„Turbines“ heißt das neuste Werk der sechs Briten von Tunng um Gründungsmitglied Mike Lindsay. Nach dem sie 2010 mit „…And Then We Saw Land“ das erste Album ohne das zweite Gründungsmitglied Sam Genders veröffentlicht haben, scheinen sie endlich wieder zu sich selbst gefunden zu haben. Das Album ist durchzogen von Harmonie beim Gesang und in den Melodien. Fast ein wenig einlullend, Entspannung pur, die nur ab und zu eine Kante vermissen lässt. Anfang Mai standen uns Mike Lindsay, Becky Jacobs und Ashley Bates Rede und Antwort.
Ist die Band ein Vollzeithobby oder ein Teilzeitjob?
Mike Lindsay: Verschiedene Antworten für verschiedene Leute. Für mich ist die Musik ein Vollzeitjob, Hobby und Leben. Tunng hat einen großen Anteil daran. Ich habe viel Glück und kann von der Musik leben, wenn auch nicht reich werden. Durch Tunng hatte ich die Möglichkeit das zu tun, denke ich. [guckt Becky an] Wie ist es bei dir?
Becky Jacobs: Wenn es läuft, dann ist es so ziemlich ein Vollzeitjob, aber zwischendurch haben wir andere Karrieren. Tatsächlich bin ich Produzentin beim Radio. Wir haben schon lange nicht mehr zusammen gespielt und die meisten von uns haben zwischen den Auftritten und dem Schreiben andere Verpflichtungen, Projekte und andere Arbeiten.
Ashley Bates: Es ist ein Vollzeitjob, aber der Lohn ist nicht der gleiche. Man muss andere Sachen machen. Ich mache Musik. Das ist alles, was ich mache. Tunng ist nur eine der Sachen, die ich mache, aber wenn das läuft, ist es Vollzeit.
Dieses Mal wart ihr ja sehr viel konzentrierter bei der Aufnahme. Ich habe mich gefragt, wie schwer es war den Aufnahmeprozess zu ändern. Beim letzten Album war es noch anders.
Mike: Bei allen anderen Alben haben wir es anders gemacht. Wir haben sie am gleichen Ort aufgenommen, einem Keller im Osten London. Unsere geographische Situation hat zwischenzeitlich sich verändert – ich lebe nicht mehr in England. Andere sind aus London weggezogen. Als wir beschlossen hatten mit dem Album anzufangen, mussten wir einen Ort finden, an dem wir 24 Stunden zusammen leben, abhängen und aufnehmen konnten. Das war großartig. Wir haben das vorher noch nie gemacht.
War es schwer zu sagen: „Ich ziehe jetzt in ein anderes Land“, wenn man ein Projekt wie Tunng hat?
Mike: Ich habe nicht beschlossen in ein anderes Land zu ziehen, das andere Land hat beschlossen, dass es mich wollte. [lacht]
Man hätte ja immer noch nein sagen können…
Mike: Ich war machtlos. Nach dem wir die Tour zum letzten Album abgeschlossen hatten, hatte ich etwas Zeit und habe beschlossen selbstständig ein Projekt zu machen. Es endete damit, dass ich dort lebte und dann blieb. Natürlich ist es schwer, es ist ein Teil meines Lebens und sie sind meine Freunde. Es ist schwer, aber wir haben es geschafft, nicht wahr? Ich komme oft zurück und jetzt grade sind wir zusammen.
Hat Reykjavik die Art wie du Musik schreibst beeinflusst?
Mike: Ich weiß nicht, ob es mein Schreiben für das Album direkt beeinflusst hat, weil es ein kollektives, gleichberechtigtes Schreiben war. Es hat allerdings mein Selbstbewusstsein beeinflusst und ich konnte etwas aus meinem System kriegen. Ich war in der Lage mich besser auf diese Projekte konzentrieren zu können. Und ich war offener.
War es für den Rest der Band genauso?
Becky: Ja.
