La Force im Interview: „Ich werde immer Songs über den Tod schreiben“

Ariel Engle aka La Force und ich trafen uns zum ersten Mal 2018 in einem Backstage Raum in Birmingham, nach einem Konzert der Band Broken Social Scene, von der sie seit Jahren fester Bestandteil ist. Damals stand sie kurz vor dem Release ihres ersten Soloalbums unter dem Namen La Force, über das wir spät nachts auf einem durchgesessenen Ledersofa bei Ginger Beer anfingen zu plaudern und schließlich feststellten, dass wir quasi mitten in einem Interview sind. 

Seitdem sind wir lose in Kontakt geblieben, gesehen haben wir uns zuletzt Anfang 2019 in Berlin, als Ariel mit ihrer Band für eine Handvoll Konzerte in Europa unterwegs war. Dann kam die Pandemie und mit ihr eine Reihe unsicherer Jahre. Umso schöner ist es, Ariel nun im Zoom wiederzutreffen, ich in Berlin, sie zuhause in Montreal. Es geht um ihr zweites Soloalbum „XO Skeleton, welches zum Teil während der Pandemie und im Rahmen eines ungewöhnlichen Songwriting-Experiments entstanden ist. Und das geht genauso in die Tiefe wie ein Gespräch mit Ariel Engle.

Schön dich wiederzusehen. Du warst produktiv, seitdem wir uns das letzte Mal getroffen haben.

War ich? Ich fühle mich nie besonders produktiv. Ich würde sagen, ich war produktiv genug. Ich bin nicht gut mit Zeitabläufen. Alles fühlt sich ziemlich verschwommen an. 

Das ist durch die Pandemie auch nicht leichter geworden. Bist du gut durch diese Zeit gekommen?

Ja. Meine Familie und ich, wir hatten wirklich Glück. Ich kann mich nicht beklagen. Ich hatte gerade Geld bekommen, um ein Album zu machen. Und die Pandemie hat uns auch die Möglichkeit gegeben runterzukommen, Zeit miteinander zu verbringen und uns auf Dinge zu konzentrieren. Ich denke, das Schwierige daran ist das Unabsehbare. Das fand ich am schlimmsten. Ich meine, viele Menschen sind schwer krank geworden und haben ganz anders gelitten. Aber das Unabsehbare, nicht zu wissen, wie lang es gehen wird, das hat es so schwer gemacht.

Mich hat am meisten schockiert, dass es tatsächlich Menschen gibt, die in dieser Zeit festgestellt haben, dass sie das Zurückgezogene, Distanzierte auf eine Art sogar bevorzugen.

Ja. Das schockiert mich auch. Ich brauche die Gemeinschaft. VR, AI, damit kann ich nichts anfangen. Was das angeht, bin ich ein alter Hippie. Ich bin gerne mit Menschen in einem Raum. 

Das Schöne an der Musik ist aber auch, dass man sie auf so vielerlei Art und Weise sowohl konsumieren als auch machen kann. 

Ich bin Teil dieser Sache, sie heißt „Song a Day“. Ich habe dreimal mitgemacht. Man arbeitet allein, aber man sendet es in die Gruppe und spricht darüber. Das war wichtig für mich. Selbst wenn man die Leute nicht sieht und nicht mit ihnen abhängen kann, ist man doch füreinander verantwortlich. 

Wie kommst du damit zurecht, so strikt nach Zeitplan zu arbeiten? 

Ehrlich gesagt ist es für mich die beste Art zu arbeiten. Ich würde es sofort wieder machen. Sonst bekomme ich es nicht auf die Reihe. Es gibt so viele Dinge, die man tun kann. Aber es geht mir besser, wenn ich kreativ bin. Es macht mich glücklich. Wenn man mit einem so engen Zeitplan arbeitet, muss man etwas schaffen. Es muss nicht großartig sein. Je länger du es machst, je mehr du dich drauf einlässt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas daraus entsteht, das dir gefällt. Das trifft vielleicht auf alles zu. Es ist keine Magie, es ist Arbeit. Manchmal hat es diesen magischen Funken, aber man muss dran arbeiten. Die Magie entsteht, wenn du einfach jeden Tag auf der Matte stehst. 

Ich kann mir auch vorstellen, dass es ein sehr befreiender Prozess für jemanden ist, der vielleicht einen Hang zum Perfektionismus hat. 

Absolut. Du hast einen Tag, um zu einem Ergebnis zu kommen. Und wer hat schon einen ganzen Tag Zeit zu arbeiten. Am Ende sind es ein paar Stunden. 

Letztendlich ist daraus ein Album entstanden.

Ich habe ein Album gemacht, ja. Zuhause in meinen eigenen vier Wänden. 

Es ist ein sehr intimes Album geworden, finde ich. Es nimmt einen bei der Hand und  

Das freut mich. Ich denke, man kann sagen, dass ich mich nicht von bombastischer Musik angezogen fühle. Ich mag es, wenn man beim Hören leicht im Kopf überschlagen kann, wie viele Menschen an dieser Musik beteiligt sind. Ich liebe es, Teil von Broken Social Scene zu sein, weil es gleichzeitig eine intime wie auch eine große Erfahrung sein kann. An meiner eigenen Musik mag ich es, wenn sie nicht zu geschäftig klingt. Nicht zu abwechslungsreich. Meine Songs haben meistens nicht besonders viele Akkorde. Ich liebe es, mich in ein Gefühl zu vertiefen und mich davon treiben zu lassen. 

Deine Stimme fügt sich diesbezüglich auch sehr gut ein. Dein Gesang wirkt so unangestrengt, fast schon meditativ. 

