Margo Price im Interview: „Ich lerne gerade, selbst meine schlechten Seiten zu lieben“

Margo Price ist soeben aufgestanden und wartet auf ihren ersten Kaffee. „Ohne Video“ ist die Ansage, die ihr Label im Vorfeld bekommen hat, aber als sie in den Zoom kommt und zufällig die Kamera doch an hat, stimmt sie direkt zu, es dabei zu belassen. Das ist schön – wir lachen viel zusammen und führen ein sehr ehrliches Gespräch darüber, was für einen Kampf das Leben als Künstlerin sein kann und und was es bedeutet, in unserer Zeit aufzuwachsen und in unserer Gesellschaft älter zu werden, vor allem als Frau. 

Nicht nur ein neues Album hat Margo Price aufgenommen, das frisch erschienene „Strays“, sie hat auch ein Buch geschrieben, über ihren beruflichen Weg und über ihre persönlichen Dämonen, mit denen sie sich in ihrem Leben konfrontiert sieht. Ihre Autobiografie „Maybe We’ll Make It“ ist zum Teil so unverschämt ehrlich, dass man vor lauter Intimität beim Lesen fast schon rot wird. Sie lässt darin nichts aus, keinen der Schicksalsschläge und keine Verzweiflung, durch die sie hindurch gehen musste: den Verlust eines ihrer Kinder, Armut, Depression, Abhängigkeit. Und all das vor dem Hintergrund des langen Weges, den sie als Künstlerin gegangen ist, voller Kurven, Zickzack, Sackgassen und überraschender Auswege. „Detours and determination“ nenne ich es irgendwann während unseres Gesprächs, und Margo gefällt es, die beiden Wörter zusammenzuziehen. „Detour-mination“ ist offensichtlich ein guter Begriff, um ihr Leben zusammen zu fassen, findet sie. 

In dieser Hinsicht macht „Strays“, der Titel ihres neuen Albums absolut Sinn. Aber interessanterweise glänzt es auch nur so vor Selbstbewusstsein, vor dem Gefühl, seinen Platz in der Welt gefunden zu haben, zu wissen wer man ist, nicht mehr so schnell in die Irre geführt zu werden. Wenn man „Maybe We’ll Make It“ liest, bleiben vor allem zwei Gefühle zurück, Respekt und Unglauben. Man könnte es fast schon als Sturheit bezeichnen, mit der Margo Price sich durchgebissen hat durch Zeiten, die hauptsächlich von Unglück und Misserfolg geprägt waren, bis sie 2016 von Jack Whites Label Third Man Record unter Vertrag genommen wurde und dort ihr Solodebütalbum „Midwest Farmer’s Daughter“ veröffentlichte. Heute zählt sie zu den erfolgreichsten und angesehensten Country- und Americana-Acts der USA und es hat sie einiges gekostet, dorthin zu kommen. Mit „Strays“ wagt sie sich nun weiter mutig vorwärts, reißt die musikalische Limitiertheit des Genres Country nieder und macht, um es ganz frei auszudrücken, einfach verdammt nochmal wozu sie Lust hat. Achtziger Keyboards, Synthesizer, Siebziger Rock und eine Art des Geschichtenerzählens, wie man es aus dem Folk kennt – „Strays“ tanzt auf vielen Hochzeiten gleichzeitig und ist zur selben Zeit das bisher straffste und stringenteste Margo Price Album. Und Margo selbst, soeben von einer Tour durch die USA nach Hause gekommen und durstig nach Kaffee, wirkt so zufrieden wie noch nie. 

Meine schönste Erinnerung im Zusammenhang mit dir ist, dass du die erste warst, die ich bei meinem ersten (und bis jetzt leider einzigen) Glastonbury Festival gesehen habe. Wir sind angekommen, direkt zur Park Stage gelaufen und da warst du.

Ich liebe das! Es war auch mein erstes und einziges Glastonbury (lacht). Oh mein Gott, das war unglaublich. Mit so vielen Menschen an einem Ort zu sein, mit so vielen großartigen Bands… Ich war so übermüdet. Ich hatte zwei Tage nicht geschlafen, weil wir so ein Chaos mit unserem Flug hatten. Wir sind ewig am Flughafen herum gerannt. Als wir endlich da waren, war ich völlig übermüdet. Aber es hat so viel Spaß gemacht. 

