Nach dem organisatorischen Desaster in Hoppegarten 2017 hätte wohl keiner damit gerechnet, dass es das Lollapalooza auch 2018 in Berlin geben würde. Aber schnell war das massenerprobte Olympiastadion gefunden, und als dann auch noch Namen wie Kraftwerk und The National dazu kamen, sah die Zukunft für das Festival doch gar nicht mehr so düster aus.
Auf dem opulenten Gelände erwies sich die Stimmung am zweiten Septemberwochenende jedenfalls karnevalsmäßig saugut. Riesenrad? Check. Selfie-taugliche Wände? Check. Irgendwelches Obst mit Schokolade überzogen im Übermaß? Check. Auf jeder Stage richtig viele Pyro-Einlagen, ganz so als hätten Rammstein ihren Vorrat für die nächsten zwanzig Jahre geplündert? Check. Ganz klar: Das Motto für dieses Jahr sollte auf jeden Fall lauten: Je fetter, desto weniger muss nachgedacht werden.
Schon am frühen Abend konnte man sich samstags bei den melancholischen Klängen von Ben Howard und The National an seinen glitzernden (Makeup-Popup-Stores? Check) Nebenmann schmiegen. Was Howard zu wenig hatte, hatte Matt Berninger zu viel. Ersterer schielte nur für Nanosekunden unter seinem schwarzen Cap hervor, versteckte sich sonst lieber hinter großer Gitarre und generell imposantem Soundgedöns auf der Bühne – sodass im Publikum sogar mal getuschelt wurde, wer denn nun eigentlich hier gerade der Sänger auf dieser Main Stage wäre. The Nationals Matt Berninger brachte dafür Bühnenpersönlichkeit für zwei mit. Hier einmal ans Herz gefasst, da die Arme nach allen ausgestreckt und dort noch mal theatralisch um die eigene Achse gedreht. Unfassbar, wie die manchmal auf Platte so schläfrig klingenden Songs live doch eine ungemeine Vitalität ausstrahlen können. Das waren wirklich gleich zu Beginn zwei grundgute Performances, die sich trotzdem nur in einer Sachen gleichen: überall genüsslich geschlossene Augen. Auf der Bühne, vor der Bühne. Das nennt sich Quality-Content.
Der Samstag: Team Diversity gewinnt
Wer ein Fan von Genre-Hopping ist, musste sich sicher ein Tränchen aus dem Augenwinkel wischen angesichts des so herrlich diversen Lineups. Denn allein zwischen den gestandenen Indie-Männern von The National und Ben Howard rappte sich beispielsweise auch ein Casper über eine Stunde lang durch’s Programm. Der Einsatz von Feuerfontänen, Hands-in-the-air-Momenten und Cameos war hier deutlich höher. Der Bass um einiges lauter. Der Schilderwald in der Crowd, die positive Vibes an den Casper senden sollten, ausgeprägter. Da aktuell ordentlich die Hype-Machine für das gemeinsame Album („1982“) mit Schönling Marteria läuft, wunderte sich keiner, als ein Rap-Duett der beiden in der Mitte des Sets eingebaut wurde. Nachdem dann auch noch Drangsal kurz mal das Mikro berührte, fiel so manchem das Handbrot runter bei so einem fetten Rundumschlag.
Da es aber bei derartigen Open Airs auch immer irgendwie darum geht alles zu toppen, setzte man den hungrigen Festivalgängern zu späterer Stunde noch The Weeknd vor. Kann sich jemand erinnern, wann der mal Berlin mit einem Konzert beehrte? Nein? Eben. War nämlich ganz schön special. Im Bühnengraben drückten sich dieses Mal mehr Instagramer als Fotografen herum. Daneben konnte man einen Michael Michalsky in freier Wildbahn beobachten, wie er mit den Händen in den Taschen und Blick auf den Boden vorsichtig vor sich hintänzelte. The Weeknd selbst lief dagegen wie ein getriebenes Tier beständig von links nach rechts über die Bühne. Diese wurde auch nur wenig erleuchtet, sodass es fraglich ist, wie viel auf so einem Handy-Video von der Show wirklich zu sehen ist. Die Beats hatten mächtig Wumms, die Stimme des Kanadiers leider weniger. Da geht also echt noch was!
