Hamburg am Nachmittag des 07. April 2012, Karsamstag, die Reeperbahn ist rappelvoll mit Ostertouristen. Die Sonne scheint, aber es ist noch winterlich kalt. Durch eine schwarz lackierte Tür geht es ein paar Treppenstufen hinunter in den „Club Hamburg“. Es ist dunkel und riecht noch ein wenig nach der Party der vorherigen Nacht, aber zumindest ist es etwas wärmer als draußen.
Clubmitarbeiter und Bühnentechniker bauen das Equipment auf, während ich mich mit Orlando Higginbottom aka Totally Enormous Extinct Dinosaurs in eine Sitzecke des Venues begebe um mit ihm über seine bisherige Karriere und sein kommendes Album zu sprechen.
Orlando, der am Abend zuvor in Berlin aufgetreten ist und bis sechs Uhr morgens aufgelegt und gefeiert hat, ist extrem müde und warnt mich – wie sich im Verlauf herausstellt, völlig grundlos – dass das Interview aufgrund seiner Müdigkeit vielleicht eine etwas eigenartige Wendung nehmen könnte.
Orlando, lass uns kurz über Deine musikalischen Anfänge sprechen. Was war Deine erste bewusste Begegnung mit Musik?
Als ich klein war, habe ich eigentlich nur drei CDs gehört, die aber wieder und immer wieder. Alles klassische Musik. Meine musikalische Ausbildung war ja ebenfalls eine ganz klassische, hauptsächlich am Klavier. Mein Vater ist ja Professor und Chorleiter an der Universität Oxford. Mit 13 habe ich dann meinen ersten Turntable gekauft und war fasziniert von elektronischer Music: Techno, Jungle, Drum ’n‘ Bass. Das war für mich der Anfang von dem, was ich heute mache.
Gab es für Dich einen bestimmten Punkt, an dem Du gemerkt hast, dass Musik vielleicht mehr wird als ein Hobby?
Nein, das kann man nicht sagen. Ich habe die Musik immer nur der Musik wegen gemacht, ohne damit ein bestimmtes Ziel zu verfolgen oder bestimmte Erwartungen dabei zu haben oder gar eine Karriere zu planen. Ich dachte auch nie, dass ich einmal der Typ auf der Bühne sein würde, der am Ende auch noch singt.
Würdest Du Dich denn mittlerweile als Popstar sehen oder bezeichnen?
Nein, solche Beschreibungen sind mir nicht wichtig. Ich mache zwar Popmusik, aber ich weiß nicht, ob ich ein Popstar bin.
Du warst auch nie in einer Band – was ist der Grund dafür?
Nun, ich glaube, heutzutage ist es einfacher, an einem Computer Musik zu machen und Songs zu schreiben, als Freunde zu finden, mit denen man eine Band gründet. Ein weiterer Grund ist, dass ich einer Band nie die Kontrolle hätte, die ich als Solokünstler habe. Es geht sogar so weit, dass ich mich inzwischen damit arrangiert habe, selbst zu singen, was mir zu Anfang schon komisch vorkam, aber mittlerweile habe ich mich auch daran gewöhnt. Inzwischen habe ich selbst auf der Bühne unheimlich viel Spaß dabei und genieße es regelrecht.
Ich stelle es mir ziemlich schwierig vor, als „One man band“ zu funktionieren, alle Entscheidungen allein treffen zu müssen und für alles die 100%ige Verantwortung zu tragen. Wie gehst Du damit um?
Ja, das ist manchmal schon nicht ganz einfach, wenn man sich nicht mit jemandem abstimmen oder einfach nur über bestimmte Entscheidungen reden kann. Allerdings habe ich sehr gute Freunde und mein Management, die ich in solchen Fällen um Rat frage. Die andere Seite der Medaille ist die, dass ich gerne die Kontrolle über alle kreativen Entscheidungen habe und insofern ist es manchmal auch ganz gut, nicht immer mit jemandem diskutieren zu müssen.
Kannst Du uns ein wenig mehr über Deine Arbeitsweise im Studio verraten? Gehst Du an das Songwriting eher spielerisch heran oder verfolgst Du einen konkreten Plan?
