JEREMIAS im Interview: „Für mich kann es nie schnell genug gehen“

JEREMIAS, das sind Jeremias (Klavier und Gesang), Jonas (Schlagzeug), Ben (Bass) und Olli (Gitarre). Das Quartett aus Hannover fand sich 2018 zusammen und erobert seitdem die deutsche Indie-Pop Szene. Zum Anlass ihres zweiten EP Releases habe ich 2/4 (oder auch die Hälfte) der Band über FaceTime kennenlernen und ein paar Fragen stellen dürfen. Als ich den Anruf annehme, sitzen Jeremias und Ben rauchend und Bier trinkend draußen. Sie sind für Proben und einen Videodreh raus aus der Großstadt aufs Land gefahren. Bevor ich mit meinen Fragen loslegen kann, höre und sehe ich ihnen zu, wie sie sich über Störche und Füchse in ihrem Garten freuen. Die Stimmung ist locker und trotzdem merke ich, dass sie mit ihren Gedanken bereits beim 12. Juni sind. 

Der 12. Juni ist dieses Jahr ein ziemlich besonderer Tag für euch, denn ihr macht eine Sache, dir ihr schon einmal gemacht habt und eine Sache, die ihr, wie ich denke, vorher noch nie gemacht habt. Ihr habt bereits letztes Jahr eine EP herausgebracht, „Du musst an den Frühling glauben“. Jetzt bringt ihr eine neue EP heraus, die den Namen „Alma“ trägt. Ist die Stimmung bei diesem Release anders? 

Ben: Ne, nicht wesentlich. Also klar ist es anders durch Corona, aber jeder Release, sei es Single oder EP, ist immer ein aufregender Tag und da ist immer der komplette Kopf nur bei der einen Sache. Aber ist auch schön. 

Die Sache, die ihr vorher noch nicht gemacht habt ist: ein EP Release Autokonzert in eurer Heimatstadt Hannover zu spielen. Seht ihr da irgendwelche Hürden und wie bereitet ihr euch darauf vor?

Ben: Also konkret darauf vorbereiten kann man sich glaube ich nicht, weil der Unterschied ist ja nunmal dass keine Menschen davor stehen, sondern eben hupende Autos. Das kann man wenig beeinflussen, aber wir sind glaube ich alle ziemlich gespannt darauf und proben unser Set halt so wie wir es normal auch spielen würden. Ist dann also praktisch die gleiche Vorbereitung wie bei Konzerten, wo Leute vor der Bühne stehen. Es wird schon ungewohnt sein die Leute nicht tanzen zu sehen. Vielleicht sieht man mal ein paar blinkende Lichter.

Jeremias: Keiner Applaudiert. Das wird glaube ich sehr spannend. Wir hätten eigentlich ’nen schönen Festivalsommer gespielt, der jetzt leider ausfällt. Wir freuen uns deshalb einfach umso mehr, dass wir einfach wieder auf der Bühne stehen können und die Bühne ist echt schön, deshalb freuen wir uns.

Eure Musikrichtung wird oft als Disco-Funk beschrieben. War das bei der Gründung der Band denn schon klar, dass es in diese Richtung gehen sollte, oder sind da schon öfter mal die Fronten aneinander gestoßen? 

Jeremias: Das war keine bewusste Entscheidung. Also Deutsch vielleicht schon, aber die Musik als solche, das Gerüst praktisch, das war plötzlich da. Wir kamen viel aus unterschiedlichen Richtungen und dann war dieses „Dance-Funky-Minimalistische“, trotzdem poppige, auf jeden Fall der eine Nenner, auf den wir uns alle irgendwie einstellen konnten.

Ihr habt in einem Interview mal gesagt, dass eure Songs meistens einfach beim miteinander Mukke machen entstehen. Da ist man ja eigentlich eher gut drauf. Wie kann man sich dann euren Schreibprozess bei Songs wie „Grüne Augen Lügen nicht“ vorstellen?

Jeremias: Textlich ist der Prozess da komplett anders. Ich schreibe die Texte dann alleine, da geht man in sich rein und schreibt aus der Emotion raus. Man ist einfach für sich und schreibt, was einem auf dem Herzen liegt. 

Eure Karriere ging ja ziemlich schnell ziemlich steil bergauf. Hättet ihr euch manchmal mehr Zeit gewünscht um in dieser Branche erstmal so richtig anzukommen und ein bisschen Luft zu schnuppern? 