Praise the EDM
K.I.Z. bekamen die Balance da besser hin. Hier flog einem der Ohrschutz vor lauter Druck schon wieder heraus, die Ansagen der Berliner Proleten waren auf alle Fälle immer mühelos verständlich. Aber bestimmt stellten sie, trotz Panzer im Background und lässiger Tarnkleidung, nicht das Highlight des Lollapaloozas 2018 dar. DAS DING war mit Abstand die Perry’s Stage. Gelegen mitten im Olympiastadion, ging hier eine riesige, emotional aufgeladene EDM-Party los. Den Abschluss bildete dort yours truly David Guetta. Von nahem ließ sich der französische Chartstürmer leider nicht betrachten, da der Bereich um die Stage schon rund zwei Stunden vor Beginn der Show für neue Gäste abgesperrt wurde. Zu viele Menschen tummelten sich bereits dort, wo ein Feuerwerk das nächste jagte, der Cranberries-Hit „Zombie“ zum Electro-Monster umfunktioniert wurde und die Drops so zuverlässig kamen wie auf Grün an der Ampel Orange folgt. In diesem Wahnsinnsrondell fand das eigentliche Festival statt. Alles rund herum war nur schmückendes Beiwerk – die Wombats auf der Alternative Stage die Petersilie zum Hauptmenü.
Der Sonntag: Warten auf Kraftwerk
Der Sonntag stand dem sonnenlastigen Samstag in nichts nach. Wer sich in den Olympiapark begab, konnte zuerst den stumpfen Beatmelodien aus dem Stadion lauschen. Wer zur Prime Time den zwei Main Stages oder der Alternative Stage entgegenlief, konnte Liam Gallagher das Festival als einen einzigen großen Parkplatz bezeichnen hören, Imagine Dragons’ Sänger Dan Reynolds in nichts weiter als schwarzen Shorts und weißen Sportsocken performen sehen, Jorja Smith sich als nächsten wirklich echten Superstar bewerben hören und Fink vor sich hinschnurren hören. Team Diversity wurde wieder mal ganz, ganz groß geschrieben.
Als dann aber kurz nach Sonnenuntergang die 3D-Brillen verteilt wurden, machte das schon noch mal anders nervös. Gleich würden also Kraftwerk da vorne stehen. Vor all den EDM-Jüngern, vor den Indie-Boys & -Girls, vor denjenigen, die sich Die-Hard-Fans nennen und denen, die einfach nur mal mit dabei sein wollten. Diese Show war so exklusiv, man ließ nicht einmal Fotografen in den Bühnengraben. Aber das Spektakel „Mensch-Maschine“ musste man sich auch mit etwas Abstand reinziehen. Hier wartete man mit einer Multimedia-Show auf, die so viel subtiler und damit einfach besser als jedes Pyro-Getöse ist. Ralf Hütter und seine Männer agierten hinter ihrem Pult nicht weiter mit ihrer Audience, aber wer hätte etwas anderes erwartet? Die 3D-Visuals übernahmen dafür die Kommunikation. Bevor ein jeder in die Nacht wie auch die neue Woche verabschiedet wurde, ließ man sie noch mal intensiv in die Welt der Bits und Bytes eintauchen. Und es war eine gute Welt. Wenn für einige Zeit mal nur Nullen und Einsen da sind und auch noch Sinn ergeben, wo vorher so vieles überhaupt keinen bei diesem komisch zusammengekleisterten Festival gemacht hat.
Bericht und Fotos: Hella Wittenberg