Kraftklub im Interview: „Kann mal jemand Kraftklub anrufen?“

Als ich zum Interview mit Kraftklub erscheine, sitzt Felix Brummer auf der Dachterrasse und liest die Bravo. Und amüsiert sich über die Wunderlichkeiten der heutigen Jugendkultur zwischen BibisBeautyPalace und Musically. Aber auch Kraftklub waren schon in der Bravo, und seien wir doch mal ehrlich: dann kann man doch eigentlich sagen, man hat alles erreicht. Überhaupt ist die sonnige Dachterrasse, auf der wir uns zum Gespräch einfinden, ein nahezu symbolträchtiger Ort. Denn sechs Jahre nach unserem ersten Interview befinden sich Kraftklub immer noch auf der Sonnenseite des Lebens. Und ihr frisch erschienenes neues Album „Keine Nacht für Niemand“ dürfte daran auch nichts mehr ändern. Im Gegenteil.

Neulich habe ich irgendwo gelesen, Kraftklub sind nach drei Jahren Pause wieder da. Das klang schon fast wie ein Comeback.

Felix: Stimmt doch gar nicht. Waren keine drei Jahre.

Steffen: Zweieinhalb.

Karl: Wir haben doch Anfang 2016 noch gespielt.

Felix: Aber die meinen wahrscheinlich seit dem letzten Album.

Ich empfinde euch eigentlich immer als recht umtriebig und präsent, auch wenn ihr kein aktuelles Album am Start habt.

Felix: Es stimmt aber schon, wir haben vor diesem Album zum ersten Mal in unserer Karriere ne Pause gemacht. Letzte Tour, letztes Konzert, so und jetzt machen wir Pause. Und zwar ne richtige Pause, im Sinne von wir machen jetzt erst mal gar nichts mehr und dann, wenn wir wieder Bock haben, machen wir wieder was. Es gab auch keinen festen Endtermin für diese Pause.

Also auch keine „Wir hören auf zu touren und konzentrieren uns aufs neue Album“ – Pause, sondern so richtig?

Felix: Genau. Aber sobald klar war, dass wir jetzt alle Zeit der Welt haben, um zum Beispiel eine Weltreise zu machen, haben wir uns wie Fliegen um die Glühbirne wieder im Probenraum eingefunden.

Steffen: „Du auch hier?“

Felix: Und dann haben wir wieder Mucke gemacht. Aber komplett ohne Druck. Weder die Plattenfirma noch die Fans wussten, dass wir wieder was machen. Das war voll das schöne, befreiende Gefühl.

Wenn man ständig in diesem Strudel drin ist, Platten, Tour, Awardshows, dann muss man auch mal Luft holen und irgendwo neue Inspiration her kriegen, oder? Sonst läuft man doch Gefahr, thematisch immer um sein eigenes Rockstarleben zu kreisen.

Felix: Absolut. Wäre bestimmt gegangen, nochmal ne Platte drüber zu machen, dass man aus Chemnitz kommt und gerne unterwegs ist. Oder wie auf der zweiten Platte behandelt: oh, wir sind ja wirklich berühmt geworden, haha. Aber darauf hatten wir keine Lust, wir hatten auch keine Lust uns musikalisch zu wiederholen. Wir brauchten die Pause, um mal wieder klar zu kommen. Und stimmt, wieder Inspiration zu bekommen und Sachen zu machen, die wir lange vernachlässigt haben. Auf Kindergeburtstage zu gehen. Weil sowas ist ja passiert in der Zeit! Wir sind rum gereist, jetzt sind wir Mitte 20 und bei unseren Freunden und unserem ganzen Umfeld ist die Zeit ja nicht stehen geblieben. Da wollen wir ja auch Teil von sein. Das klingt jetzt nicht ganz so Rockstar mäßig, aber war schön. Man muss ja auch gucken, dass man seine Freunde nicht nur noch sieht, wenn man sie zu einem Konzert von sich einlädt, sondern auch Teil von deren Leben ist, weil das ja auch spannend ist.