Jeremias: Der Mensch ist ein Tier. Der Mensch will immer mehr und man vergleicht sich automatisch untereinander. Wenn du mich fragst, dann kann es nie zu schnell gehen.

Ben: Von Außen wirkt das vielleicht alles so rapide, aber wir haben teilweise Songs oder arbeiten an Sachen schon seit über zwei Jahren. Für uns ist das glaube ich nicht so ein Gefühl, dass das jetzt super schnell ging. Projekte sind zeitaufwändig und mühevoll, aber wir leben das und haben Bock darauf.

Jeremias: Was man manchmal vergisst: Benni spielt seit seinem 6. Lebensjahr Bass, ich hab mit 8 mit dem Klavier angefangen. Also der ganze Weg von da bis hierhin, das ist ein Prozess. 

Mittlerweile habt ihr ja schon eine gewisse Reichweite. Gerade in Zeiten wie diesen wird immer öfter gefordert, dass ihr diese nutzt. Ihr habt ja zum Beispiel auch beim #BlackOutTuesday mitgemacht. Findet ihr, dass ihr als Musiker politisch sein solltet, oder wie geht ihr Allgemein mit dieser Thematik um? 

Jeremias: Hast du den Kommentar gesehen? Wir saßen tatsächlich gestern am Feuer und haben uns darüber Gedanken gemacht, weil wir halt das schwarze Bild gepostet haben um unsere Solidarität, unser Verständnis und unser Einfühlungsvermögen im Prinzip auch bewusst öffentlich zu machen. Da kam dann tatsächlich ein riesiger Kommentar von einem Konto, das gesagt hat: „Ihr könnt doch nicht einfach nur das Bild posten. Ihr müsst da auch Links dazu packen.“ Das wird jetzt mehr und mehr Thema. Es ist schwierig, diese Zahl als Anlass zu nehmen. Zu sagen, weil ich jetzt so und so viele Leute erreiche, mache ich das jetzt. Auch wenn es mich selbst nicht berührt, was jetzt hier definitiv nicht der Fall ist. Das ist alles eine neue Erfahrung für uns und mit der gehen wir jetzt um. Es geht ja auch darum, ob das von einem selbst kommt, oder gefordert wird. Die Musik kommt von uns, deswegen machen wir das. Genau so wie die Texte und die textlichen Inhalte. Wenn wir sagen wir machen jetzt Politik, weil ein Konto schreibt, dass wir das machen sollten, ist das vielleicht auch nicht der richtige Weg. Es ist einfach alles ein Prozess.

Instagram ist ja auch nicht alles. Man kann außerhalb von Social Media Aktivismus betreiben.

Jeremias: Das meine ich ja. Man wird so festgenagelt auf ’ne visuelle Zahl, die gar nicht existent ist und das find ich manchmal dann ein bisschen schwierig. 

Ich hab neulich einen Artikel über unpeinlichen Deutschpop geschrieben. 

Jeremias: Ach ja, den hab ich gelesen. Mit Bruckner und Antje, oder?

Ja genau. Da hab ich geschrieben, dass ihr den perfekten Mix aus Songs zum Weinen, zum Tanzen und beides gleichzeitig tun mitbringt. Wie schafft ihr es so schnell von der einen Stimmung in die andere zu wechseln oder manchmal auch beide miteinander zu verbinden? Man lässt sich ja schon recht schnell von einer Stimmung runter oder eben auch hochziehen. 

Ben: Ich habe das Gefühl, dass wir textliches und musikalisches sehr voneinander trennen. Wir haben zum Beispiel Songs, die textlich vielleicht traurig oder melancholisch, aber trotzdem tanzbar sind. Früher haben wir das immer als tanzbare Melancholie bezeichnet. Ich glaube man darf nicht vergessen, dass es einmal die instrumentale Seite und einmal die textliche Seite gibt und dass die nicht unbedingt zusammenhängen.

Dann will ich jetzt aber auch noch von euch einen Lieblingssong zum gleichzeitig weinen und tanzen wissen.

Ben: „I Know“ von Tom Odell.

Jeremias: „Dynamit“ von Betterov.

Ihr habt ja schon drei Singles von eurer EP „Alma“ herausgebracht. Auf den Covern sind bereits drei von euch zu sehen, auf das EP Cover hat es dann letztendlich anscheinend Oli geschafft. Wie wurde denn beschlossen, wer auf welchem Cover zu sehen sein wird und gibt es da eine Bedeutung? 

