Beim letzten Mal gab es plötzlich Schnee, diesmal schwitzen Jonathan Jeremiah und ich in den Büros seines Plattenlabels um die Wette. Eine Hitzewelle hat Berlin fest im Griff, ein Ventilator surrt mehr oder weniger vergeblich vor sich hin. Der Laune tut das keinen Abbruch. Jonathan hat gerade beim „A Summer’s Tale“ gespielt, und er hat natürlich ein neues Album im Gepäck, das nun endlich veröffentlicht ist. „Good Day“ heißt es und handelt von dem Bestreben, in all den schlechten Dingen, die ständig passieren, nicht die guten aus den Augen zu verlieren. Ich glaube, das hat Jonathan Jeremiah ganz gut drauf.
Das letzte Mal als wir uns gesehen haben, hat es angefangen zu schneien. Heute sitzen wir hier und schwitzen.
Diese Hitze ist nahezu dramatisch. Ich hoffe du hattest trotzdem den Nerv mein neues Album zu hören.
Hatte ich. Zu deinem letzten Album habe ich gesagt, es wäre dein traurigstes. Du meintest damals: oh scheiße. Jetzt sind alle deprimiert (Jonathan lacht). Dein neues Album ist auf jeden Fall fröhlicher als das letzte.
Ich glaube gar nicht, dass ich explizit traurig war, als ich die Platte gemacht habe. Vielleicht etwas mehr abgekapselt von der Außenwelt. Es ist ein introvertierteres Album als das jetzige. Dieses ist eher… ich muss immer an das Wort „kühn“ denken, aber ich bin mir nicht sicher, ob man das in dem Zusammenhang benutzt. „Positiv“ finde ich auch schwierig, das klingt als wolle ich ein Lebensguru sein. Das ist es nicht. Ich würde sagen, ich konzentriere mich auf die guten Seiten der Dinge. Die schlechten Seiten kümmern sich von allein um sich selbst, deshalb sollte man sich um die positiven kümmern. Der Song „Good Days“ handelt ja davon, wie oft man von schrecklichen Tagen umgeben ist. Aber über schreckliche Tage will man keinen Song schreiben. Ich finde man muss die guten Dinge sehen, auch wenn sie sich unter tausenden von schlechten verstecken. Jetzt gerade liebe ich es zum Beispiel, dass deine Augen die exakt gleiche Farbe haben wie deine Haare.
Findest du? Ich war gerade im Urlaub, mein Kopf sieht aus wie ausgelutschtes Seegras.
Ich finde es fantastisch. Wo warst du im Urlaub?
Auf einer Insel in der Nordsee. Dieses Jahr war es dort aber eher wie in der Karibik. Mir ist es zu heiß, ich brauche dringend mal wieder ein paar Regentage.
Wünsch sie dir nicht zu doll, es werden sowieso wieder sehr viele davon kommen.
Wo wir bei Hitze sind – wo habt ihr denn das Video zu „Mountains“ gedreht?
Musikvideos sind immer so eine Sache. In den achtziger Jahren war das richtig groß, als MTV noch Musik gesendet hat. Ich weiß gar nicht, wie wichtig sie heutzutage noch sind. Aber es war irgendwie klar, wir brauchen eins. Ich dachte: ich habe die ganze Platte selbst gemacht, warum kann ich nicht auch mit ein paar Kumpels ein Video drehen? Also haben wir uns ins Auto gesetzt, wir hatten eine alte Hasselblad Kamera aus den Sechzigern, von der wir die Linse abgenommen haben. Dadurch wirkt alles wie eine Parfum Werbung (lacht). Die Kamerafahrten haben wir mit einem Steadycam Roboter gemacht, das sieht super professionell aus. Gedreht haben wir in einem kleinen Nationalpark in Holland.
Wirklich? Es sieht aus als würdet ihr mitten in der Wüste stehen.
