Als ich Mavi Phoenix vor seinem Konzert als Supportact für Milky Chance im Berliner Tempodrom treffe, ist er gerade dabei, sich die Ansätze blondieren zu lassen. Zwanzig Minuten muss der Aufheller einwirken, also stellen wir uns einen Timer für unser Gespräch, damit die Haare nicht abbrechen. Hätten wir das nicht getan, hätten wir uns wahrscheinlich noch sehr viel länger unterhalten. Denn Mavi hat, auch auf seinem neuen Album „Boys Toys“, das diesen Freitag erscheint, eine spannende Geschichte zu erzählen. Über die eigene Identität, den Mut zu ihr zu stehen, darüber, inwieweit Geschlecht ein gesellschaftliches Konstrukt ist und wie man es trotzdem braucht, um sich als Menschkomplett zu fühlen. Gleich zu Anfang gesteht er mir, dass er eigentlich eher schüchtern ist. Dafür ist Mavi Phoenix und seine Musik ein ganz schön starkes, mutiges Statement.
Du sagst, du bist eher schüchtern. Wie geht es dir damit auf der Bühne?
Auf der Bühne ist alles cool. Das Live Spielen, die Show an sich ist immer super. Da schöpfe ich meine Kraft raus und kann mutiger sein als sonst. Alles drum herum bei einer Tour fällt mir manchmal schwer. Abends auf der Bühne zu sein, das ist das Highlight von meinem Tag. Das Adrenalin… keine Ahnung. Da spürt man überhaupt nichts von der Anstrengung. Das Interessante und Schwierige bei einer Support-Show ist, sich nicht verunsichern zu lassen. Einfach dadurch, dass viele Leute dich nicht kennen und wegen dem Main-Act da sind. Die Leute freuen sich zum Teil auch, wenn du wieder gehst (lacht). Da muss man sich selber immer wieder bewusst machen, dass es auch cool für die ist, wenn die mich sehen dürfen. So muss man denken, damit man auf der Bühne auch selbstsicher ist.
Dein Album ist ja ein sehr starkes Statement geworden. Sowohl musikalisch als auch was deine eigene Identität angeht. Darf ich dich so direkt fragen – wie bist du geboren, und wie fühlst du dich heute?
Ich bin biologisch als Frau geboren. Aber ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich in Wirklichkeit keine Frau bin. Es ist schwierig zu verstehen und ich verstehe auch wenn Leute das nicht nachvollziehen können, aber für mich war es schon immer so, dass das nicht stimmt, dass ich für mich weiß, dass das Bullshit ist. Dass ich eigentlich ein Typ bin und ein männliches Gehirn habe. Besser kann ich es nicht beschreiben. Es ist ja auch die Frage: was ist männlich, was ist weiblich? Aber das weiß man einfach selber. Ich habe es schon immer gewusst aber nie etwas gesagt. Vor zwei Jahren habe ich privat die ersten Schritte gemacht. Dass ich mit meiner Freundin zu dem damaligen Zeitpunkt gesprochen habe und mit Freunden. Ich fühle mich so, was soll ich jetzt machen? Was ist der nächste Schritt? Ich musste es einfach los werden, dass ich als Mann leben will und voll gerne wie ein Mann aussehen will. Jedes mal wenn ich mich im Spiegel sehe denke ich krass, dass ich so aussehe.
Ich finde es furchtbar, dass so etwas überhaupt diskutiert wird. Nur weil ich mich jetzt nicht so fühle, muss ich mich davon doch nicht angegriffen fühlen, geschweige denn anderen absprechen, dass sie sich so fühlen.
Ich glaube, die Leute sind verunsichert über ihre Weltansicht, wenn etwas kommt, das sie sich nicht erklären können. Ich habe schon zu hören bekommen, dass es gar nicht bewiesen ist, dass es transidente Personen überhaupt gibt. Ich sage dann immer: na ja, es ist ja auch nicht bewiesen, dass du einen Mensch liebst. Das fühlst du, das kann man nicht messen. So fühle ich mich, dafür muss ich mich nicht rechtfertigen.
Ich kenne zwei Kinder im Grundschulalter, die bereits völlig selbstverständlich mit einer neuen geschlechtlichen Identität leben.
Das ist so schön. Wenn ich als Kind das Gefühl gehabt hätte, dass ich meine Gedanken und meine Bedenken äußern könnte… das ist aber auch eine Typfrage. Ich bin jetzt nicht in einem krass konservativen Familiending aufgewachsen. Meine Eltern sind ziemlich jung, meine Mama ist erst 42. Ich bin ein Mensch und war ein Kind, das alles für sich behält. Ich finde es so schön wenn Kinder es sagen. Man sollte unbedingt darauf hören, ich hab es als Kind auch schon gewusst. Du weißt es, sobald du auf der Welt bist. Ich konnte es nicht benennen, weil ich ja gar nicht wusste was das ist, Trans. Das weiß ich erst seit ein paar Jahren so richtig, seitdem ich mich ein bisschen eingelesen habe. Aber dann wusste ich sofort: das beschreibt mich zu hundert Prozent. Deswegen ist es so wichtig, dass man darüber redet. Damit die Leute eine Diagnose zu ihren Gefühlen haben. Damit man ihnen helfen kann, damit man sich nicht immer so scheiße fühlt. Es gehört in unserer Gesellschaft viel mehr Verständnis dazu. Auch das Verstehen der eigenen Privilegien. Auch wenn es für Leute oft unangenehm ist sich das einzugestehen, dass man es in einem gewissen Punkt vielleicht besser hat als jemand anderes.