Das wird man dann sehen. Also Alma heißt ja einmal übersetzte „Seele“ und „junge Frau“. Das sind die beiden Übersetzungen. Und Olli hält sich auf dem Cover die Augen zu. Das war eigentlich purer Zufall.

Ben: Das ist sein Move.

Jeremias: Aber um das jetzt auch auf die Musik anzuwenden, fordern wir den Hörer auf nicht mit den Augen zu hören, sondern mit der Seele. Das ist natürlich nicht zurecht gelegt.

Das ist schon die halbe Miete, wenn man das begründen kann. „Alma“ kommt ja ziemlich schnell nach eurer letzten EP „Du musst an den Frühling glauben“. Gibt es einen Grund dafür, dass ihr zwei EPs veröffentlicht anstatt ein Album? 

Jeremias: Für uns selbst glaube ich erstmal weil wir Zeit brauchten und auch wollten. Außerdem ist es immer schöner mehr Nachfrage zu haben, als Angebot. Das macht grundsätzlich ja schon mal Sinn. Lieber nen kleinen Club ausverkaufen als in nem großen, leeren zu spielen. Lieber weniger Merch produzieren, der dann schneller ausverkauft ist. Zum anderen erzählt sich die EP in sich so gut, dass es keine anderen Tracks darauf braucht. Und im Dezember, als wir „Alma“ aufgenommen haben, waren wir vielleicht musikalisch auch einfach noch nicht so weit zu sagen: „komm, wir machen jetzt 12 Songs und rasten komplett aus.“ Also eigentlich ist es so wunderbar und sehr schön für uns, dass wir uns peu à peu jetzt und hier steigern können.

Bei euch ist es ja nicht so, dass ihr schon seit Ewigkeiten miteinander spielt, da ist die Aufregung vor den Gigs bestimmt noch ziemlich intensiv. Habt ihr da irgendein Backstage-Geheimnis oder Ritual? 

Ben: Ja haben wir. Wir stellen uns alle zusammen in einen Kreis, dann formen unsere Füße einen Stern und dann, auch wenn man es nicht glauben mag, sind wir mal eine Minute sehr ruhig. Aber mal ganz ehrlich, die Aufregung tut auch gut. Das Adrenalin und das Zittern das macht das alles auch irgendwie aus. 

In dem letzten song eurer neuen EP „Lass dich“, übrigens mein absoluter Favorit,

Jeremias: Meiner auch. 

Da beginnt ihr gleich mit „Ich klaue Flaschen aus dem Backstage.“ Was ist denn euer Lieblings Backstage-Getränk? 

Ben und Jeremias durcheinander: Bier, Gin Tonic, Wein.

In dem Song geht es ja offensichtlich ums Loslassen, ein Muster, das immer wieder auf dieser EP auftaucht. Passiert es denn generell häufig, dass ihr aufgrund eurer Karriere Abstriche machen müsst, und wie geht ihr damit um? 

Jeremias: Naja, was heißt Abstriche? Natürlich leben wir für die Musik, komplett. Das muss man auch einfach tun, weil man sonst verhungert. Also wir machen nichts anderes. Wir stehen auf und gehen schlafen mit dem Gedanken die Band weiter zu führen und wachsen zu lassen. Dieses Jahr ja leider nicht. Dieses Jahr ist alles ziemlich entspannt. Letztes Jahr war es schon so, dass wir auch viel unterwegs waren. Das kommt schonmal vor, dass man dann nicht so viel Zeit für beispielsweise den Beziehungspartner hat. Aber das ist kein Grund sich dafür zu entschuldigen, glaube ich. Also die gesunde Basis ist da Hand in Hand miteinander zu gehen und sich vor allem auch gegenseitig zu unterstützen. Man sollte sich nicht einschränken müssen.

Auf eurer letzten EP singt ihr von einer Wünsche-Flatrate, deswegen meine letzte Frage: was würdet ihr euch denn von einer Wünsche-Flatrate für die Zukunft wünschen?

Ben: 2021 komplett zu eskalieren. Also live-technisch. So viel zu spielen wie möglich. Alles, was uns dieses Jahr verwehrt bleibt nachzuholen und noch mehr.

Foto © Isabel Hayn

www.jeremiasmusik.de