Und eure Freunde, denken die krass, die machen das immer noch!?

Felix: (lacht) „Ich hab gehofft, das wär nur ne Phase!“ Wir fragen uns das manchmal, ob unsere Freunde nicht genervt sind, weil sie schon wieder zu nem Konzert von uns müssen.

Steffen: Die kommen bestimmt nur noch, um uns nen Gefallen zu tun.

Karl: Ich hab ja den Verdacht, die kommen gar nicht wegen uns, sondern nur zum saufen.

Felix: „Amtlich abgeliefert, wo ist der Kühlschrank?“ Ach selbst wenn, wär auch nicht schlimm.

Ist aber schon begeisternd, wie ihr euch als Band gefühlt auf einem permanenten Hoch haltet. Ich staune ja immer wieder wenn ich lese, wo ihr jetzt so spielt. Max-Schmeling-Halle, da hab ich mal Justin Timberlake gesehen!

Felix: (lacht) Auch wenn das nach außen hin vielleicht so Raketen mäßig wirkt, konnten wir für uns zumindest immer noch jeden Schritt nachvollziehen. Nach uns gab es Künstler, also wenn man dachte bei uns geht es schnell, dann muss man sich nur mal Cro angucken! Klar, wir mussten uns manchmal ein bisschen kneifen um zu realisieren, dass wir jetzt wirklich Musiker von Beruf sind. Das ist voll geil. Und es macht immer noch Bock.

Und sorgt euch das manchmal, dass es irgendwann nicht mehr so sein könnte? Was ihr dann machen würdet? Über die Arbeitswelt da draußen habt ihr ja jüngst das schöne Lied „Sklave“ geschrieben.

Felix: Ich hoffe mal, dass wenn wir irgendwann nicht mehr von der Musik leben können, man nicht als einzige Flucht sieht, sich von einem Konzern ausbeuten zu lassen. Klar macht man sich so Gedanken.

Steffen: Aber man kommt leider nicht drauf, was man sonst machen könnte.

Karl: Wenn man Glück hat, kann man irgendwas anderes in der Branche weiter machen.

Felix: Ich schreib dann für Helene Fischer.

Karl: Oh, ich auch!

Felix: Ich habe gelesen, dass über 1000 Leute Songs eingeschickt haben für ihr neues Album. Hätte ich das vorher gewusst! Hätte ich mal ein kleines Potpourri eingeschickt.

Stell dir vor, es hätte funktioniert.

Felix: Ich glaube tatsächlich, dass es schwerer ist als man denkt. Man muss diese Sprache treffen, das muss man erst mal hinkriegen. Aber das wäre doch so ein Lohnsklavenjob, den man machen könnte. So mit der Peitsche jeden Tag einen Song fertig kriegen (lacht). Aber gut, unsere Platte bringen wir ja auch bei einem Konzern raus. Vielleicht sind die Erfahrungen ja mit in den Song geflossen.

Steffen: Unser Vertrag mit Universal geht auch hundert Jahre.

Felix: Da haben wir ziemlichen Mist unterschrieben!

Das war zu Anfang eurer Karriere ja auch ein großes Thema. Dass ihr nicht so super Indie-Indie seid, sondern euch bei einem Major Label verpflichtet. Scheint aber bis jetzt gut funktioniert zu haben.

Felix: Die lassen uns zum Großteil eigentlich in Ruhe.

Karl: Ja, und warum sollen nur wir dran verdienen?

