K.Flay hat sich gerade ihren ersten Fernseher gekauft. Sie zeigt mir eine Schachtel, die im Hintergrund an der Wand lehnt. Darin befindet sich der Fernseher, den sie erstaunlich günstig im Erwerb fand („weniger, als wenn man einen Abend essen geht!“) und der im Lauf des Tages installiert werden soll. Nachdem sie jahrelang auf Tour war und zeitweise sogar ohne festen Wohnsitz, ist K.Flay nun bereit, sich häuslich einzurichten. Sie ist gerade umgezogen und vielleicht, verrät sie mir, wird sie sogar die Wände neu streichen.
Interessant ist, dass ich sogar über Zoom diese unglaubliche Energie spüren kann, die K.Flay sonst auf der Bühne ausstrahlt. Verstärkt wird das noch dadurch, dass sie vor ihrem Computer zu stehen und nicht zu sitzen scheint. Manchmal spricht sie langsam, betont jedes Wort mit Nachdruck und Bedacht. Dann wird sie plötzlich schneller, als würden ihr ihre Gedanken davonlaufen (wir werden viel über Gedanken sprechen), bis es fast so wirkt als würde sie rappen. Wenn sie irgendwann keine Lust mehr auf Musik hat (was ich nicht hoffe), dann wäre Stand Up Comedy das perfekte neue Feld für sie. Ich stelle mich sehr gerne als Publikum zur Verfügung.
Aber noch dreht sich bei K.Flay zum Glück alles um Musik. Und obwohl, wie sie mir erzählt, die Pandemie ihr beigebracht hat, Stille auszuhalten und ohne ständige Ablenkung zu leben, ist ihre neue EP „Inside Voices“ laut und energetisch. Sie ist hart und aggressiv, ehrlich und witzig. K.Flay zeigt darauf einer Person, die sie einmal verletzt hat, herzlich den Stinkefinger. Sie singt davon, wie schmerzlich es sein kann, immer das gute, brave Mädchen zu sein und darüber wie es ist mit einer Person zusammen zu sein, die ständig wissen will, wo man zuletzt gesteckt hat („Dating my Dad“, heißt der Song in der Tat). Und sie stellt endlich einmal dar, wie respektlos es ist, ständig mit dem falschen Namen angesprochen zu werden. Sie heißt übrigens Kristine, nicht Katherine. Bereit für eine Runde Schule des Lebens mit K.Flay?
Das letzte Mal als wir uns getroffen haben, das war Halloween 2019. Du hast eine Show in Berlin gespielt. Eine richtige Show, mit richtigen Leuten! Verrückt.
Ja, ich weiß! Das war ein tolles Konzert. Das war allgemein eine tolle Tour. Ich habe damals auf eine Art angefangen, auf Tour endlich so richtig bei mir selbst zu sein. Ich meine noch nicht einmal die Show selber, sondern das ganze Drumherum, wie es ist, als Mensch in einem Bus zu leben. Herauszufinden, wie man das richtig macht. Wie passe ich gut auf mich auf, wie habe ich Abenteuer… es ist so eine komische Art zu leben! Die letzten zwei Jahre, die ich mit meinem letzten Album getourt bin, habe ich angefangen ein neues Bewusstsein zu entwickeln und konnte endlich richtig in der Show aufgehen. Ich war sehr, sehr anwesend. Und wenn wir jetzt über die Pandemie sprechen – fuck, ich bin so froh, dass ich das erleben durfte! Seitdem hatte ich circa anderthalb Jahre ohne Shows. Es war schön, so mit der Menge verbunden zu sein und es so zu genießen.