Du hast überhaupt nicht übermüdet gewirkt. Du hattest so viel Energie. Ich erinnere mich gut, wie du barfuß über die Bühne gerannt bist. Es war großartig. 

Oh, ich bin sehr froh, das zu hören.

Das muss 2017 gewesen sein.

Klingt für mich korrekt. Ja. Oh mein Gott. Heute kommt es mir vor, als wäre es eine halbe Ewigkeit her.

Also, ich habe dein Buch gelesen. Und ich denke gerade, wenn es dir schon wie eine halbe Ewigkeit vorkommt, seitdem du beim Glastonbury aufgetreten bist, wieviel Leben ist dann vergangen, bis du schließlich auf dieser Bühne stehen durftest. Du hast wirklich einen langen Weg hinter dir.

Danke, dass du es gelesen hast. Ich weiß das wirklich zu schätzen. So viele Künstler*innen machen das Gleiche durch. Die Leute denken gerne, es geht so schnell los (schnippt mit den Fingern). Ich weiß noch, wie ich die Tom Petty Doku „Runnin‘ Down A Dream“ gesehen und gedacht habe: oh, er war vorher auch in anderen Bands, die es nicht geschafft haben. Er hatte wirklich eine harte Zeit, bis er es geschafft hat. Das hat mich irgendwie beruhigt, dass andere auch kämpfen mussten. Was vielleicht auch ein bisschen sadistisch klingt (lacht). 

Ich kann es mir kaum vorstellen, was es bedeuten muss, diesen Weg zu durchlaufen. Immer und immer wieder kleine Shows vor wenig Leuten spielen, ständig unterwegs sein und dabei nicht die Hoffnung verlieren, dass das alles irgendwann zum Ziel fühlt. Das muss sehr viel Kraft kosten. 

Das tut es. Ich habe das noch einmal so richtig realisiert, als ich das Buch geschrieben habe. Jetzt, da ich älter werde… da ich das Glück habe, älter werden zu dürfen… da merke ich, dass das der Teil meiner Persönlichkeit ist, der gleichzeitig gut und schlecht ist. Wenn man eine starke Persönlichkeit hat, dann kann das gut sein. Aber es kann auch eine meiner schlimmsten Seiten sein. Denn ich denke… es ist schwer zu erklären. Aber du hast mein Buch gelesen, da muss ich mich vor dir auch nicht schämen. Weißt du, nach all meinen Experimenten und Problemen die ich hatte mit Drogen und Alkohol… jetzt da ich das nicht mehr mache, stürze ich mich noch mehr in meine Karriere. Jetzt ist das meine Sucht geworden, das Ding für das ich ständig arbeite, auf das ich immer hyperfokussiert bin. Ich lerne gerade, selbst meine schlechten Seiten zu lieben. Denn ohne diese schlechten Seiten, würde ich jetzt nicht hier sitzen und mit dir reden (lacht).

Du bist so ehrlich in deinem Buch. Ich sehe da viel Stärke. Viele Umwege aber auch sehr viel Entschlossenheit. Darauf solltest du stolz sein.

„Detours and determination“ – oh ich liebe die beiden Wörter zusammen! „Detour-mination“… (lacht) Man merkt, dass du schreibst, das sind gute Wortspiele. Ich liebe es. 

Und weißt du, was ich auch interessant finde? Ich bin in Bayern auf dem Land aufgewachsen. Deine Kindheit war natürlich sehr amerikanisch. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Parallelen zwischen uns, Punkte die sich berühren. Das Gefühl von Orientierungslosigkeit, Langeweile, ein Mangel an Perspektiven… Ich finde das wirklich beruhigend, dass selbst bei all unseren Unterschieden unsere Erfahrungen auch immer universell sind.

