Maximilian Hecker im Interview

Es ist kurz vor Weihnachten und bitterkalt. Genau die richtige Stimmung für den Berliner Singer-Songwriter Maximilian Hecker. Dieser bittet im Anbruch der letzten Dezember-Hälfte im hauptstädtischen ibis Styles Hotel zum Empfang. Um von seinen Erlebnissen im dänischen Kastrup und von Henningsdorf bei Berlin zu berichten. Orte, die ihn für sein achtes Album „Spellbound Scenes Of My Cure“ als große Inspirationsquellen dienten. Orte, über die es im Folgenden galt mehr herauszufinden – ebenso wie über die zwiespältige Gefühlswelt des Musikers.

Zu den Songs deines neuen Albums wurde eine Track-by-Track-Beschreibung beigelegt. Hast du Sorge um das Unverständnis anderer?

Eigentlich nicht. Nachdem ich Label-Eigentümer war und die letzten beiden Platten selbst veröffentlicht habe, gab es niemanden, der diese Aufgabe für mich übernehmen konnte. Also schrieb ich diese typischen Infotexte, sprach über mich als wäre ich nicht auch der Sänger. Das war unangenehm, als würde man eine Lüge erzählen. Deshalb wollte ich dieses Mal in der ersten Person schreiben und einfach erklären wie es war. Denn wenn ich wirklich sage, was ich denke und fühle, dann ist mir leicht ums Herz. Auch wenn ich mir damit viel verbaue, die Leute provoziere oder sogar verschrecke. Das Schwierigste ist es doch, eine Rolle aufrecht zu erhalten.

Was hat dich an diesen Flughafen-Ort Kastrup geführt?

Das war ein Zufall. Ein Experiment. Ich assoziiere mit diesem Ort ein Gefühl der Befreiung. Ich war schon immer eher der Skandinavien-Typ. Das liegt meiner Seele, im Gegensatz zur Sonne. Ich schätze die Dunkelheit und Einsamkeit. „So finster die Nacht“ – dieser Film entspricht der dortigen Stimmung. So todesnah ein solcher Ort ist, so lebendig fühle ich mich dort. Vielleicht ist es auch eine Koketterie mit Reisezielen, von denen ich weiß, das sie kein anderer als Urlaubsort auswählen würde. Dieser pubertäre Spaß dabei anders zu sein, weil das auch immer ermöglicht allein zu sein. Und wenn das Zusammensein als so unangenehm erlebt wird, ist das Alleinsein erst einmal eine Erleichterung. Eine dauerhafte Lösung stellt das jedoch nicht dar. Ich bin ja absurderweise eigentlich ziemlich sozial, kann mich gut in Gruppen einfügen. Trotzdem bin ich häufiger allein. In Kastrup war ich erst zwei Mal, immer nur für mich. Einmal als Flucht und ein Jahr später aus nostalgischen Gründen. Jetzt fliege ich wieder dort hin. Am liebsten von nun an jedes Jahr, um so den Moment der Erkenntnis und die Schönheit der Isolation zu huldigen. Und danach geht es nach Malmö.

Und Silvester dann wieder Henningsdorf? 

Ja, im Industriegebiet. Ich habe bereits vor Wochen das ibis-Hotel gebucht. Man zahlt nur dreißig Euro und in den Zimmern sieht es aus wie in einer modernen Gefängniszelle – sehr funktional. Das ist mir wichtig, wenn ich dort schon Silvester feiere und mich verweigern möchte. Nicht so wie im Zentrum von Berlin, wo ich vielleicht noch durch das Feiern auf der Straße verführt werden könnte. Neben Kastrup wird Henningsdorf hoffentlich mein zweiter Höhepunkt des Jahres.

Wie gern planst du deine Zukunft? 

Die musikalische gar nicht, obwohl das eigentlich nicht zu mir passt, weil ich so kontrollsüchtig bin. Ich plane sonst alles, weil ich glaube in der Zukunft sehr schwach zu sein. Da braucht der arme, kleine Maxi alles gut geplant – mit gestelltem Wecker und Stadtplan und so. Die Musik ist das Einzige, was ich davon ausklammern kann. Das blinde Vertrauen in mein Talent ist das Einzige, was ich habe. Wenn ich da auch noch den Stock-im-Arsch-Typen raushängen lasse, kann ich es gleich sein lassen. Dann habe ich verloren.