Und als ich dich zum ersten Mal getroffen habe, da hattest du noch nicht einmal einen festen Wohnsitz. 2019 hast du mir erzählt, dass du gerade nach LA gezogen bist. Und jetzt…
Jetzt lebe ich in einem Haus! Ich bin gerade eingezogen. Was soll ich sagen, ich werde erwachsen. Ich glaube, ich habe bisher einen großen Teil meines Erwachsenenlebens in einem Grenzgebiet verbracht. Zwischen zwei Städten, zwischen zwei Wohnungen… dieses leichte Chaos, das hat mir irgendwie Energie gegeben, mich stimuliert und produktiv gemacht. Und dann, warum auch immer, ändert sich im Leben, was einen stimuliert. Ich finde das cool. Wenn du ein Kind bist, findest du bestimmte Dinge aufregend, und wenn du erwachsen bist denkst du: das ist doch total langweilig. Das findest du aufregend?! (lacht) Ich finde das interessant, in jeder Phase deines Lebens gibt es andere Erfahrungen und andere Gefühle, die einen inspirieren und eine Dringlichkeit haben. In den letzten drei, vier Jahren habe ich gelernt wie stimulierend es sein kann, einfach nur alleine mit mir selbst zu sein. Nicht die ganze Zeit Lärm um mich zu haben. Nicht bei jemand anderem auf der Couch zu schlafen. Nicht jede Nacht bis drei Uhr unterwegs zu sein. Wie fühlt es sich an, sich einfach nur hinzusetzen und nachzudenken? Das war eine neue Herausforderung für mich, besonders natürlich während dem Lockdown, der für mich eine Auszeit von allem bedeutet hat, das mich normalerweise stimuliert. Das war für mich sehr produktiv, wenn auch nicht immer angenehm. Ich weiß nicht wie es für dich war, aber ich musste lernen das auszuhalten und keinen Ausweg zu haben. Seltsamerweise war das sehr aufregend. Viel Selbstreflektion und vor allem das Bedürfnis, meinen eigenen Lärm zu kreieren und mit meiner neuen Musik voll in die Konfrontation zu gehen.
Oh ja! Die neue EP ist wirklich sehr konfrontativ geworden. Aber das ist so interessant! Jeder reagiert anders auf die Situation. Ich kenne Künstler*innen, die früher sehr energetische Musik gemacht haben und durch den Lockdown sehr viel ruhiger und introspektiv geworden sind.
Nein, ich bin in die ganz andere Richtung gegangen (lacht). Aber ich finde, diese Zeit hat auch was. Seit über einem Jahr habe ich keinen Alkohol getrunken, ich habe keine… na ja, ich habe nie wirklich Drogen genommen, aber ich habe keine Substanzen konsumiert, die mir irgendwie eine Flucht vor mir selbst ermöglicht hätten. Ich hatte keine Liveshows. Ich hatte nicht die Möglichkeit, mich mit Leuten zu treffen, was ich liebe, ich bin ein sehr sozialer Mensch. Alle meine Ablenkungen sind mir genommen worden, und das einzige was mir geblieben ist, ist Musik zu machen. Das wurde mein Weg zur Katharsis, es gab keinen anderen Ausweg. Ich habe mich ein bisschen gefühlt wie ein Teenager in ihrem Schlafzimmer, die sich fragt: wie komme ich nur aus diesem Gefängnis raus? Teenager hören oft laute, aggressive Musik. Das war mein Impuls, genau das wollte ich machen.
Ich muss zugeben, dass ich es bewundernswert finde, wie du diese Herausforderung angenommen hast, dich voll und ganz auf dich selbst zu konzentrieren. Ich finde das ganz schön schwierig. Hast du eine bestimmte Technik genutzt? Meditierst du?
Ich weiß, ich sollte meditieren. Mache ich aber nicht. Ich lese viele Bücher, und ich mache viel Kreuzworträtsel. Ich weiß nicht ob das zählt, aber für mich erfüllt es den Zweck einer Meditation, in dem Sinne, dass ich dann nicht in meinem eigenen Kopf, bei meinen eigenen Gedanken bin. Es ist eine andere Form von geistiger und irgendwie auch spiritueller Aktivität. Ich will jetzt nicht sagen, dass Kreuzworträtsel lösen spirituell ist… aber für mich irgendwie schon! Ich habe sogar angefangen meine eigenen zu machen.
Wirklich?
Yep. Ich oute mich hier komplett.
Das ist ganz schön nerdig.
Ich bin so ein Depp! Es ist lustig, wenn Leute mich treffen, die mich durch meine Musik kennen, dann sagen sie irgendwann: oh. Du bist ja ein verdammter Nerd! Bin ich wirklich. Aber ernsthaft, mir gibt das inneren Frieden. Ich weiß nicht, ich habe nicht meditiert, aber ich habe definitiv gelernt, besser mit Stille umzugehen. Wie gesagt, ich hatte nie einen Fernseher – bis in drei Stunden! Ich habe viel mit meinen eigenen Gedanken herumgesessen. Ich habe viele buddhistische Texte gelesen. Und ein Faden, der sich da durchzieht ist, dass Schmerz nicht der eigentliche Grund für Leid ist, weil Schmerz einfach unvermeidbar ist. Schmerz ist für uns alle ein Teil des Lebens. Egal wie gut es dir geht, wie hübsch du bist, wie reich du bist, was auch immer. Wenn du versuchst ihn zu vermeiden, was natürlich sinnlos ist, dann entsteht Leid. Der Versuch ist von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Und ich glaube diese Art zu denken hat mir sehr geholfen, besonders jetzt, wo überall auf der Welt gelitten wird. Es hat viel Verlust, viel Trauer gegeben, und natürlich ist das verdammt schmerzhaft. Ich werde versuchen, das auszusitzen und nicht davonzulaufen. Dadurch entsteht erst richtiges Leid, und das hilft mir weder aus Mensch, als Songschreiberin oder als Musikerin.