„Condition of Us“ ist ein gutes Beispiel dafür, das ist während „Song a Day“ entstanden. Die Struktur des Songs ist eher kompliziert, nicht geradlinig und trotzdem organisch. Er ist aus einem Bewusstseinsstrom heraus entstanden. Für mich trifft die Musik das Thema des Songs und die Zeit, in der er entstanden ist. Ich hinterfrage es nicht. Meine Beziehung zu meiner Musik ist ein wenig wie fischen – wenn ich fischen gehe und einen Fisch fange, hinterfrage ich den Fisch nicht. Ich hole ihn aus dem Wasser und schaue ihn mir an. Natürlich veröffentliche ich bei weitem nicht alles, was ich aufnehmen. Aber ich weiß es recht instinktiv. Manche Songs sind mehr Arbeit als andere, aber dadurch machen sie mir oft nicht mehr Freude. Perfektion interessiert mich nicht. Manchmal, wenn ich ein Konzert sehe, dass von der Show her absolut perfekt ist, dann bekomme ich ein so ein Gefühl, als ob die Performer*innen mich nicht brauchen würden. Sie brauchen das Publikum nicht. Da ist nichts Zartes, Zerbrechliches, das wir gemeinsam halten müssen. Es ist beeindruckend, mehr aber auch nicht. Ich hoffe, ich habe etwas davon in diesem Album einfangen können. Oder auch nicht, ich weiß es nicht. Ich denke schon über das nächste Album nach. Meine nächste Platte wird auf jeden Fall ein Dance-Album werden. Das klingt ein bisschen nach Klischee, viele Künstler*innen sagen das. „Als nächstes mache ich ein Dance-Album…“ Aber ich habe es tatsächlich vor. 

Dieses Album hier ist für mich irgendwie ein Herbst-Album. Aber vielleicht trixt mich da auch mein Gehirn aus, weil einer der Songs „October“ heißt. 

Ich bin froh, dass du das sagst. Ja, es ist ein Herbst-Album. Auf jeden Fall ist es ein Nacht-Album. Dort wo wir leben, ist kann es sehr lange dunkel sein.  Im Herbst und Winter gibt es hier sehr wenig Tageslicht. Das Album beschäftigt sich mehr mit der inneren Welt. Ich werde immer Songs über den Tod schreiben. Er ist erschreckend, aber wir werden auch alle von ihm definiert. Ich kann nicht nicht darüber schreiben. Ich habe keinen richtigen Gott, an den ich glaube. Aber wenn es irgendetwas gibt, woran ich glaube, dann ist es der Tod. Er ist auf jeden Fall das, was meinem Leben eine Form gibt. Es ist nicht makaber gemeint, es ist einfach eine Faszination. Es ist vielleicht ein bisschen offensichtlich zu sagen, dass ein Song wie „October“ vom Tod handelt. Aber zumindest hier, wo ich lebe, ändern viele Bäume ihre Farbe und verlieren ihre Blätter. Es ist wunderschön. Mein Vater ist erst kürzlich gestorben. Er war ein großer Teil meines Lebens und ist es noch immer, wir waren sehr eng miteinander. Oktober ist der Monat, in dem meine Mutter gestorben und mein Vater geboren ist. Das ist ein dramatischer und gleichzeitig schöner Kreis, der sich schließt. Ich habe den Song auch im Oktober geschrieben. Wie auch immer, es hat einfach funktioniert. Es war nicht ursprünglich geplant, dass das Album im September rauskommt. Man ist da ja auf die Pläne des Labels angewiesen. Ursprünglich sollte es im Mai rauskommen, es ist schon seit einer Weile fertig. Aber dann hat es sich so ergeben, und das ist gut so. 

Der Winter in Berlin kann lang und hart sein. Aber ich würde trotzdem nirgendwo leben wollen, wo es keine Jahreszeiten gibt. 

Weil es dann kein Gefühl von Wiedergeburt gibt. Und das ist auch wieder mit dem Tod verbunden. Du musst sterben, um wiedergeboren werden zu können. Dann haben Licht und Dunkelheit die gleiche Kraft. Ich bin da ganz bei dir. Das Gefühl, wenn nach einem langen Winter plötzlich der Frühling einsetzt… ohne das würde es  nicht funktionieren für mich. 

Es ist so wunderbar, dass die Pandemie erst einmal vorbei ist und es wieder Livemusik gibt. Ich kann mir vorstellen, dass es den Songs ganz neues Leben einhaucht, wenn man sie erst einmal live gespielt hat. 

Ich glaube, viele Künstler*innen machen heutzutage alleine Musik, zuhause an ihrem Computer. Sie live zu spielen, ist noch einmal eine ganz andere Sache. Jedes Mal wenn man einen Song performt, hängt es von so vielen Dingen ab, wie es sich anfühlt. Was ich mit der Zeit gelernt habe… oder sagen wir, was ich hoffe zu lernen ist: du musst das Ganze ernst nehmen und dir viele Gedanken machen, und gleichzeitig gar keine. Sonst wirst du von deinen Emotionen umhergeworfen. Du lebst zwischen aufgeblähten Höhen und dramatischen Tiefen. So vieles ist außerhalb deiner Kontrolle. Es ist gut, sich nicht so sehr von allem abhängig zu machen, davon wie eine Show gelaufen ist, wie jener Song geworden ist… ein bisschen Abstand zu haben. Der Schlüssel ist, immer in Verbindung zu bleiben. Mit allen Höhen und Tiefen. Einfach in Verbindung bleiben.