Jamie Lidell im Interview

jamie_lidell_2016_credit_lindsey_romeJamie Lidell erzählt auf seinem neuen Album „Building a Beginning“ von einer ganz besonderen Phase seines Lebens. Der Name ist Programm: er ist Vater geworden, hat sein Label verlassen und nach über 20 Jahren im Musikgeschäft besonders in den letzten Jahren viel Neues gelernt. Davon erzählt er mir in unserem Gespräch sehr entspannt, sehr gutlaunig und vor allem sehr ausführlich („du musst mich bremsen, sonst rede ich morgen noch“). Ich hätte ihm auch gerne noch ein paar Stunden meiner Zeit geopfert.

Als ich dein neues Album gehört habe musste ich daran denken, wie lange es her ist, dass ich dich zum ersten Mal live hier in Berlin gesehen habe. Wie lang du schon dabei bist und so kreativ deinen Weg gehst.

Ich weiß. Seit 20 Jahren! Aber neulich meinte jemand zu mir Musik hält jung und dem stimme ich völlig zu. Der kreative Prozess ist so spielerisch, das hält dich in Kontakt mit deinem inneren Kind. Ich liebe das. Es ist lustig, mein Vater wohnt jetzt in diesem wunderschönen Haus in Südfrankreich. Wahnsinnig idyllisch, aber es ist überhaupt kein Ort um kreativ zu sein. Ich fühle mich dort gefangen. Ich brauche ein paar Instrumente und einen Ort um etwas zu kreieren, meinetwegen in einem Keller. Meinem Vater geht es super gut, ich fühle mich dort gefangen.

Aber arbeitet dein Vater noch?

Nein, er ist im Ruhestand.

Nun ja, da hast du den Unterschied.

Das stimmt! Aber selbst wenn ich im Ruhestand wäre, es würde niemals aufhören.

Wie geht man als Musiker überhaupt in den Ruhestand?

Man tut es nicht. Wobei, manche tun es. Die werden aber auch von anderen Kräften angetrieben. Wenn die Hauptmotivation die ist, berühmt zu sein, dann geht einem das irgendwann auf die Nerven. Man erreicht den Ruhm entweder und verliert ihn wieder oder man erreicht ihn nie in dem Maße, in dem man es sich gewünscht hat. Dann hat man irgendwann das Gefühl versagt zu haben und zieht sich zurück. Aber wenn die Musik das ist, worum es wirklich geht, dann hat man nichts zu verlieren. Jetzt habe ich einen kleinen Sohn und sehe ihm dabei zu, wie er Musik entdeckt und alles fängt wieder von vorne an. Und diese Begeisterung für Musik hält einen definitiv jung.

Neulich ist mir bewusst geworden, dass mein Vater nur ein paar Jahre älter ist als Mick Jagger. Ich konnte es gar nicht glauben

(lacht) Oh mein Gott, ich weiß was du meinst! Die Stones sind aber auch ein ganz besonderer Fall. Das was sie tun ist völlig natürlich für sie. Es gibt noch mehr solche Fälle. Ich habe einmal mit James Brown gespielt, kurz bevor er gestorben ist. Er war auch über 70. So voller Leben! Das ist so cool. Und wenn man es so betrachtet, kriegt man das Gefühl dass unser ganzes Leben immer noch vor uns liegt.

Ich habe gelesen, dass du inzwischen einen Sohn bekommen hast, aber ich hätte auch nur dein neues Album hören müssen, um es zu erfahren. (Jamie lacht) Seien wir ehrlich, bei diesem Album regnet es Herzen und Blumen vom Himmel. Besonders im Vergleich zu deinem letzten.

Da hast du’s. Absolut.

Welches ja irgendwie immer noch mein persönlicher Favorit ist. So ein düsteres Biest.

Ja! Ich habe es auch geliebt. Ich weiß auch nicht, warum viele es als so schwierig empfunden haben. Ich fand es eigentlich ziemlich poppig. Sehr gute Songs.  Ich weiß noch, wie ich das Album bei Warp Records eingereicht habe und der Chef auf mich zukam und sagte: Jamie! Wenn dieses Album von einem Newcomer käme, das wäre ein Smashhit! Und ich dachte: okay… toll! Von dem Moment an habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet. Ich dachte wenn das Label sich so fühlt, sie mögen das Album aber sie wünschten es wäre von einem 20 jährigen gekommen… dass sie es dann als total neuen Sound pushen könnten… ich wusste es wird schwierig. Es ist hart! So hart im Spiel zu bleiben. Die PR Leute haben dann versucht es als Comeback zu verkaufen. Ich dachte nur Comeback, das ist interessant. Mir war gar nicht bewusst dass ich weg war. Das einzige was ich weiß ist, dass ich nie vorher weiß, wie ein Album werden wird. Ich könnte dir auch jetzt nicht sagen, was ich als nächstes vorhabe. Einen wilden, elektronischen Ritt oder ein sanftes, pastorales Akustikalbum. So war es schon immer, so funktioniere ich.

