July Talk im Interview

july-talk-touch-2016Leah Fey und Peter Dreimanis von der kanadischen Rockband July Talk sind zwei der exaltiertesten Peformer, die die Indie-Rock-Szene aktuell zu bieten hat. Sie sind bekannt für ihre wilde Bühnenperformance, bei der sie gerne bis an ihre körperlichen Grenzen oder auch mal darüber hinaus gehen. Ganz nebenbei sind sie aber auch zwei der nettesten Menschen, mit denen man sich unterhalten kann. Extrem liebenswert, klug, reflektiert und kreativ. Mir haben sie im Interview erzählt, was sie seit dem Release ihres Debütalbums gelernt haben und warum sie auf ihr neues Album „Touch“ besonders stolz sind.

Euer Debütalbum ist damals zuerst in den USA und dann nach und nach in anderen Ländern erschienen. Was ist das für ein Gefühl, wenn man über Jahre hinweg immer wieder die gleiche Platte promotet?

Peter: Es hat auf jeden Fall seine Zeit gedauert, uns überall vorzustellen. Ich glaube wir haben allein 500 bis 600 Shows zu dem Album gespielt Jetzt haben wir neue Songs, das fühlt sich so frisch an, wie ein unbeschriebenes Blatt. Vielleicht können wir jetzt ein paar Sachen ändern, wie wir arbeiten, wie wir leben, die Art wie wir touren. Wir haben immer wieder die Möglichkeit, Entscheidungen neu zu fällen. Verstehst du was ich meine?

Absolut. Ich stelle es mir auch spannend vor zu sehen, wie sich nach und nach immer mehr Länder erschließen. Aber es ist doch bestimmt auch anstrengend?

Peter: Definitiv. Unser neues Album „Touch“ ist überall am selben Tag raus gekommen. Das ist toll! Man muss nicht immer wieder von vorne anfangen. Aber damals war das alles auch noch total neu für uns. In Berlin sein, mit Leuten wie dir sprechen, unsere Musik für Leute in Australien spielen… Ich habe das Gefühl, dass wir uns mit all dem jetzt erst richtig wohl fühlen. Meinetwegen hätte es eigentlich noch ein Jahr so weitergehen können. Es war nie langweilig! Im Gegenteil, wir waren komplett überwältigt. Wir dachten immer dass wir eine Band sein werden, die vielleicht in ein Paar Städten rund um Toronto spielen wird. Man denkt doch vorher nicht, dass man auf der ganzen Welt herumkommen wird!

Leah: Wir machen uns auch selber Druck, immer und überall den besten Eindruck zu machen. Man will es nicht versauen, weil man denkt ja, dass einem all das jederzeit wieder weg genommen werden kann. Dass die Leute einen nicht mehr sehen, wollen, das Label einen fallen lässt… mit der Zeit wächst man in sowas rein. Ich glaube aber auch nicht, dass ich heute mehr weiß. Ich habe mehr gelernt zu akzeptieren dass ich nichts weiß (lacht).

Peter: Mit „Touch“ haben wir uns auf jeden Fall mehr gefunden. Als wir unser erstes Album aufgenommen haben, waren wir ja noch gar nicht wirklich eine Band. Das war total am Anfang, wir hatten vielleicht drei oder vier Shows zusammen gespielt. Inzwischen kommen wir auch mal dazu, zwischen all dem Chaos Luft zu holen. Das liegt an der Sicherheit, die wir durch unsere Musik gewonnen haben. Die kreativen Entscheidungen, die wir in den letzten Jahren getroffen haben, halten uns zusammen.

Eigentlich unglaublich, dass ihr vor eurem ersten Album so wenig Live-Erfahrung hattet. Inzwischen habt ihr ja einen Ruf als wirklich furiose Liveband.

Peter: Das war alles wirklich noch total am Anfang. Wenn ich mir heute das erste Album anhöre – was ich schon sehr, sehr lange nicht mehr gemacht habe… ich finde nicht dass es wirklich danach klingt, wie wir uns heute live anhören. Unser Geschmack hat sich nicht geändert, wir wollten wie eine harte Rock’n Roll Band klingen und das ist uns definitiv geglückt. Aber es klingt nicht wie das, was wir heute auf der Bühne machen. Wir wussten damals auch überhaupt nicht, ob wir als Liveband überhaupt funktionieren. Das kam erst als uns plötzlich bewusst wurde, dass wir mit dem Touren gar nicht mehr aufhören. „Touch“ ist jetzt das Ergebnis davon.

Euer Sound ist auch etwas spielerischer geworden. Ihr spielt mehr mit funkigen Tanzrhythmen und ihr habt ein paar wirklich tolle langsame Nummern drauf.

Peter: Wir haben mehr als 50 Songs für das Album aufgenommen. Waren uns aber eigentlich sofort einig, welche es auf das Album schaffen sollten. Und das waren immer die düsteren Nummern, zu denen man sich bewegen muss wenn man sie hört. Das ist auch mit der Verdienst unseres Produzenten Ian Davenport. Er hat uns Take um Take aufnehmen lassen, immer bis er meinte: da! Jetzt kommen die Hüften! (lacht)

Leah: Ich glaube, dadurch dass wir so viele Live Shows gespielt haben und angefangen haben, mit anderen Leuten über unsere Musik zu reden – untereinander reden wir nämlich nicht viel drüber… wir kamen immer wieder auf die gleichen Begriffe zurück. Menschlichkeit. Die Nähe zum Körper. Bei unserem ersten Album wussten wir einfach noch nicht so richtig, was wir da überhaupt machen. Es gab noch keine richtige Verbindung zwischen uns und unserer Musik. Menschlichkeit, Körper, Blut, Herzschlag, das waren die Gemeinsamkeiten, die sich mit der Zeit herausgestellt haben. Wir wollen, dass die Menschen, die unsere Musik hören, sie körperlich fühlen. Und wir wollen sie selber genauso fühlen, wenn wir sie live spielen.