Auf deinem Album setzt du dich auch viel mit Geschlechterrollen, -klischees und -zuordnungen auseinander. Was denkst du, wieviel von Geschlecht ist letztendlich auch Konstrukt?
Sehr viel. Das ist so krass. Geschlecht – gibt es das überhaupt? Für mich gibt es das schon, sonst würde ich mich nicht so fühlen. Und für mich ist auch viel der körperliche Aspekt dabei. In meiner Crew sagt jeder er zu mir, da bin ich der Bro (lacht). Ich merk dann aber auch, wie krass anders ich als Frau sozialisiert worden bin. Ich rede die ganze Zeit über meine Gefühle. Die anderen Jungs sind das nicht so gewohnt. Was ist überhaupt männlich? Ich mag den Aspekt an mir, dass ich weich bin. Das bin ich einfach als Mensch und möchte es auch nicht verlieren. Gleichzeitig bin ich im Zwiespalt, denke ich bin nicht männlich genug. Wenn ich ein Mann sein will, dann muss ich mich so und so verhalten. Das muss ich aus dem Kopf raus kriegen, da drüber stehen. Beim Album war das auf jeden Fall voll das Thema, weil es mich auch so krass beschäftigt hat. Wenn ich jetzt ein Mann bin, bin ich dann ein Mann? Was heißt überhaupt ein Mann sein?
Auf dem Album gibt es ja auch noch einen Song den du geschrieben hat, als du gedanklich noch nicht so weit warst.
„Post Summer“, genau. Der hat schon länger herum gelegen. Ist aber auch der einzige, sonst sind alle relativ neu. Den habe ich irgendwann alleine aufgenommen. Da kam aber auch schon diese Melancholie raus, diese tiefe Traurigkeit. Das klingt so… ich versuche positiv zu sein, aber es ist dieses komische Gefühl, dass man gelebt hat ohne so richtig zu leben, dass man irgendwie das falsche Leben gelebt hat und viel verpasst hat. Das kam da schon raus, bevor ich so richtig verstanden habe, was es heißt.
Das ist ja auch fast dein ganzes Leben, das du so verbracht hast.
Voll. Jetzt freu ich mich einfach so. Wenn jemand zu mir sagen würde du kannst morgen als Mann aufwachen, mit einem männlichen Körper, das wär das Schönste. Aber es funktioniert halt nicht so. Ich versuche es positiv zu sehen, weil ich im Austausch mit Fans gesehen habe, dass es viele Leute empowert. Es ist wichtig, dass es jemanden gibt der drüber spricht, der die Sachen anspricht. Es gibt immer noch viele Leute, die Probleme haben darüber zu sprechen, denen es unangenehm ist.
Ich finde es ganz wunderbar, wie du das machst. Auf so eine sympathische Art und Weise und durch deine Musik, die didaktisch und gleichzeitig tanzbar und mitreißend ist.
Das freut mich sehr. Mein Hauptding war drüber zu sprechen. Aber es war ja auch schön herauszufinden, dass ich transgender bin. Ich habe mich glaube ich lange dagegen gewährt, weil dieses Stigma bei mir voll groß war. Ich dachte selber das sind Freaks, die lassen sich umoperieren und das Leben ist voll die Tragödie. Das wollte ich für mich nicht. Ich wollte mich schützen und habe mir vorgemacht das passt schon alles so. Aber als ich mich näher damit beschäftigt habe, mir auf YouTube und Instagram Trans-Personen angesehen habe und gesehen habe, dass die auch ein schönes Leben führen können, wie gut es denen teilweise geht, nachdem sie diese Schritte gegangen sind, das war das Einzige, was ich gebraucht habe. Weil ich ja gewusst habe, dass ich es bin. Aber für mich war es extrem wichtig jemanden zu sehen, der es mir positiv vorlebt.
Und wirst du den Weg gehen zu einem männlichen Körper?
Ich möchte, ich möchte auf jeden Fall. Ich habe ultra Angst. Und schon auch eine Hemmung davor. Aber im Grunde würde ich es lieben, alles was damit zusammen hängt. Tiefere Stimme, auszusehen wie ein Typ, das ist mein größter Traum. Klingt vielleicht irgendwie blöd. Aber dass man so aussehen möchte wie man sich fühlt, ist ja auch irgendwie voll normal.
Mavi Phoenix Live 2020:
24.-25.07.2020 Dortmund, Juicy Beats
16.-19.07.2020 Cuxhafen, Deichbrand Festival
30.07. – 01.08.2020 Diepholz, Appletree Garden Festival
03.11.2020 Stuttgart, Im Wizemann (Studio)
04.11.2020 Köln, Luxor
05.11.2020 Bremen, Lagerhaus
06.11.2020 Bielefeld, Movie
08.11.2020 Hannover, Faust
09.11.2020 Leipzig, Naumanns
01.12.2020 München, Ampere
09.12.2020 Berlin, Lido
10.12.2020 Hamburg, Uebel & Gefährlich
11.12.2020 Frankfurt, Zoom