Kannst du hinterher benennen, warum ein Album so geworden ist, wie es am Ende ist? Warum es so klingt wie es klingt?

In diesem Fall ja. Es gab viele Veränderungen in meinem Leben. „Building a Beginning“ ist ja auch ein ziemlich offensichtlicher Titel. Er steht für das was passiert ist seitdem Julian, mein Sohn, da ist. Aber es sind auch andere Dinge passiert. Ich habe Warp Records verlassen, mit denen ich 14 Jahre in einem professionellen Verhältnis stand. Das ist eine ganz schön substantielle Beziehung. Ein Teil meines Lebens, den ich ihnen gegeben habe, ich habe sehr eng mit ihnen zusammen gearbeitet. Es hat mich viel gekostet zu gehen. Plötzlich stand ich ganz allein auf weiter Flur. Niemand hat mich gedrängt etwas zu veröffentlichen. Ich wusste noch nicht einmal ob ich überhaupt je wieder ein Album veröffentlichen würde! Vielleicht war ich damit durch und würde den Rest meines Lebens als Co-Writer arbeiten. Was ich eine Zeitlang auch gemacht habe. Ich habe mit Lianne La Havas gearbeitet. Ich meine, das war toll, es hat mir eine Grammy Nominierung gebracht! Völlig bizarr. Plötzlich war ich in dieser Welt. Ich habe mit vielen spannenden Leuten gearbeitet. Dabei ist mir eins bewusst geworden: Diese Art zu arbeiten ist etwas, das man überhaupt nicht kontrollieren kann. Du weißt nie, ob es den A&R Leuten gefallen wird, ob sie es benutzen werden. Und da ich das Gefühl nicht los werde dass ich als Mensch vielleicht nur eine begrenzte Anzahl von Songs in mir habe und einige davon inzwischen verschwendet habe, kam ich irgendwann an den Punkt an dem ich dachte, ich habe immer noch selbst eine Karriere. Warum tue ich so, als wäre das schon vorbei? Da hat sich ein Schalter umgelegt und ich dachte, ich muss mich endlich wieder auf mich selbst konzentrieren. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon ein paar Songskizzen fertig. Keinen von den Songs auf dem Album hätte ich jemand anderem gegeben, dazu sind sie viel zu persönlich. Sie haben sich über die letzten drei Jahre angesammelt, sind also in einem recht langen Zeitraum entstanden, weshalb es gar nicht so einfach war, sie klanglich auf einen Nenner zu bringen. Also musste ich Recording Sessions machen und sie neu einspielen, das Schlagzeug und die Background Vocals so arrangieren, dass es alles zusammen passt. Am Ende hatte ich 17 Songs, die zusammen gepasst haben. Aus denen ist die Grundstimmung für das Album automatisch entstanden. Ganz organisch. Dass ich mir so viel Zeit mit der Entstehung lassen konnte war sehr befriedigend. Und wenn ich in dieser langen Zeit immer noch aufgeregt wurde, wenn ich einen Song gehört habe, dann war das wohl ein Zeichen dass er gut ist. Normalerweise langweile ich mich schnell. Das ist ein zuverlässiger Qualitätstest.

Interessant, dass du über so einen langen Zeitraum daran gearbeitet hast. Wenn man das Album hört fühlt es sich eher wie eine komprimierte Momentaufnahme aus deinem Leben an.

Ja, ich weiß was du meinst. Der Sound, die Drums, die Vocals, das macht einen großen Unterschied. Wenn du die frühen Skizzen gehört hättest würdest du wahrscheinlich nicht so denken. Das ist eine schöne klangliche Illusion, die man auf diese Weise kreieren kann. Nach ein paar Alben habe ich gelernt, auf diese kleinen Dinge zu achten und was für einen großen Effekt sie am Ende haben. Ich finde aber auch, dass das Album einen eher zeitlosen Klang hat. Es spiegelt nicht so sehr das aktuelle Jetzt wieder, keine modernen klanglichen Klischees, keine hoch gepitchten Vocals. Hätte ich auch machen können, hat mich in dem Fall aber nicht interessiert. Ich wollte, dass es sich zeitlos anfühlt. Ich glaube, genau so fühle ich mich im Moment nämlich selber. Für mich ist es gerade nicht so wichtig, das Spiel mitzuspielen. In Nashville zu leben spielt dabei wahrscheinlich auch eine Rolle. Ich bin nicht so der große Country Fan, aber ich respektiere gutes Handwerk. Eine gute Geschichte, gut erzählt, eine zeitlose Melodie, das kriegt einen schon, auch wenn es einen vielleicht nicht tief berührt. Es funktioniert. Besser als moderne Produktionstricks, bei denen die A&Rs rufen: es ist modern! Es ist wettbewerbsfähig! Diese Leute nerven mich im Business. Und ich hasse es, wenn man versucht die Leute für dumm zu verkaufen. Wenn man sich keine Mühe gibt mit dem was man tut. Selbst wenn man Scheiße produziert, dann sollte man sich wenigstens die Mühe machen sie gut zu produzieren. Ich habe als Co-Writer auch schon versucht, einfach eine Form zu erfüllen, ohne dass etwas dahinter steckt. Die Leute merken das! Es ist interessant. Ich habe auf diese Weise viel gelernt. Es gibt keinen wirklich plausiblen Grund etwas vorzutäuschen. Wenn du genau das machst, was du wirklich machen willst, dann werden es die Leute auch mögen. Und du bist ein glücklicherer Mensch!