Ashley: Es ist das erste Album, das wir wirklich alle geschrieben und aufgenommen haben. Es ist das einzige, wo wir es so gemacht haben. Sonst war es immer hier und da ein Teil, manchmal haben vier zusammen geschrieben, aber es waren niemals alle. Es ist anders. Um ehrlich zu sein, ist es vermutlich einfach schneller, obwohl es immer noch ein Jahr gedauert hat. Das eigentliche Album wurde in 2,5 Monaten gemacht, aber verteilt. Ich bin mir nicht sicher, ob wir 2,5 Monate am Stück in ein Studio gehen könnten und mit einem guten Album herauskommen würden. Wir brauchen nach jeder Session eine Pause voneinander. Ich denke nicht, dass Mike einen Einfluss von Außen mitgebracht hat.
Mike [zu Ashley]: Hast du keinen Einfluss von Außen bei mir gespürt? Denkst du, ich habe irgendwas mitgebracht nach meinen Erlebnissen?
Becky: Dieses Äthiopische Ding, aber das hat nicht mit Island zu tun.
Mike: Das ist wahr. Wir haben nicht viel darüber gesprochen. Ich habe mit meiner Freundin einen Monat lang Urlaub in Äthiopien gemacht. Als ich wieder zurück war, habe ich der Band vorgeschlagen, ein von äthiopischem Pop inspiriertes Album zu machen. Ich war total davon überzeugt, weil ich dachte, dass diese Musik wirklich verdreht ist. Die anderen waren nicht so begeistert.
Ashley: Keiner von uns war dort. Wir konnten es nicht nachvollziehen.
Mike: Aber es gab ein paar Samples von äthiopischen Pop Rhythmen, zu denen wir am Anfang gejammt haben. Es schaffte es also doch auf das Album.
Ashley: Es war die Sache, die alles ins Rollen gebracht hat. Aber wie viel ist davon auf das Album gelangt? Ich denke, es ist verschwunden. Es war vielleicht die Grundlage. Offensichtlich war es ein Einfluss, aber am Ende schimmert nicht mehr viel davon durch.
Wie würdet ihr das Endprodukt nennen?
Mike: Ich denke, es ist so etwas wie „Sci Fi Psychdelic Folk Rock Twitched Pop“. Mit der Instrumentation hat es auf jeden Fall etwas von Folk Rock. Es hat auch einen leichten klassischen Retrosound, weil wir originale Bandverzögerungen benutzen und das Schlagzeug versucht sich etwas nach 70iger Jahre anzuhören. Ob das allerdings so rüberkommt, weiß ich nicht. Ich habe das Gefühl. Außerdem benutzen wir diese alten Synthesizer, 80iger Jahre Filmsoundtrack.
Seid ihr zufrieden mit den Songs? Beim letzten Album habt ihr sie nach der Fertigstellung noch verändert?
Ashley: Bei den letzten Alben brauchten wir eine Menge schwieriges Zeug um sie für den Auftritt zu stärken. Bei diesem ist das nicht so der Fall.
Mike: Ja, wir sind definitiv zufrieden, aber ich denke, es hätte in viele Richtungen gehen können. Live haben wir die Gelegenheit diese Songs zu präsentieren und zu erforschen. Sie haben verschiedene Formate durchlaufen während der Aufnahme. Schauen wir mal wie sich das entwickelt. Jeder hatte eine Meinung wie diese Songs am Ende sein sollten. Meistens hatten wir die gleiche Meinung, aber manchmal auch nicht.
Was habt ihr dann gemacht? Der Boxring?
Becky: Ja.
Mike: Ein paar heftige Diskussionen gefolgt von ein paar betrunkenen Umarmungen. Einmal bin ich zu Ashley in die Küche gegangen. Er hat um 6 Uhr morgens wütend den Abwasch gemacht nach einem verdrehten Gespräch.
Ashley: Das war das einzige… Ich kann mich nicht mal erinnern.
Mike: Ich habe ihn dann in der Küche umarmt.
Ashley: Es war das einzige Mal, dass ich „Fuck you“ gesagt habe und rausgegangen bin.
Mike: Es ist einfach falsch rüber gekommen. Aber das ist es worum es geht, wenn man eng zusammenarbeitet und einem wichtig ist, was man macht. Wir sind zufrieden, aber es hätte auch andere Versionen geben können, mit denen wir gleichermaßen zufrieden gewesen wären.
Auf diesem Album tauscht ihr die Textzeilen oft – ist das eher ein Zufall oder ein Zeichen dafür, dass ihr als Band mehr zusammengewachsen seid?