Und ich muss nochmal sagen. Wie du das alles versuchst anzunehmen, ich finde das sehr mutig. Ich finde es gibt viele Menschen, die ständig versuchen sich abzulenken und davonzulaufen. Ich meine, das muss ich dir nicht erzählen, du bist hier die Künstlerin, aber ich glaube nicht, dass Kunst aus reinem Eskapismus entsteht.
Nein, nein. Kunst entsteht, wenn man sich auf etwas einlässt, nicht wenn man davon läuft. Vielleicht wenn du zum ersten Mal davon läufst, das kann etwas freisetzen. Aber ich glaube, darüber hinaus muss man sich auf eine Form von Ehrlichkeit und innere Wahrheit einlassen. Bei dieser EP und bei der Musik, an der ich im Lauf des Jahres arbeiten werde, geht es mir darum, den Unterschied zwischen dem Menschen, dem Individuum Kristine und K.Flay zu untersuchen. Viele Jahre lang haben die Leute mich gefragt was denn nun der Unterschied ist und ich habe gesagt: es gibt keinen. Ich bin einfach nur nett, normal… okay, auf eine Art stimmt das auch. Ich glaube, in meinem Berufsleben bin ich eine nette, respektvolle Person, die versucht, anderer Leute Zeit und Raum zu respektieren. Aber trotzdem sind das zwei sehr unterschiedliche Individuen! Als K.Flay kann ich die dunklen und unbequemen Teile meiner Psyche erkunden. Sie erlaubt mir, meiner wütenden, verwirrten, manchmal feindseligen Stimme einen Raum zu geben. Und das ist okay. In dieser Phase meines Lebens geht es mir viel darum, auch unbequeme Gedanken zuzulassen – aber es sind auch nur Gedanken. Du weißt schon: „Alle Gedanken sind gleich“. Das ist auch so ein Meditations-Ding. Ein Gedanke ist nur ein Gedanke. Und nur weil du einen schlechten Gedanken hast, heißt das nicht, dass du ein schlechter Mensch bist – du bist einfach nur ein Mensch! Wir haben alle ständig irgendwelche Gedanken. Normalerweise bin ich ein netter Mensch, aber wenn du mir weh tust, dann denke ich „fick dich“. Oder? Das ist okay! Ich gehe nicht auf dich los und greife dich an, ich mache dich nicht zum Bösewicht, ich habe einfach nur diesen Gedanken. Auf eine Art, wenn ich mir erlaube diese Gedanken zu haben, wenn ich sie zulasse, dann hilft mir das, friedlich, freundlich und ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu sein. Es einfach raus lassen! Und dann weiter im Text. Es geht mir darum zu sagen: ich habe diese Gedanken. Und es ist okay! Und wenn du sie auch hast, dann ist das auch okay. Wichtig ist, dass wir Katharsis erleben. Dass wir uns ausdrücken und weiterziehen können. Ein bisschen wie Oasis: „Don’t look back in anger“ (lacht). Wenn du einen Weg findest, das sicher und produktiv auszudrücken, dann hast du den Zentralrechner gehackt. Es gibt einem Frieden zu akzeptieren, dass man als Mensch die ganze Zeit ziemlich viel Scheiße im Kopf hat. Interessant wird es wenn du dich fragst: welchen Gedanken schenkst du Aufmerksamkeit? Welche würdigst du? Und welche setzt du in die Tat um? Da wird es kompliziert (lacht). Aber zuerst, um weiterzukommen, musst du den Gedanken zulassen.
Ich höre dir so zu und denke, was für ein Geschenk es doch ist, sich durch Kunst ausdrücken zu können. Und das Beste ist, selbst wenn vieles durch die Pandemie härter und schwieriger geworden ist, das kann dir keiner nehmen.