Nun, ich glaube, das ändert sich permanent. Manchmal suche ich nach einer bestimmten Stimmung und spiele einfach ein wenig herum. Manchmal habe ich schon ein Drum-Loop und probiere dann eine Keyboard-Melodie dazu aus, nehme es auf und gucke, was für eine Atmosphäre daraus entsteht. Meistens passieren die Dinge einfach. Vieles entsteht durch Zufall und Herumprobieren. Die größte Herausforderung für mich besteht darin, Dinge, die in mir sind, aber sich noch nicht manifestiert haben, an die Oberfläche zu bringen. Dann entsteht meistens etwas wirklich Kreatives.
Du hast jetzt, nachdem Du schon einige EPs und Singles veröffentlicht hast, Dein erstes Album fertig gestellt, das im Juni erscheinen wird. Wie fühlt es sich an, ein solches Projekt abgeschlossen zu haben?
Das ist sehr sehr eigenartig. Ich habe anderthalb Jahre an dem Album gearbeitet und es hat meinen ganzen Tagesablauf und mein ganzes Denken bestimmt. Jetzt bin ich natürlich gespannt und aufgeregt, wenn es veröffentlicht wird.
Lass uns kurz über das Format „Album“ reden. Hältst Du das Album noch für eine zeitgemäße Kunstform? Viele Künstler aus dem Electronic-Genre veröffentlichen ja nur noch Singles oder EPs.
Ich denke, das muss jeder für sich entscheiden. Ich halte es für mich für den richtigen künstlerischen Schritt, jetzt ein Album zu veröffentlichen. Zum einen, um den aktuellen künstlerischen Status zu repräsentieren, zum anderen kann man auf diese Weise besser Stimmungen und Atmosphären transportieren und in Kontexte setzen – eine EP beispielsweise ist dafür nur bedingt geeignet.
Wird es vom Album auch eine Special-Edition und Vinyl geben?
Eine Special-Edition nicht, nein. Ich glaube, das wäre nicht besonders sinnvoll, weil es ja mein erstes Album ist. Aber Vinyl gibt es auf jeden Fall.
Deine EPs und Singles sind bisher alle auf dem Indielabel „Greco-Roman“ erschienen. Mit dem Album hast Du nun bei dem Majorlabel Polydor unterschrieben. Warum?
„Greco-Roman“ ist eine tolle Plattform und ein Sprungbrett für junge Künstler, aber mit dem Album hatte ich das Gefühl, dass es mehr braucht, um am Ende auch mehr zu erreichen. Insofern ist der Vertrag mit Polydor für mich jetzt genau der richtige Schritt zur richtigen Zeit.
Allerdings hattest Du auch kürzlich in einem Interview gesagt, dass Du das Musikbusiness für ein verrücktes und vom Wettbewerb getriebenes Business hältst. Was hast Du damit gemeint?
Nun, ich glaube, dass es im Musikbusiness zu viele Menschen gibt, die mit Musik im eigentlichen Sinne nicht viel zu tun haben und davon auch nichts verstehen. Sie sind einfach nur dabei, um Geld zu verdienen und produzieren Musik, die mit der ursprünglichen Idee von Musik nichts mehr zu tun hat. Sie soll sich einfach nur verkaufen und kommerziell erfolgreich sein.
Zurück zu Dir und Deiner Tour: Du hast grad einige Gigs in Deutschland gespielt. Ausgerechnet bei Deinem ersten Auftritt in Stuttgart hat Dir ein Fan Deine Discokugel von der Bühne geklaut …
Ja, das war wirklich krass. Plötzlich war das Mädchen bei mir auf der Bühne und griff sich die Discokugel. So ein kleines batteriebetriebenes Teil, das ich immer bei mir auf den Keyboards stehen habe. Das Ding ist mit mir die letzten Jahre um die Welt gereist. Aber wartet nur ab, ich werde es mir wieder holen! (grinst)
Gibt es abschließend noch etwas, das Du unseren Lesern sagen möchtest?
Nein, eigentlich nicht. Ach, doch, natürlich: Kauft das Album! (lacht)
Orlando, vielen Dank für das Gespräch!
„TROUBLE“, der erste Longplayer von Totally Enormous Extinct Dinosaurs erscheint am 8. Juni 2012 auf Polydor.
Fotos und Interview: Jens Herrndorff