Interview mit Rayland Baxter

Rayland Baxter © Markus WernerSinger/Songwriter Rayland Baxter veröffentlicht am 14. August sein neues Album „Imaginary Man”. Es ist das Europa-Debüt des jungen Songschreibers aus Nashville, Tennessee, der in seiner Heimat bereits mit seinem Vorgängeralbum „Feathers & Fishhooks” aus dem Jahr 2012 jede Menge Kritikerlob einheimste und mit Bands wie The Head And The Heart und Shakey Graves auf Tour ging. Geprägt von seinem Vater, der für Bob Dylan höchstpersönlich Slide-Gitarre spielte, war es nur eine Frage der Zeit, wann Baxter Junior seine eigenen Songs schrieb. Er ist ein großer Songwriter, der eingängige Melodien mit erstklassigen Arrangements und fein formulierte Lyrics kreiert, die seine „Choose your-own-adventure“-Attitüde herüberbringen. Ein seiner frühen Songs trägt den wunderschönen Titel: „The Cold Easy Life Of A Loner“. Der selbstbestimmte Troubadour lebt das Songwriting und liebt es und erzählt viel und gerne, in den Songs, auf der Bühne, sowie mit uns im Gespräch. Wir bekommen einen Tag nach seiner Show im Berliner Monarch eine Zusammenfassung seines Lebens, einmal als Erzählung und einmal auch in nur drei Worten für eine imaginäre Visitenkarte.

Gestern hast du im Monarch eine unglaublich schöne Show gespielt. Genau wie heute war es ein wahnsinnig heißer Tag. Vorher graute es mir davor, in einem nicht klimatisierten Raum voller Leute zu sein. Die Atmosphäre war dann aber unglaublich: es kam Tageslicht durch die großen Fenster, trotzdem wirkte es dunkel in der Bar, alle waren unglaublich aufgeheizt, am Schwitzen, jeder fächerte sich etwas zu, es gab Whiskey auf Eis, draußen fuhr ständig eine S-Bahn oder ein Krankenwagen am Kottbusser Tor lang, aber obwohl man es hörte wirkte Draußen weit weg, alle waren ruhig und hörten dir aufmerksam zu. Du erzähltest endlose Geschichten und sangst die schönsten Lieder.

Ich war völlig geschockt. Man hat es mir vielleicht nicht angemerkt, aber ich war wirklich schockiert, dass so viele Leute gekommen waren. Ich war noch nie hier und meine Musik gibt es hier erst seit ein paar Monaten online zu hören. Vielleicht liegt das daran, dass ich ein Pessimist bin, aber ich dachte wirklich keiner würde zu der Show kommen. Es war wirklich toll. Später bin ich noch auf einer Party in Kreuzberg gelandet, bei der Musiker aus aller Welt gejammt haben. Dieser Abend hat meine Batterien wieder aufgeladen. Ich überlege sogar für ein paar Monate nach Berlin zu ziehen, so sehr gefällt es mir.

Jeder zweiter Musiker erzählt mir das im Moment. Alle wollen nach Berlin ziehen…

Kein Wunder! Überall wird Musik gemacht, alle trinken und kiffen. Hier trinken Leute Bier, aus einer Flasche, auf der einfach nur „Bier“ drauf steht. Und es kostet zwei Euro. Dann darf man auch noch mit seinem Getränk durch die Gegend laufen. In den USA ist das nur in New Orleans und Savanna, Georgia erlaubt.

In einer deiner vielen Geschichten gestern erwähntest du Folgendes: „Traveling promotes dream thoughts.“ Welche solcher Gedanken kommen dir hier in Berlin?