Nein, es ist ein 55 Euro Easyjet Flug nach Amsterdam, du mietest ein Auto und eine Stunde später bist du da (lacht). Aber es stimmt, es sieht aus wie eine Prärielandschaft. Wunderschön. Ich hatte diese Idee von drei Voodoo-Engeln, die am Ende auftauchen, also habe ich drei Freundinnen gefragt, die verrückt genug waren das zu machen. Im weißen Kleid durch die Gegend zu stolpern, weil der Boden wirklich sehr unbequem war. Aber es hat viel Spaß gemacht. Viel harte Arbeit, aber viel Spaß. Wenn du etwas selber auf die Beine stellst, hängt alles an dir. Und du schleppst alles selbst durch die Gegend. Ob Lionel Richie so etwas macht? Ich bezweifle es.
Ich mag es sehr, dass der Song so schön stampft.
Ich bin kein religiöser Mensch, aber so ein leichter Gospel Vibe gefällt mir schon. Ich versuche auch immer, mich auf einen europäischen Soul Sound zu konzentrieren, nichts künstlich herzustellen, das mir selbst zu fern liegt. Es gibt eine große englische Soul Tradition, mit Leuten wie Dusty Springfield. Oder in Frankreich Serge Gainsbourg. Ich liebe auch Scott Walker, er kommt aus den USA, hat aber viel in England aufgenommen. Es gab eine Gruppe von vielleicht zehn englischen Session Musikern, die haben alles eingespielt was in den sechziger Jahren an Soul aufgenommen wurde. Ich weiß nicht ob es den Leuten so bewusst ist, aber England hat ein großes Erbe, wenn es um Soul Musik geht.
Du hast es ja schon gesagt, du hast das Album komplett selbst produziert. Als ich es gehört habe, hat mich das ganz schön umgehauen. Der Sound ist so schön, so groß, ohne übertrieben pompös zu wirken.
Das ist ja für mich einer der größten Irrglauben überhaupt, dass Computer alles größer machen. Es ist genau umgekehrt, je mehr du Dinge elektronisch übereinander legst, desto kleiner wird es am Ende. Wenn man Leute einfach gemeinsam spielen lässt, klingt es sofort offener und größer. Ich habe in Büros gearbeitet, mit Computern und Mousepads, und ich habe es nie geschafft, diese Welt mit Musik in Verbindung zu bringen. Außerdem brauche ich die Kommunikation mit Leuten. Wenn wir alle gemeinsam in einem Studio sitzen, unterhalten wir uns und tauschen uns ganz anders aus. Gleichzeitig ist es verrückt so zu arbeiten, weil es viel mehr Aufwand bedeutet. Keine Plattenfirma, die ganz bei Trost ist, würde einen Künstler drei Jahre lang ziehen lassen, damit er all das Geld für Orchester und Bands ausgibt. Kann man doch alles am Computer machen! Zum Glück hat mein Label mich drei Jahre lang mir selbst überlassen und mich machen lassen, was ich wollte. Das unterscheidet dieses Album von anderen. Es fühlt sich so frei an wie mein erstes, „Solitary Man“, bei dem ich die Songs schon aufgenommen hatte, bevor ich ein Label gefunden habe. Seitdem habe ich mich nie wieder so frei gefühlt wie bei diesem Album. Es ist ein großer Unterschied, wenn niemand kommt und dir sagt: Jonathan, wir brauchen noch einen großen Popsong. Warum versuchst du nicht ein bisschen mehr Uptempo? Ich glaube, das einzige was Leute von Musik wirklich wollen ist, dass sie authentisch ist. Man ist natürlich viel eingeschränkter in seinen Möglichkeiten und Entscheidungen, wenn man so authentisch wie möglich arbeitet. Das ist zum Beispiel meine Stimme, so ist sie nunmal. Aber ich glaube, dass aus Einschränkungen gute Dinge entstehen, bessere als wenn man alle Möglichkeiten der Welt hat. Ich hatte schon viel größere Budgets für Alben. Aber in dem Moment, in dem ich nur die Hälfte von dem Geld habe das ich brauche, fange ich genau an nachzudenken was ich wie möglich machen kann.
Ich stimme dir da absolut zu. Man kann es in so vielen Bereichen des Lebens nachvollziehen. Mir geht es zum Beispiel beim Kochen so, da werde ich viel kreativer, wenn ich nur eine bestimmte Menge an Zutaten da habe.