Das freut mich wirklich zu hören. Als ich jung war, fand ich die Gegend, aus der ich kam, schrecklich langweilig. Ich wollte nicht mitten in Amerika leben. Aber heute bin ich auch dankbar, dass ich in einer Zeit ohne das Internet aufgewachsen bin. Ich bin heute von meiner Tour nach Hause gekommen. Und ich kann es wirklich kaum erwarten, alleine in den Wald zu gehen und niemanden zu sehen. Ich habe so gerne Radio gehört, als ich jung war. Ich habe Musik so sehr geliebt. Es gab einfach sonst nichts zu tun! (lacht) Du weißt wovon ich rede. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es in Bayern auf dem Land gewesen sein muss.

Same, same but different, wahrscheinlich. Ich weiß nicht, wie es bei dir war, aber ich wusste sehr früh, dass ich wegziehen und in der Stadt leben wollte. Und ich bin so schnell wie möglich abgehauen. 

Ich denke es ist wichtig, dass man weggeht und andere Orte kennenlernt. Selbst wenn man später wieder zurückkommt, das ist auch in Ordnung. Dann hat man wenigstens etwas erlebt.

Ich habe außerdem das Gefühl, dass dein Album und dein Buch sich ergänzen. Ich weiß nicht, ob das für dich Sinn macht, aber ich finde, dass du auf diesem Album sehr viel reflektierst. 

Ja! Das Gefühl habe ich auch. Das Buch und das Album haben sich definitiv gegenseitig beeinflusst. Ich habe viereinhalb Jahre an dem Buch schrieben, das war eine lange Zeit, um sich damit zu beschäftigen und zu reflektieren. Oft habe ich gedacht: Ich möchte die Vergangenheit einfach hinter mir lassen. Ich möchte mich davon nicht mehr verfolgt fühlen. Ich möchte nicht mehr, dass die Leute über mich reden und Gerüchte verbreiten. Es macht einen stark, zu seiner eigenen Wahrheit zu stehen und über die Fehler zu sprechen, die man gemacht hat. Und dann weiterzuziehen. Wir sind nur für eine kurze Zeit hier. Niemand von uns hat davon gebeten, hierher zu kommen. Das Leben ist sehr mysteriös. Also wollte ich ein Buch schreiben, das meine Wahrheit erzählt. Genauso mit dem Album. Ich wollte die Möglichkeit haben, viele Dinge neu einzuschätzen, zu meinen Fehlern zu stehen, mich weiter in Richtung Zukunft zu bewegen, mich zu ändern und weiterzuentwickeln. Ich bin in den letzten Jahren persönlich so sehr gewachsen. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals an den Punkt kommen würden, an dem ich jetzt bin. Ich kann, was viele Dinge angeht, sehr in meinem Kopf stecken bleiben. Es tut so gut, sich gesund zu fühlen, mental in einem guten Zustand zu sein. Das Musikbusiness ist ein sehr forderndes Arbeitsumfeld…

Freundlich formuliert.

(lacht) Ja. Ich dachte immer, sobald meine Karriere richtig los geht und ich mit Musik mein Geld verdiene, würden all meine Probleme verschwinden, alles würde sich zusammen fügen und einfach nur toll sein. Aber Erfolg, Ruhm und Geld und all diese Sachen, tatsächlich verstärken die nur deine Fehler, die vorher schon da waren. Es war so hart im Rampenlicht zu stehen und mich nicht gut zu fühlen. Es war hart, öffentlich ständig so zu tun als ob, weißt du. Jetzt fühle ich mich endlich erwachsen. Ich bin 39 Jahre alt und glücklicher als je zuvor. Es ist einfach schön, mit sich selbst im Reinen zu sein.

Ich hoffe, du hast keine Angst vor den Vierzigern. Ich mag die richtig gern. 

Ich habe keine Angst vor den Vierzigern! In den letzten Jahren war ich ein bisschen aufgeregt und habe mir Stress gemacht. Aber ich habe so viele Freundinnen in den Vierzigern, die gerade ihre beste Arbeit überhaupt machen. Ich hasse es, dass man uns beibringt, uns davor zu fürchten. Wo wir doch einfach froh sein sollten, dass wir nicht tot sind (lacht). Wirklich, man lernt so viel. Also sollte man es auch genießen. Ich finde, Alter ist so eine großartige Sache, aber wir als Frauen können es nicht so genießen wie die Männer. So ein distinguierter, 45 Jahre alter Mann zu sein… ich finde, wir Frauen verdienen das auch! Aber danke auch, dass du mir das sagst. Es ist immer schön zu sehen wenn Menschen, die ein kleines bisschen voraus sind, ihre Träume leben. 

