment haben wir noch Sommer und können unsere Picknick-Decke unter freiem Himmel aufschlagen, wo wir uns um Aerosole und co nicht ganz so viele Gedanken machen müssen.
Wer also mit dem Gedanken spielt, eines der noch wenigen verbleibenden Picknick-Konzerte zu besuchen, der sollte es auf jeden Fall tun. Es ist ein kleiner Lichtblick, ein bisschen wie ein Aufatmen und Kraft schöpfen vor dem kommenden Herbst und Winter, der in Hinblick auf Livemusik sehr wahrscheinlich eine trostlose Veranstaltung werden wird. Und ja, das ist, bei allem Respekt vor der Pandemie, ein großer Verlust. Entsprechend dankbar sind wir für diese Art von Lichtblicken und für die Menschen, die das Engagement und den Idealismus aufbringen, sie für uns zu realisieren.
Fotos © Katja Metz