Perfektes Beispiel. Es ist genau das gleiche wie Kochen! Eine Zutat fehlt dir, also mach was draus. Am Ende kommst du auf deine eigene Lösung. Ich glaube das ist genau die Art von Kreativität, die man von anderen Menschen sehen will.
Wie lange bist du jetzt schon als Musiker tätig?
Ich habe mit sechs Jahren angefangen Musik zu machen, mit dem Songschreiben aber erst als ich 16 war. Ich war keins von diesen Kindern die Songs schreiben, ich hätte gar nicht gewusst worüber. Das ist heute noch so, ich möchte nur einen Song schreiben, wenn ich etwas zu sagen habe. Aber ich fühle mich gut dabei. Ich glaube, dadurch ist das Album auch so zu 100 Prozent Ich geworden. Seit acht oder neun Jahren bin ich jetzt bei Labels unter Vertrag.
Und hast seitdem Erfahrungen mit Labels unterschiedlicher Größe gemacht. Gibt es das denn wirklich noch, wie man es sich vorstellt, dass die Plattenbosse zu einem ins Studio kommen und sagen: mach das mal so und so?
Nicht wirklich. Ehrlich gesagt fand ich gerade die Zusammenarbeit mit Major Labels sehr aufschlussreich. Dort arbeiten Menschen mit viel Leidenschaft. Aber es ist auch so, dass man dort weiß was funktioniert und versucht das zu wiederholen. Wenn es um Kunst geht finde ich es schwierig, Dinge zu wiederholen. Ich sage ja immer, ich bin besessen von den Sechzigern und Siebzigern. Aber mehr in dem Sinne dass man zu dieser Zeit nicht ständig im Internet war, weil das einfach noch nicht erfunden war. Ich interessiere mich nicht so sehr für Technologie. Das heißt aber nicht, dass ich versuche genau das wiederherzustellen, was man in den Sechzigern gemacht hat. Zusätzlich passe ich nicht wirklich in Genres. Packt man mich jetzt in die Funk-, Soul- oder Pop-Ecke? Wenn ich selbst Musik höre gefallen mir auch die Sachen am besten, bei denen die Genres sich komplett vermischen. Ich denke, bei Major Labels arbeitet man mehr mit Vorlagen, die zum Erfolg führen sollen. Da passe ich einfach nicht so gut rein.
Ich bin immer beeindruckt wenn ich Künstler wie dich treffe, die schon so viele Jahre erfolgreich ihr Ding machen. Ich kann mir vorstellen, dass es ein hartes Geschäft ist.
Es ist verrückt. Du würdest es nicht glauben, wenn ich dir alles erzählen würde.
Ist es manchmal hart durchzuhalten? Also wenn man jetzt nicht gerade den riesigen Durchbruch macht und nur noch Arenen spielt.
Aber das ist ja auch nicht die einzige Motivation, für die man es machen sollte, Arenen spielen. Ich mache Musik weil sie in meinem Kopf ist und weil sie da irgendwie raus muss. Jeder hat doch etwas im Kopf, das er unbedingt ausdrücken möchte. Manche tun das heutzutage über Instagram, aber nicht jeder möchte sein Leben öffentlich leben. Wenn man das Bedürfnis hat sich über Musik auszudrücken, dann ist das mit viel Leidenschaft verbunden. Ich hasse die Vorstellung, ich könnte emotional von der Größe meines Publikums abhängen. Das würde für mich keinen Sinn machen. Ich liebe die Unvorhersehbarkeit meiner Liveshows. Es gibt keine Hintergrundtracks zur Unterstützung, oft weiß ich nicht was als nächstes passiert. Es ist ein bisschen wie auf dem Drahtseil, es gibt sehr zerbrechliche Momente. Das mag ich an kleinen Locations. Ich habe aber auch schon im Hyde Park vor 40.000 Menschen gespielt, das hat sich angefühlt als hätte man mich ins Feuer geworfen (lacht). Beides hat etwas für sich. Dafür sollte man es machen und nicht für goldene Schallplatten und Grammy Nominierungen. Wobei letzteres etwas ist, das ständig in meinem Kopf ist (lacht).
Interview: Gabi Rudolph
Foto: Glenn Dearing