Wie entsteht Selbsthass im Angesicht anderer, wie du es in einer deiner Songbeschreibungen genannt hast?

Das ist wahrscheinlich irgendetwas Frühkindliches, Traumatisches. Ich habe es zum Beispiel als ziemlich traumatisch empfunden im Gegensatz zu meinen Klassenkameraden nicht einmal ansatzweise in das Terrain Freundin-haben gelangen zu können. In der Zeit, in der man in der Gruppe sein Selbstbewusstsein findet, ist das eine dramatische Situation. Erst Jahre später habe ich herausgefunden, dass ich einfach nicht reif genug war. Früher redete ich mir aber ein, ich sei hässlich und langweilig – ein Trugschluss, den viele junge Leute haben. Das Gefühl nicht zu genügen und nicht attraktiv zu sein, deckt sich auch nicht mit den Erfahrungen, die ich gemacht habe. Dieses Damoklesschwert ist aber nicht da, wenn ich allein bin und mich keiner sehen kann. In dem Moment, in dem ich mich komplett isoliert fühle, entdecke ich die Selbstliebe. Wenn ich mich dann filme, mir das Filmmaterial angucke und denke, dass ich scheiße aussehe, empfinde ich dabei keine Scham. Weil ich in diesem Augenblick ganz bei mir bin. Dann kann ich zu mir stehen.

Ein Grund weshalb du dich selbst auf dem Albumcover verewigt hast?

Zunächst einmal wollte ich unbedingt Kastrup festhalten, weil ich mich dort so wohl fühlte. Danach war es eher ein Gag noch einmal hinzufahren und das Gleiche zu filmen. Ich habe gemerkt, dass ich damit dem Reiseschmerz etwas entgegen setzen kann. So nutze ich auf künstlerische Weise die Zeit. Wobei ich keine künstlerischen Ambitionen verfolge. Ich habe lediglich den Anspruch entwickelt damit nicht nur mich zu unterhalten, sondern auch andere. Am Ende hatte ich so viel Bildmaterial, dass das visuelle Konzept der Platte dadurch bestimmt wurde. Die Orte und Bilder ergaben zusammen einen Sinn. Die Aufnahmen dazu waren dagegen viel beschwerlicher. Sie haben sich über vier Monate hingezogen. Im Vergleich: die Aufnahmen zum Vorgänger-Album dauerten nur zwei Wochen. Dieses Mal war es sehr belastend für mich. Achtzig Prozent der Gesangseinlagen nahm ich in meinem Schlafzimmer auf und durch diesen losen Rahmen zog sich die Arbeit immer mehr hin… Das Aufnehmen von Songs ist der letzte Scheiß und ich hasse es. Die Momente, die es auf das Album schaffen, sind jedoch die, in denen ich es weniger hasse und inspiriert bin. Nur überwiegen letztlich die Frustrationserlebnisse. Aber daran sind ja Adam, Eva und der Apfel Schuld.

Könntest du dir vorstellen ein zweites Buch zu schreiben?

Ich habe bereits etwas in die Richtung geschrieben… Aber wenn es keiner kauft, dann befasse ich mich auch nicht weiter damit. Es war schön wenigstens ein Mal die Möglichkeit zu haben ein Buch zu veröffentlichen. Die Leute, die es gelesen und mir davon berichtet haben, waren fast ausnahmslos begeistert. Selbst mein ehemaliger Deutschlehrer bestätigte mir, dass es mehr Potential hat als nur Roadtrip oder Popkulturroman zu sein. Er versuchte es sogar als Schullektüre beim Kultusministerium vorzuschlagen. Ich habe also meine Anerkennung bekommen.

„Spellbound Scenes Of My Cure“ wird am 16. Januar 2015 veröffentlicht.

Interview und Foto: Hella Wittenberg