Becky: Auf den vergangenen Alben habe wir uns den Gesang oft geteilt. Diesmal habe wir mehr mit Überscheidungen gearbeitet – Wörter, die sich überlappen, weitersingen und etwas anderes sagen. Ich denke, wenn man einen Haufen Sänger hat, dann ist es nett mal was anderes auszuprobieren.
Mike: Ich erinnere mich an ein Gespräch über diese Idee, bevor wir überhaupt mit den Texten und so weiter angefangen haben. Wir wollten nicht immer nur alle gleichzeitig singen, das machen wir auch noch oft auf dem Album. Es war eine Wahl die drei verschiedenen Stimmen zu verwenden. Besonders in „By This“, bei dem Ashley viel an dem Text mitgearbeitet hat. Das letzte Wort eines Satzes ist das erste Wort der nächsten Person. Das ist wirklich nett.
Ashley: Ich glaube, das Gespräch gab es schon beim letzten Album, aber aus irgendeinem Grund haben wir es nicht gemacht.
Mike: Ich denke, wir waren nicht selbstbewusst genug ohne Sam. Bei diesem Album hatten wir das Selbstbewusstsein, die einzelnen Stimmen ihre eigenen Stimmen zu sein. Wir haben uns auch mehr an unsere Stimmen gewöhnt. Ich habe mich nie als Sänger gesehen und tue es auch jetzt noch nicht. Ich singe ziemlich viel, also sollte ich mich vielleicht langsam daran gewöhnen.
Wenn es dir nur genug Leute sagen, dass du ein Sänger bist, nimm es hin und tu so als wärst du einer.
Mike: Genau. Oder wenn man oft genug singt. Ich glaube nicht, dass die Leute denken, dass ich ein Sänger bin, aber ich zwinge es ihnen auf. Wir haben Charakter in unseren Stimmen und wir nutzen das auf diesem Album mehr aus, besonders Ashley. Er war immer ziemlich begraben auf dem letzten Album. Diesmal spielt er eine ziemlich wichtige Rolle bei einigen Songs.
Wie ist es, seit 10 Jahre zusammen zu sein?
Mike: Es sind 8 Jahre seit dem wir zusammen sind, 10 seit ich Sam getroffen habe und es angefangen hat. Das erste Album kam 2005. Wie war es, Becky?
Becky: Es war nett.
Das hört sich überzeugend an, Becky. Jetzt kann ich sehen, wieso ihr zwischen den einzelnen Sessions immer ein paar Monate Pause brauchtet. [alle lachen]
Becky: Es ist wie Familie. Wir lieben uns, aber manchmal ist es schwer. So ist es eben. Wir haben eine großartige Zeit zusammen und manchmal ist es herausfordernd, besonders für mich, weil ich das einzige Mädchen bin.
Mike: Es waren gute 10 Jahre, vermutlich die großartigsten 10 Jahre meines Lebens. Ich meine, wo wäre ich heute ohne diese 10 Jahre?
Becky: Darüber möchte ich gar nicht nachdenken.
Mike: Wenn wir nicht Tunng gemacht hätten, was hätten wir gemacht? Wir wären nicht wir. Ich hätte gehofft, dass ich immer noch relativ erfolgreich Musik machen würde. Aber das war ein Durchbruch für mich und nimmt uns fortlaufend neue Abenteuer auf der ganzen Welt. Es waren die besten 10 Jahre meines Lebens und wer weiß, wo wir ohne das heute wären.
Ashley: Mein Job ist es Musik zu machen, aber nicht mit anderen Leuten. Ich bin alleine in meinem Studio.
Vermisst du dann andere Menschen?
Ashley: Ich vermisse andere Leute. Deswegen dachte ich, dass ich auf jeden Fall in einer Band sein will. Phil sagte das gleiche und wir redeten. Ich war also in einer Band mit Phil, aber es hätte auch eine merkwürdige Elektrorock Band sein können. Es hätte in alle Richtungen gehen können. Vielleicht auch etwas punkiges, aber tat es nicht.
Vielen Dank für das Interview!
Das neue Album „Turbines“ erscheint am 21.6. 2013 auf Full Time Hobby.
Tourdaten:
28.09. Reeperbahnfestival, Hamburg
30.09. Festsaal Kreuzberg, Berlin
01.10. Zoom, Frankfurt am Main
02.10. Ampere, München
Interview: Dörte Heilewelt