Ich finde, der einzige Fehler, den man beim älter werden machen kann ist zu denken, dass man als Mensch irgendwann fertig ist. Es ist wie Yoga, man muss nicht nur seinen Körper beweglich halten, sondern auch seinen Geist. 

Hundert Prozent. Ich habe so viel Zeit in meiner Jugend damit verschwendet, meine Jugend nicht zu genießen. Mit dem Gefühl, nicht hübsch genug, nicht talentiert genug, nicht erfolgreich genug zu sein. Ich habe schon meine Jugend damit zugebracht, mich nicht gut zu fühlen, das werde ich in meinen mittleren Jahren nicht mehr tun. 

Vielleicht ist deshalb dieses Album auch dein vielseitigstes geworden? Es vereint so viele unterschiedliche Tempi und Stile. Ich finde es klingt, als würdest du genau das tun, was dir Spaß macht.

Danke. Ich weiß wirklich zu schätzen, dass du das so erkennst. Ich finde, besonders in der Welt der Country Musik wirst du schnell als Verräterin hingestellt, wenn du dich entscheidest, auch mal andere Musik zu machen. Ich möchte klanglich noch so viele Dinge erforschen. Ich möchte definitiv, dass die Songs gut sind, wenn man sie nur auf der Akustikgitarre oder am Klavier spielt. Das ist immer mein Ziel, Genres und Instrumentierung sind für mich mehr wie Make-Up. Wie wenn man sich zurechtmacht, verstehst du? Ich weiß, dieses Album klingt nicht so einheitlich wie zum Beispiel „Midwest Farmer’s Daughter“, das definitiv diese eine, zusammenhängende Sache war. Selbst mein letztes Album war so: hey, das hier ist Siebziger Rock. Und ernsthaft, all die Erfahrungen, die ich gemacht habe, mit psychedelischen Pilzen und so, die haben mir das Gefühl gegeben, dass es okay ist, einfach du selbst zu sein, egal wie du bist. Wenn ich ein cooles Keyboard oder eine Drum Machine haben möchte, dann ist das in Ordnung, weil ich selbst so viele unterschiedliche Musik höre. Selbst bevor Third Man Records mich unter Vertrag genommen hatte, habe ich bereits so viel Musik studiert, Soul, Rock’n Roll, Psychedelic Rock, Folk… ich meine, Joni Mitchell und Joan Baez gehören zu meinen größten Einflüssen. Patty Smith… das was sie macht, Poesie mit rein zu bringen und diese animalische Energie – das will ich! Während der Pandemie, als wir alle Zuhause waren, da waren wir gezwungen, in den Spiegel zu gucken, zu sehen was da passiert und zu entscheiden, was wir mit dem Rest unseres Lebens machen wollen. Natürlich werde ich wieder Country-Alben machen. Natürlich werde ich wieder bei einem Loretta Lynn Tribute singen oder ein Billy Joe Shaver Cover machen. Verdammt, ich finde es einfach so langweilig, wenn Leute immer wieder das gleiche Album machen! (lacht)

Man geht ja auch nicht jeden Tag ins Restaurant und bestellt dort das Gleiche, oder?

Genau! Das ist ein sehr guter Vergleich. Es ist verrückt, dass wir glauben, wir müssten immer wieder genau die gleiche Sache machen. Weißt du, ich male auch. Ich habe während der Pandemie angefangen zu malen, aber ich habe noch niemandem meine Bilder gezeigt. Ich arbeite noch daran, eine größere Gruppe von ihnen zusammen zu kriegen, die ich dann auf einen Schlag zeigen kann. Angefangen habe ich mit Wasserfarben. Ich dachte: Okay, das ist cool, aber ich würde auch gerne Ölfarben ausprobieren. Dann habe ich Ölfarben probiert und jetzt gerade arbeite ich mit Acryl. Und ich male immer noch! Ich verstehe einfach nicht, warum es die Leute interessiert, ob das jetzt eine Steel oder eine elektrische Gitarre ist, solang der Song gut ist! (lacht)