Ja, und gleichzeitig ist es eine gute Erinnerung daran, dass man als Mensch viele Dinge einfach nicht kontrollieren kann. Es gibt bestimmte Dinge, die man kontrollieren kann und viele, viele, die man nicht kontrollieren kann. Wenn du das Chaos in der Welt akzeptieren kannst und gleichzeitig einen Sinn und Beständigkeit in allem findest, wenn du das schaffst, dann kannst du ein reiches und erfülltes Leben führen, trotz all dem Chaos. Es kann manchmal schwer sein, weil es so viel Ablenkung, so viele Fluchtwege, so viele Falltüren gibt. Aber es war wirklich schön dieses Ventil zu haben, Musik machen zu können. Es ist wie ein Zaubertrick. Du hast einen Gedanken und machst aus ihm einen Song – das ist doch Magie!
Was ich auch gedacht habe, als ich deine EP gehört habe: sehr gut, sie hat auf jeden Fall nicht ihren Humor verloren.
Oh, da bin ich froh (lacht). Humor ist der Schlüssel. Ich wollte Sinn für Humor und ein Gefühl der Selbsterkenntnis haben. Das war noch nicht mal beabsichtigt, ich habe es einfach passieren lassen. Ich nehme das was ich tue sehr ernst, in dem Sinn dass ich hart arbeite. Aber ich nehme mich selbst nicht zu ernst. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Unterschied. Ich brauche diese Unbeschwertheit, wenn ich mich mit meiner eigenen Entwicklung und meinem eigenen Trauma beschäftige. Als ich ein kleines Kind war, hatten meine Mom und ich eine schwere Zeit. Eines Abends hat es geregnet, wir sind bei einem Freund eingezogen, meine Eltern waren dabei sich zu trennen. Wir haben beide geweint, und meine Mom dreht sich um, sieht mich um und sagt: eines Tages werden wir über all das hier lachen. Das war wirklich weise und hat uns beide geprägt. Es war eine sehr traurige und hoffnungslose Zeit. Aber wie sie das gesagt hat, das hat irgendwie den Bann gebrochen. Ich denke, Humor zu haben – und wieder, Humor nicht im Sinne von Flucht, sondern in dem Sinn, dass man in der Lage ist, die Dinge so detailliert wie möglich zu betrachten – das ist so hilfreich. Ich bin wirklich froh, dass das durchscheint. „Dating My Dad“ finde ich am lustigsten. Aber ich wollte das in jedem Song haben. Musikalisch ist alles sehr laut und hart. Und die Texte finde ich auch oft hart. Ich brauchte also dieses Augenzwinkern. Ich zwinkere euch zu.
Weißt du, für einen Moment habe ich mit dem Gedanken gespielt, das Gespräch mit „Hi Katherine!“ zu eröffnen.
Oh, den Witz hätte ich akzeptiert (lacht). Der Song hat damit angefangen, dass Menschen auf der ganzen Welt mich seit bald zehn Jahren ständig fälschlicherweise mit Katherine ansprechen. Darum habe ich ihn geschrieben. Das Verrückte daran mit dem falschen Namen angesprochen zu werden ist, dass ein Name auf der einen Seite etwas völlig Willkürliches ist. Er hat nichts mit dir zu tun. Solang du ihn nicht rechtlich geändert hat, ist er etwas, das deine Eltern dir gegeben haben und womit du jetzt fest sitzt, total zufällig. Auf der einen Seite also, wenn dich jemand mit dem falschen Namen anspricht, wen kümmert’s? Es ist wirklich unwichtig. Aber natürlich, auf der anderen Seite ist es das nicht. Es ist das, was du bist. Und auf diese Art missverstanden zu werden, nicht korrekt gesehen zu werden, selbst wenn es total nebensächlich ist, das ist nicht okay. Es geht immer noch um dich. Wenn also jemand deinen Namen falsch schreibt, oder dich beim falschen Namen nennt, oder dich mit den falschen Pronomen anspricht, oder deinen Namen falsch ausspricht, weil du nicht der dominanten Kultur deiner Umgebung angehörst, dann ist das einfach sehr respektlos. Und sehr verstörend. Auf eine Art ist es die grundlegendste Form von Respektlosigkeit (lacht). Ich meine, ich kann dir gar nicht sagen, wie oft in meinem Leben ich Katherine genannt worden bin.
Verrückt. Und es ist noch nicht mal so furchtbar ähnlich.
Ich weiß! Habe ich irgendwo eine tote Zwillingsschwester namens Katherine? Bin ich Teil von einem verdammten Thriller und weiß nichts davon?!
Unser Interview mit K.Flay könnt ihr hier auch im englischen Original lesen.