Mattiel im Interview: „Vielleicht hätte ich nicht sagen sollen, dass ich von den Beatles beeinflusst bin“

Vor kurzem noch hat Mattiel Brown als Grafikdesignerin in einer Agentur gearbeitet. Bis Jack White im letzten Jahr sie und ihre Musik entdeckte und sie als Supportact mit auf seine Nordamerika-Tour nahm. Inzwischen hat Mattiel ihren Dayjob gekündigt, war ausgiebig auf Tour, hat letzte Woche ihre ersten Shows in Deutschland gespielt und genießt das Leben als Vollzeit-Musikerin. Was für eine Rolle in ihrer musikalischen Entwicklung nordamerikanischer Stepptanz, Patti Smith, die Beatles und ein Hautausschlag gespielt haben, hat Mattiel mir bei unserem Gespräch vor ihrem Konzert im Berliner Musik & Frieden verraten. 

Wie geht es dir?

Mir geht es sehr gut! Es ist ein bisschen verrückt, dass wir schon wieder auf Tour sind. Erst waren wir in den Staaten unterwegs, dann sechs Wochen in Europa, dann eine kurze Pause und jetzt sind wir schon wieder hier. Das letzte halbe Jahr war ich quasi nicht Zuhause. Das ist ein ganz anderer Lebensstil als das was ich bis jetzt gewöhnt war. Ich hatte fünf Jahre lang einen festen Job in einem Büro, wo ich sehr gerne gearbeitet habe. Das mag langweilig klingen, aber für die Zeit die ich es gemacht habe war es sehr gut. Dann ging das hier plötzlich richtig los.

Und wie fühlt es sich jetzt an? Kannst du dir vorstellen, dass es immer so weiter geht?

Es ist auf jeden Fall aufregend. Am wichtigsten für mich wird in nächster Zeit sein mehr Musik zu schreiben und neues Material zu erarbeiten. Ein visuelles und klangliches Konzept für mein nächstes Album zu finden. Darauf freue ich mich sehr. Es ist ein Kreislauf, du schreibst die Songs, du teilst sie mit der Welt und dann machst du dich wieder dran neue Songs zu schreiben. Ich kann mir das auf jeden Fall als einen dauerhaften Kreislauf vorstellen.

Bis jetzt warst du ja wirklich sehr produktiv. Deine beiden Alben sind relativ kurz hintereinander erschienen.

Davor hat es aber lange gedauert, bis die Leute es mitgekriegt haben. Es ist erst richtig los gegangen als Jack White auf mich aufmerksam gemacht hat. Davor haben wir drei Jahre daran gearbeitet gehört zu werden. In letzter Zeit ist es dann recht schnell gegangen.

Was ist für dich der beste Zustand, um Songs zu schreiben?

(überlegt) Ich muss auf jeden Fall alleine sein. Manchmal schickt Jonah mir eine Idee zu einem Song, ein Skelett quasi ohne Text, und ich nehme das und arbeite eine Weile alleine daran weiter. Wenn ich selber einen Song strukturiere, muss ich dafür auch alleine sein. Ich kann nicht in einem Raum zusammen mit anderen Leuten Musik schreiben, das würde mich zu sehr ablenken. Ich bin aber auch gerne an einem anderen Ort wenn ich schreibe. Zuhause ist es schwierig. Bevor wir mit der Tour angefangen haben war ich zwei Wochen in London. Sie hatten mich eingeladen für BBC Proms in der Royal Albert Hall zu spielen. Anstatt hin und her zu fliegen bin ich zwei Wochen dort geblieben, habe mir ein Keyboard geliehen und mich zum Schreiben in ein Apartment in London zurückgezogen. Ich für mich alleine, an einem fremden Ort. Das war perfekt.

Was waren deine allerersten Erfahrungen mit Musik, die dich geprägt haben?

Meine allerersten Erfahrungen… ich glaube ich war zehn, als ich angefangen habe mich für die Beatles zu interessieren. Danach kam alles andere. Mit 12 habe ich angefangen Gitarrenunterricht zu nehmen, aber ich bin nie richtig gut geworden. Deshalb spiele ich heute noch nicht Gitarre auf der Bühne. Ich denke, ich werde es noch einmal in Angriff nehmen, so langsam ist der richtige Zeitpunkt. In den letzten Jahren hatte ich einfach nicht die Zeit dafür, weil ich Vollzeit in einer Grafikagentur gearbeitet habe. In der Schule habe ich Waldhorn gespielt, aber nur kurz, das hat mir nicht so viel Spaß gemacht. Außerdem habe ich als Kind Clogging getanzt. Weißt du was das ist? Eine Art Stepptanz, sehr amerikanisch, Country-Style. Die Songs zu denen wir damals getanzt haben sind immer noch fest in meinem Kopf verankert, weil wir so viel geübt haben. Aber die Idee, selbst Musik machen zu können kam mir erst, als ich Patti Smiths „Just Kids“ gelesen habe. Sie schreibt in ihrem Buch, sie habe damals Jim Morrison im Fernsehen gesehen und gedacht: Moment mal, das kann ich auch! (lacht) Und ich dachte wow, das ist alles was man braucht, einfach zu entscheiden man kann das auch? Dann kann ich das auch. Also habe ich es gemacht. Na ja, ganz so einfach war es nicht, es hat schon etwas Zeit gebraucht. Außerdem hatte ich eine harte Zeit, in der ich sehr krank war. Ich hatte eine Hautkrankheit, die zweieinhalb Jahre gedauert hat. Das wird jetzt nicht so glamourös, du musst sagen, ob du das hören willst.

Bitte, unbedingt.