Es gibt so scheußliche Dinge in dem Business, ich glaube die kann man nur durchziehen, wenn man mit dem Teufel im Bunde ist.

Das ist absolut wahr! Ob buchstäblich oder sinnbildlich sei dahin gestellt, aber genau so ist es. Um ganz klar zu sagen „ich möchte den und den Erfolg und genau so soll er aussehen“, muss man schlimme Dinge tun. Aber es gibt Menschen, die können das durchziehen.

Das heißt aber auch, als du mit der Arbeit an dem Album angefangen hast, warst du schon nicht mehr bei Warp Records. Wusstest du überhaupt, was damit passieren würde?

Ich hatte bereits einen Publishing Vertrag unterschrieben, bei Kobalt Records. Darüber bin ich sehr glücklich. Ich wollte genau das, einen Publishing Deal, der aber eine reine Verwaltungssache ist, an den keine Erwartungen geknüpft sind. Ich wusste ja wie gesagt noch nicht einmal, ob ich überhaupt noch ein Album machen würde. Aber auf diese drucklose Weise habe ich wieder gelernt Spaß daran zu haben. Ich liebe diese Art zu arbeiten: du gehst mit jemand Fremdes in einen Raum, hast nichts außer ein leeres Blatt Papier und die Absicht, im Lauf des Tages etwas Gutes zu kreieren. Das macht so viel Spaß! Es zeigt dir die Natur der Dinge. Denn manchmal, mit deiner größten Anstrengung und deinen besten Absichten, hast du am Ende gar nichts. Manchmal, ohne jegliche Absicht, verfliegt einfach die Zeit und am Ende kommt etwas Gutes dabei raus.

Ist das nicht auch das Besondere an Nasvhille? Dass man jederzeit diese tollen Musiker bekommt mit denen man einfach loslegen kann?

Absolut. Obwohl ich das so noch gar nicht wirklich gemacht hat. Mit der typischen Nashville Musikcommunity hatte ich bisher nicht so viel zu tun. Erst als ich jetzt an dem Punkt war, an dem ich mir eine Live Band zusammen stellen musste, wusste ich, dass ich mir Nashville genauer angucken muss. Sobald ich mich geöffnet habe war es unglaublich. Die Soul- und Gospelszene in Nashville ist übrigens auch einmalig. Das wusste ich zum Beispiel gar nicht. Die meisten der Musiker auf meinem Album sind Kirchenmusiker. Auch daraus habe ich wahnsinnig viel gelernt. Die Kirchenmusikszene ist nämlich extrem kompetitiv. Die Kirchen konkurrieren miteinander und die Musiker in den jeweiligen Kirchen auch noch untereinander. Das ist ein sehr spezielles Leben, die Leute wachsen quasi auf der Bühne auf. Die Kirchen haben wahnsinnig gute Soundsysteme, da fließt richtig viel Geld rein. Wenn du in Nashville sonntags in die Kirche gehst erlebst du ein Konzert auf höchstem Niveau. Als Musiker kommst du da überhaupt nur rein wenn du auf extrem hohem Niveau spielst.

Ich habe gelesen dass du auf deinem Album mit Daru Jones gearbeitet hast, der ja auch für Jack White Schlagzeug spielt.

Bestes Beispiel. Er kommt auch aus der Kirche. Er hat alle Drums auf meinem Album eingespielt. Alle Musiker, mit denen ich gearbeitet habe waren unglaublich. Eigentlich ist es das, was ich gelernt habe: nächstes Mal wenn ich ein Album mache rufe ich gleich die besten Musiker an (lacht). Keine Zeit mehr verschwenden. Wenn du dir Gedanken darüber machst, wofür du dein Budget verwenden sollst, gib es komplett für Musiker aus. Dann musst du dir über gar nichts mehr Gedanken machen. Noch nicht mal übers Mischen. Alle in einen Raum, Aufnahme drücken, das war’s. So einfach ist es. Ich weiß auch nicht, warum ich so lange gebraucht habe das zu verstehen. Endlich ist der Groschen gefallen! (lacht)

Jamie Lidell Live:

22.10.2016 – Uebel&Gefährlich (Hamburg)
23.10.2016 – Astra (Berlin)
30.10.2016 – Kantine (Köln)
31.10.2016 – Technikum (München)

Interview: Gabi Rudolph
Foto (c) Lindsey Rome

www.jamielidellmusic.com