K.Flay im Interview: „Wie Shakespeare – same shit!“

Es ist Halloween, als ich K.Flay vor ihrem Konzert im Berliner Astra zum Interview treffe, und sie hat ein blaues Auge. Das ist aber, im Gegensatz zu ihren Bandkollegen, nicht geschminkt, auch wenn es gut zum heutigen Tag passt. Das ändert auch nichts daran, dass Kristine bester Laune ist. Obwohl es relativ kurz vor ihrer Stagetime ist, lädt sie mich entspannt in ihren Backstage ein, wo wir uns über die Freuden und Tücken des modernen Lebens unterhalten – Aufrichtigkeit, Zynismus und das Bedürfnis nach Erleichterung.  Und natürlich über K.Flays neues Album „Solutions“.

Was ist denn mit deinem Auge passiert?

Ich bin beim Laufen im Regen ausgerutscht. Ich wollte eigentlich eine Runde Joggen gehen, war schon in Laufsachen und wollte nur nochmal kurz zurück zum Bus, weil ich meine Socken vergessen hatte. Ich bin ausgerutscht und habe mich an einem Baugerüst gestoßen. Was für ein bescheuerter Unfall. Ich war komplett nüchtern, noch nicht mal einen Kaffee hatte ich intus. 

„Ich bin hingefallen“ ist ja eigentlich die klassische Ausrede…

Genau! Ich kann dir sagen, alle Verletzungen, die ich mir jemals zugezogen habe, sind mir bei ganz doofen Sachen mitten am Tag passiert. Wenn ich nachts unterwegs bin und trinke, passiert mir nie etwas. Aber die Band war so nett sich mir anzupassen, jetzt haben wir einen super Halloween-Look. 

Wir haben uns das letzte Mal vor circa drei Jahren getroffen. Erzähl mir, was ist seitdem bei dir passiert?

Ha. Ich bin noch am Leben! Erst einmal haben wir so ziemlich ohne Pause getourt. Ich hatte meine eigene Headliner Tour in den USA, dann eine Menge Opening-Gigs für Imagine Dragons, überall in Europa, in England und den USA. Das war eine sehr gute Erfahrung für mich. Wie spiele ich meine eigene Clubshow? Und dann drehe mich um und spiele als Opening-Act eine Arenashow. Bei einer Clubshow sind die Leute ganz vorne die begeistertsten. Bei einer Arenashow ist es genau umgekehrt, da sind es die Leute ganz hinten, die am meisten mit gehen. Die Leute ganz vorne sind entweder die Die-Hard Fans des Hauptacts oder solche, die teure VIP Tickets haben. Das ist eine sehr spannende Herausforderung, von den Leuten, die dir die meiste Energie entgegen bringen so weit weg zu sein. Wir haben sehr viel darüber gelernt, wie wir auf der Bühne Energie entstehen lassen, ohne dass wir direkt auf die Leute blicken, die durchdrehen und Party machen. Dem Style meiner Performance und meiner Einstellung gegenüber Shows hat das sehr gut getan. Ich glaube, ich habe einen Schritt nach oben gemacht. Das war das eine. Und dann habe ich noch ein Album geschrieben und raus gebracht. Und ich habe mir ein Apartment zugelegt! 

Ich erinnere mich! Als wir uns damals getroffen haben, hattest du gerade keinen festen Wohnsitz.

Stell dir das vor. Ich lease sogar ein Auto! Ich zahle eine Stromrechnung. Jetzt habe ich mich in Los Angeles niedergelassen. Und das Coolste daran ist, dass ich angefangen habe, Los Angeles so richtig zu lieben. Ich habe verstanden was es bedeutet, in dieser Stadt zu leben. Das waren wohl die wichtigsten Punkte. 

Wie wirken sich diese neuen Lebensbedingungen auf deine Arbeit aus?