Das war wirklich eine traumatische Erfahrung. Es war eine Art allergische Reaktion auf eine Creme, die ich verschrieben bekommen hatte. Ich hatte zweieinhalb Jahre einen Ausschlag am ganzen Körper, der nicht weggegangen ist, bis der Wirkstoff komplett aus meinem Körper raus war. Über zwei Jahre war ich in einem entsetzlichen Zustand. Meine Wahrnehmung von Zeit hat sich dadurch geändert und auch meine Werte. Ich habe Dinge nicht mehr für selbstverständlich genommen. Danach habe ich mir geschworen ich werde alles tun, was ich tun will, wann immer ich will, es ist mir egal was andere Leute denken. Ich hatte den Ausschlag ja auch im Gesicht und musste lernen mich nicht darum zu scheren, was Leute denken wenn sie mich sehen. Offensichtlich brauchte ich diese extreme Erfahrung, um meine Ängste zu überwinden und aus meinem Schneckenhaus raus zu kommen. Mich vor die Leute zu stellen, zu tun was ich tun wollte und mich nicht zu kümmern was die Leute von mir denken. Ich wusste aber nicht ob das irgendjemandem gefallen würde – oder ob jemand es kaufen würde!

Es ist wirklich interessant, dass du das erzählst. Ohne Witz, als ich dich das erste Mal habe singen hören dachte ich: sie singt als wäre es ihr scheißegal was die Leute von ihr denken.

(lacht) Es freut mich, dass man das hört. Es ist auf jeden Fall so. Ich habe angefangen aktiv Musik zu machen, als ich in einem sehr verletzlichen Zustand war. Ich wusste nicht, ob es je wieder besser werden würde. Im Nachhinein bin ich aber froh, dass ich da durch musste.

Hättest du dir je vorstellen können, wo es dich hin bringen würde?

Nein! Es ist ganz schön cool.

Auf jeden Fall hast du nicht deinen Humor verloren. Ich finde Humor ist ein wichtiger Bestandteil deiner Musik. Schon der Name deines Albums, „Satis Factory“…

Du meinst das Wortspiel?

Ja. Ich finde das urkomisch. Ich selber würde auf so etwas nie kommen.

Wenn man genau hin guckt ist es total offensichtlich. Das Wort „Factory“ steckt drin, dadurch sind für mich Bilder entstanden, an die ich anknüpfen konnte. Ich bin ja auch Grafikdesignerin, deshalb ist das visuelle Konzept für mich sehr wichtig. Ich kann alles selbst gestalten und mir die richtigen Leute suchen, die mir bei der Umsetzung helfen, das ist cool. Die Musik kommt natürlich immer zuerst. Aber beim nächsten Album habe ich hoffentlich mehr Zeit, mir von Anfang an Gedanken um die visuelle Umsetzung zu machen. Meine Band und ich haben keine anderen Jobs mehr haben, denen wir tagsüber nachgehen müssen. Wir können all unsere Energie in das hier rein stecken. Ich meine, ich könnte mir niemals vorstellen jemanden anzustellen, der ein visuelles Konzept für mein Album entwirft. Niemals! Ich würde lieber sterben (lacht).

Hast du Ziele für die Zukunft? Mal davon abgesehen, dass du natürlich weiter Alben aufnehmen wirst.

(überlegt) Ich weiß es nicht so richtig. Die Dinge sind so unvorhersehbar. Ich mache mir auch nicht gerne Pläne für die Zukunft, ich mag es lieber, wenn alles offen bleibt, nicht so vorbestimmt. Ich liebe es, mit vielen Leuten zu kommunizieren. Wenn ich es schaffe, jemandem mit dem was ich mache durch eine schwierige Phase zu helfen oder wenn ich meine Erfahrungen mit denen anderer Leute verbinde und wir diese Erfahrungen gemeinsam in einem großen Raum genießen können, so wie es manchmal bei einer Show passiert – das mag ich. Da will ich immer wieder hin. Ich bin nicht in einer stabilen Familie aufgewachsen. Die wichtigen Beziehungen in meinem Leben musste ich selbst herstellen, mit Freunden und Menschen, die ich auf dem Weg getroffen habe. Deshalb ist es sehr bereichernd für mich, neue Menschen kennenzulernen und Teil einer Community zu sein.

Ich bin mir sicher, dass noch viele Menschen eine enge Beziehung zu deiner Musik haben werden. Sie ist so vielfältig, man hört so wahnsinnig viele verschiedene Einflüsse heraus.

Weißt du was, ich denke gerade, vielleicht hätte ich am Anfang nicht sagen sollen, dass ich von den Beatles beeinflusst bin. Irgendwie ist das doch die uncoolste Antwort überhaupt. Ich hätte so etwas wie Leonard Cohen sagen sollen, das ist cool.

Ach was. Am Ende geht doch alles zurück auf die Beatles.

Sie sind die beste Band der Welt! Und werden es immer sein. Aber wer weiß, ein junger Mensch liest vielleicht: oh, sie ist von den Beatles beeinflusst und liest dann nicht mehr weiter, weil er es total uncool findet. Aber im Ernst, es gibt tatsächlich sehr viele Einflüsse in meiner Musik. Rock’n’ Roll, Folk, Blues, alles mögliche… und Pop! Es geht nichts über einen guten Popsong.

Und das alles nimmst du und machst daraus etwas sehr eigenes. Man liest ja im Zusammenhang mit deiner Musik oft du wärst „retro“. Ich finde ja…

Oh ich hasse es, wenn Leute das sagen! Ich hasse es, wenn sie von Retro-Soul oder so etwas reden. Das bin ich nicht. Ich kann so viel mehr… Jesus! (lacht)

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