Felix: Aber wenn die Leute uns fragen, ja dürft ihr das denn alles selber entscheiden, dann frage ich mich immer eher anders rum. Ich kann mir kein Szenario vorstellen, dass jemand von Universal ins Studio kommt und sagt so Freunde, den Song würde ich aber lieber so schreiben. Ich glaube, da würden wir mit offenem Mund da stehen und sagen: Was willst du hier, Alter? Ich glaube, das ist so eine Vorstellung, die kommt aus den Achtziger Jahren, wo der Plattenboss vielleicht noch mit im Studio war und gesagt hat hey, austauschbarer Popcastingtyp, sing den Song mal so. Das ist doch gar nicht mehr modern. Die Möglichkeit, Künstler aus dem Nichts aufzubauen, haben die auch gar nicht mehr, die suchen sich mehr fertige Künstler. Also nicht dass wir jetzt schon total fertig waren. Aber das war einfach so dass wir meinten hallo Universal, wir würden jetzt gerne diese zwölf Songs aufnehmen und die meinten yo, macht mal. Das war auf lange Zeit der einzige Kontakt mit Universal, den wir hatten. Bis wir meinten so, wir würden die Platte jetzt gerne mischen lassen. Und die meinten yo, macht mal.

Karl: Die hatten vielleicht gar keine Kontaktdaten von uns.

Felix: Kann mal jemand Kraftklub anrufen? Die sind irgendwo im tiefsten Osten. Aber jetzt mal im Ernst, das ist heute einfach nicht mehr so. Selbst Helene Fischer – wer will der denn sagen was sie zu tun hat? Und bei Rammstein ist das bestimmt genauso.

Wie seid ihr gefühlsmäßig an die dritte Platte ran gegangen? Da ist man doch bestimmt etwas entspannter, weil das „Gröbste“ bereits hinter einem liegt.

Felix: Das war tatsächlich ein bisschen so. Die erste war mehr so mal gucken was passiert, die zweite dann nicht direkt Druck beladen, aber es war schon klar, dass wir ein 300 000 Platten Debüt im Nacken hatten. Die dritte war jetzt sowohl textlich als auch musikalisch ein bisschen ein Befreiungsschlag. Wir sind da völlig frei ran gegangen, auch an die Aufnahmen. Wir hatten keine Deadline sondern uns war klar, wir machen jetzt so lang im Proberaum Musik bis wir denken, dass die geil ist. Und wenn sie geil ist, dann können wir sie aufnehmen. Hätte das noch ein Jahr gedauert, hätten wir halt erst im nächsten Sommer hier gesessen.

Aber ist es nicht auch schwierig, mit so einer kompletten Freiheit zu arbeiten? Braucht man nicht irgendwann eine Deadline, um ans Ziel zu kommen?

Karl: Stimmt schon, das hätte passieren können. Aber irgendwie hat das alles einfach gut gepasst. Wir haben uns auch gesagt okay, wir machen jetzt wirklich nur zwölf Nummern, das reicht. Keine halb coolen Songs dazu, damit wir noch B-Seiten haben.

Felix: Was bei der letzten Platte unglaublich genervt hat war, dass wir noch drei Songs gemacht haben, die nur auf der Deluxe Version waren. Da waren dann zwei Songs dabei wo wir hinterher dachten man, die hätten eigentlich aufs Album gemusst. Das hat uns so geärgert, dass wir uns gesagt haben wir machen bei der Platte nicht mehr so’nen Quark mit B-Seiten. Wir machen zwölf Songs die richtig geil sind, die kommen auf das Album, fertig.

Da gab es keine Entscheidungen? Es gab wirklich nur diese zwölf Songs?

Steffen: Wir hatten nicht mehr und nicht weniger, ja.

Felix: Und dieses nicht fertig werden, das stimmt schon in der Theorie. Aber wir haben uns ja schon immer in erster Linie als Live-Band gesehen. Und ohne Platte keine Konzerte, fertig (lacht). Wir haben jetzt einfach Bock, diese Songs live zu spielen. Dafür muss man sie erst mal aufnehmen, raus bringen und dann kann man ne schöne große Tour damit fahren. Ich hab einfach übelst Bock, diese Songs zu spielen. Und ich hab übelst Bock auf den Moment, dass die Leute sie kennen. Das wird mega!