Eine Homebase zu haben macht es in vielen Dingen natürlich leichter kreativ zu sein. Dieses Album habe ich sehr schnell geschrieben, vor allem weil ich meine Orte hatte, an die ich jeden Tag gehen und aufnehmen konnte. Im Gegenzug zu mich ständig nicht richtig wohl fühlen und nirgendwo richtig Zuhause zu sein. Ich konnte den Kaffee trinken, den ich gerne mag, den ich mir vorher Zuhause gemacht hatte und war einfach bereit, Dinge in Angriff zu nehmen. Mein letztes Album hatte eine sehr düstere Seite. Ich habe es raus gebracht kurz nachdem Trump gewählt worden war. Ich hatte das Gefühl, dass die Dinge immer schlimmer werden, für uns als US-Bürger*innen und für die ganze Welt. Als ich mich hingesetzt und dieses Album geschrieben habe, habe ich mich nicht mehr so düster gefühlt. Ich dachte scheiß drauf, ich möchte lieber nach einem Ausweg suchen. Zu der Zeit habe ich mir viel Musik von anderen Leuten angehört, die sehr fröhlich war. Ich hatte einfach die Nase voll von diesen ständigen schlimmen Neuigkeiten. Das heißt nicht, dass wir sie ignorieren sollen. Wir müssen engagiert bleiben. Aber immer nur zynisch zu sein ist auf die Dauer überwältigend. Ich habe mich verliebt, ich habe angefangen Los Angeles zu lieben, viele positive Dinge sind in dieser Zeit passiert. Ich dachte, ich fühle mich gut! Ich möchte etwas schreiben, das sich gut anfühlt. Wenn wir heute eine Live-Show spielen, haben wir diese düsteren Songs, aber auch die, die positiv sind. Das fühlt sich wie eine gute Balance an. 

Würdest du sagen es ist schwieriger aufrichtig zu sein als zynisch?

Oh verdammt, ja. Das ist einer der Gründe, warum ich dieses Album genau so machen wollte. Das zu tun was einem Angst macht ist in der Regel das richtige. Man sollte keine Entscheidungen aus Angst vor etwas treffen, das sind für mich nicht die richtigen, im Nachhinein gesehen. Und wenn ich davor Angst habe, dass die Leute mich nicht cool finden oder das was ich mache nicht mögen, ob sie mein Bedürfnis, aufrichtig und hoffnungsvoll zu sein nicht verstehen… das ist keine Perspektive, aus der heraus ich Entscheidungen treffen möchte. Also habe ich mich da voll rein gestürzt. Ich denke aber, dass Zynismus genauso wichtig ist, vor allem in der Kunst. Ich wollte diesmal einfach etwas machen, das einen anderen Ton trifft als mein voriges Album. 

Mein Gedanke war, als ich dein neues Album zum ersten Mal gehört habe, dass du irgendwie immer deutlicher wirst. Sowohl inhaltlich als auch musikalisch. Das ist alles sehr genau auf den Punkt gebracht. Und ich finde es in unseren Zeiten wichtiger denn je, dass man eine klare Haltung hat, egal ob politisch, gesellschaftlich oder emotional, und diese unmissverständlich vermittelt.

Danke! Das war eine große Herausforderung. Wenn man schreibt, egal was man schreibt, das was es gut macht sind immer die Details. Jede Geschichte ist im Grunde die gleiche. Die Themen des menschlichen Lebens sind nicht so vielfältig. Wie Shakespeare – same shit! Es geht darum, wie wir unseren Blick auf das menschliche Drama so ausdrücken, dass es sich einzigartig und gleichzeitig allgemeingültig anfühlt. Mein Ziel ist es, immer besser zu werden in dem was ich ausdrücken will. Etwas genau auf den Punkt zu bringen. Das ist das, woran ich ständig arbeite. Ich schätze es sehr, wenn du sagst, dass du das hörst. 

Ich finde es wichtig und wunderbar, wenn Kunst den Spagat schafft zwischen Inhalt und Ablenkung. Die Welt ist am Arsch, und es ist wichtig, dass wir daran erinnert werden, genauso wie dass wir davon abgelenkt werden.

Absolut! Aber die Welt war schon immer am Arsch. Der Informationsfluss ist heute nur ein anderer. In der Vergangenheit sind ganze Genozide passiert, ohne dass die Leute etwas davon mitgekriegt haben. Man konnte die Tragödien ganz anders vor der Welt verbergen. Heutzutage sind Tragödien überall, es ist zu viel für die Menschheit, um es zu verarbeiten. Das Wort, das mir immer wieder in den Sinn kommt ist „relief“ – Erleichterung, Linderung. Ich weiß nicht, ob ihr das hier in Deutschland kennt, aber beim Baseball gibt es einen Spieler, man nennt ihn den „relief pitcher“. Seine Aufgabe ist es, für den Pitcher einzuspringen, wenn dieser verletzt oder am Ende eines Spiels zu erschöpft ist. So jemanden brauchen wir alle. Man braucht diese Momente, in denen einem die Last des eigenen Lebens von den Schultern genommen wird. Manchmal wenden wir uns an die Kunst, an Bücher, Filme und Musik, um uns diese Form von Erleichterung zu geben. Manchmal an Alkohol und Drogen, an Sex, woran auch immer… ich weiß, dass ich diese Form von Erleichterung brauche, und ich versuche, sie anderen zu geben. Das ist mein Ziel. Ein bisschen Erleichterung – im Baseball Spiel des Lebens (lacht)

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