Interessant ist aber, dass ihr dafür, dass ihr euch im Nachhinein so unwissend fühlt, ihr damals schon einen ziemlich besonderen Sound hattet. Es ist mehr so, dass ihr in weiter entwickelt habt.

Peter: Das Verrückte ist, du interviewst jetzt natürlich uns, aber auf eine Art sind wir die letzten, die dir dazu etwas sagen können (lacht). Ich glaube, mit einem Blick von außen sieht man das viel deutlicher. Wir wussten eigentlich schon immer, dass wir uns die Freiheit nehmen können, unseren Sound nicht übermäßig zu definieren. Leah und mein Gesang für sich ist schon sehr stark zu identifizieren. Wir dachten, wenn wir etwas raus bringen, das entweder zu elektronisch oder zu rockig ist, dann wird man uns zu stark über die Vocals definieren. Bei „Touch“ haben wir uns sehr frei gefühlt in dem, wofür wir uns entscheiden. Wichtig ist uns nur, dass wir uns als Band einig sind in dem was wir machen. Und das funktioniert eigentlich immer ganz gut. Wenn wir etwas hören das wirklich gut ist, dann wissen wir es alles sofort. Aber du hast recht, es hat auf jeden Fall eine Entwicklung gegeben. Wenn es die nicht gäbe, wäre es unerträglich langweilig.

Das heißt, ihr habt 50 Songs und seid euch immer sofort einig, welche davon funktionieren?

Leah: Absolut. Wir schreiben ja auch alle zusammen. Es könnte gar nicht anders sein.

Und gibt es auch mal so etwas wie eine Wildcard, wenn jemand besonders überzeugt von etwas ist?

Leah: Du meinst, dass einer die anderen überstimmen darf?

Peter: Es gibt natürlich schon Auseinandersetzungen.

Leah: Wenn das passiert, dass jemand sehr stark an etwas glaubt und die anderen davon überzeugen muss, dann muss das Gefühl sehr stark sein, dass er es auf dem Schlachtfeld aufrecht halten kann (lacht).

Peter: Das Ziel einer Band sollte immer sein, dass die Summe aller Teile eine einzige Stimme ergibt, zu der jeder etwas beiträgt.

Habt ihr in den vergangenen Jahren mehr Vertrauen erlangt in das was ihr tut und seid schneller mit den Ergebnissen fertig? Oder seid ihr eher noch kritischer mit euch geworden?

Leah: Ich glaube, die Extreme liegen weiter auseinander. Unsere verletzliche Seite ist wahrscheinlich noch verletzlicher als früher, dafür ist unser Selbstvertrauen in den Momenten in denen wir es haben, etwas stärker. Die Arbeit, die hinter allem steckt, ist aber immer noch genau gleich groß.

Peter: Das trifft es genau auf den Kopf.

Gibt es Dinge, die ihr auf der Bühne gemacht und anschließend bereut habt?

Leah: Natürlich!

Peter: Jeden Abend!

Leah: Na ja, vielleicht nicht jeden Abend… (lacht) Das heißt du willst sie wissen?

Unbedingt!

Leah: Einmal habe ich Peter die Augen mit Klebeband zugeklebt und ihm dabei fast die Augenbrauen abgerissen. Das hat mir leid getan. Es kann natürlich vorkommen, dass wir eine Show spielen müssen an einem Tag, an dem nicht alles zwischen uns rund gelaufen ist. Wir haben dann entweder die Möglichkeit, uns vorher zu umarmen und zu sagen komm, wir vergessen es. Oder wir müssen uns darauf einigen, dass wir uns an diesem Tag nicht mehr einig werden und es trotzdem durchziehen. Das ist an einem dieser Tage passiert.

Peter: Es war kein guter Tag, eine Show zu spielen.

Leah: Aber wir lernen aus so etwas. Dass es kein guter Zustand ist, um auf die Bühne zu gehen. Ich muss mir dann selber sagen tu es nicht! Am Ende wirst du böse und klebst Peter die Augen zu (lacht).

Peter: Man muss aufpassen, dass man nicht Dinge tut, für die man sich hinterher schmutzig fühlt, weil man weiß, man hat es aus den falschen Gründen zu weit getrieben.

Leah: Ja, man muss sich auf der Bühne füreinander verantwortlich fühlen. Wenn mir Peter während einer Show zu nah kommt und ich möchte das in diesem Moment nicht, dann kann ich mich entweder darauf einlassen, gegen ihn ankämpfen und die Spirale schraubt sich immer weiter nach oben. Oder ich gehe gar nicht darauf ein und dadurch passiert etwas anderes. Man muss auf der Bühne sehr wachsam sein, nach innen und nach außen. Man muss vor allem auf sich selber hören. Die Leute vor der Bühne fahren auf alles ab was passiert, egal ob es dir in dem Moment gut tut oder nicht. Die Kontrolle darüber musst du selber halten.

Interview: Gabi Rudolph

Foto (c) Universal Music