Ich beneide euch ja ein wenig um eure, wie ihr selbst auf der Platte so schön sagt, „Ich-geb-nen-Fick-drauf“-Attitüde. Wenn man sich erlauben kann, in seiner ersten Radio-Single „Du verdammte Hure“ zu singen, das muss schon ein großes Gefühl von Freiheit sein. Ob man das jetzt gut findet oder nicht sei mal dahin gestellt. Aber diese Freiheit, die muss man sich erst mal erarbeiten. Zum einen, dass man sich selber keine Gedanken drüber macht und zum anderen, dass die Leute es von einem annehmen.

Felix: Vorhin hatten wir ein Interview, da ging es viel um die politischen Statements, die man meint von einer Band wie uns erwarten zu müssen. Wir machen politische Statements wenn wir dazu Lust haben und nicht wenn es uns irgendjemand sagt oder von uns erwartet. Es ist auf jeden Fall sehr luxuriös, diese dritte Platte machen zu können ohne Rücksicht darauf nehmen zu müssen, was die Leute von uns erwarten. Oder vielleicht auch ein bisschen mit Absicht diese Erwartungshaltung zu brechen. Das macht auch ein bisschen Spaß.

Steffen: Die Leute zu verwirren, das ist super. Wenn die denken ey, was ist denn los mit denen.

Felix: So war das ja bei der ersten Single „Dein Lied“. Die Leute waren verwirrt. Zuerst dachten wir, das wird hauptsächlich wegen der Musik sein, aber dass das Ding textlich sehr hart ist, hat die Leute auch irritiert. Viele haben das auch gar nicht verstanden. Von Rappern hätten sie das vielleicht erwartet, aber von der Indie Band erwartet man doch die netten Songs. Diese Erwartungshaltung interessiert uns nicht. Wenn jemand ein Problem mit dem Wort hat, okay, aber wir finden, dass man krasse Sprache benutzen kann, um krasse Emotionen auszudrücken. Und es macht einfach total Spaß, so ne Figur kippen zu lassen, vom verständnisvollen Verlassenen zum rachsüchtigen Psycho. Wenn die Leute sagen hä, sagst du zu Frauen jetzt Hure, weil der Text in der Ich-Perspektive geschrieben ist, dann haben sie das halt nicht verstanden. Das zu erklären ist mir dann ehrlich gesagt zu blöd. So von wegen es gibt da übrigens eine Differenz zwischen dem Autor und dem Protagonisten. Also klar ist das auch verständlich, wenn Leute es nicht auf Anhieb verstehen. Wir sind ja keine frauenfeindliche Band. Das wär natürlich einfacher zu verstehen, wenn man uns jetzt als Chauvinistenschweine kennt. Ich finde alte, verkrustete Rollenklischees total dumm. Und ich finde es total dumm, wenn Leute Frauen als Schlampen bezeichnen und der Typ der rum bumst ist der Casanova. Aber wenn es Bock macht, nen Song aus der Perspektive zu schreiben und den authentisch, stark und böse zu machen, dann mach ich das.

Trotzdem finde ich es lustig, dass es die Leute so erstaunt. Wenn ich euch als eins all die Jahre nicht empfunden habe dann als eine Band, die in ihren Aussagen immer eins zu eins ist. Ihr habt ja schon immer mit einer Mischung aus Augenzwinkern und Direktheit gespielt.

Felix: Weil wir schon immer zwei Sachen furchtbar fanden: einmal wenn Leute Songs so getextet haben, dass sie niemandem weh tun. Was aber fast noch viel schlimmer ist wenn Songs so geschrieben werden, dass jeder sie verstehen und sich da rein fühlen kann. Und jeder kann das raus ziehen was er will. So unkonkret. Zwischen diesen beiden Welten, von wegen es kann alles bedeuten und diesem „ich möchte bloß nicht missverstanden werden“, bewegen wir uns. Das fand ich immer schon spannender.

Interview: Gabi Rudolph

Foto: Philipp Glasdome

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