In Nashville ist die Community der Musiker nicht so bunt gemischt. Mehr Leute machen Musik, um damit erfolgreich zu sein. Es geht nur um Geld und Erfolg. Was mich hier in Berlin sehr beeindruckt, sind die Menschen, die mir begegnen. Talentierte Musiker, die Musik machen, um einfach nur pure Musik zu machen. Ich habe zum Beispiel jemanden aus Seattle getroffen, einen richtig guten Gitarrenspieler. Er lebt hier und spielt hier, nur hier. Dann habe ich noch einen Typen getroffen, der sich Sir Charlie nennt. Guck mal, er hat mir seine Karte gegeben.

Auf dieser Visitenkarte steht: Artist, Pianist, Composer, Arranger. Sehr gut. Was würde auf deiner persönlichen Karte stehen?

Nomadic dreamer, Firefly. Nächstes Mal bringe ich eine solche Karte mit.

Perfekt. Ich sehe schon weshalb dir Berlin so gefällt. Hier wird es nicht hinterfragt, wenn du keinen „normalen“ Job hast.

Ja, total. Und es scheint wie eine große Ko-op von Musikern. Ich mag dieses Punk-Leben, von einem Ort zum anderen ziehen, in den Tag leben und Musik machen. Man braucht nicht viel Geld, um zu überleben. So kann man seine Zeit mit den wirklich wichtigen Dingen verbringen. Das tun, was du liebst, deine Kunst perfektionieren, deine Fähigkeiten als Mensch verbessern.
In den USA kann man sich zu sehr davon beeinflussen lassen, doch wie alle andern zu denken. Guilty by association, quasi. In Tennessee laufe ich selber rum und verurteile die Leute dafür wie sie leben. Hier scheint es sehr harmonisch zu sein.

Gestern hast du gesagt, wenn du nicht schon immer arm gewesen wärst, würdest du wahrscheinlich nicht das machen, was du gerade machst. Und deshalb bist du dafür dankbar.

Ja. Es ist gut hungrig zu sein. Nicht hungrig nach Essen. Sondern hungrig nach Leben. Hungrig danach deinen eigenen Weg zu finden und dein eigenes Schloss zu bauen.

Ist das wesentliche Voraussetzung um Songwriter zu sein? Sich mühsam fortzubewegen und seinen Weg zu erkämpfen? So wie du gestern gesagt hast: „Rape the struggle and make art out of it.“

Es geht ja tatsächlich allen Leuten so. Alle haben fiese Gedanken, alle sind einsam, alleine und traurig irgendwann in ihrem Leben. Als Songwriter setzt du diese Gedanken in Poesie um. In solchen einsamen Momenten verbinden sich die Zuhörer mit den Songs und fühlen sich darin verstanden. Wenn du also diese schlimmen Gedanken hast, und weißt, jemand anderes spricht sie aus, dann kann das alles besser machen. Es fühlt sich weniger schlimm an, weil du weißt, du bist eben nicht alleine.

Also siehst du es als deinen Job als Songwriter, Leuten ein gutes Gefühl zu geben.

Moment, nicht ganz. Mein Job ist es, den Leuten ein Gefühl zu geben. Sie sollen fühlen. Das muss nicht unbedingt gut sein. Einfach etwas fühlen, anstatt stumpf durch die Gegend zu laufen.

Hier in Deutschland stellst du dich mit deinem zweiten Album vor. Ist das merkwürdig, damit anzufangen? Oder vielleicht auch gut, da du dich als Künstler weiter entwickelt hast und meistens gefällt einem das aktuelle Album ja selbst am besten, da es einen am meisten repräsentiert.

Bisher war mein musikalischer Weg sehr natürlich. In den USA kam mein erstes Album raus, es war sehr klein, eher underground. Meine Freunde hörten es, andere Musiker bekamen es in ihre Hände und respektierten es und erzählten wiederum ihren Freunden davon. Ich bin auch immer noch nicht sonderlich bekannt in den USA. Ich bin sozusagen am unteren Ende des Totempfahls, es steckt nicht viel Geld dahinter, nicht viel Werbung, es ist keine große Sache. Das ist gut, das hilft geduldig und ruhig zu sein. Ich werde nicht über Nacht auf einmal zum Star werden. Man muss hart arbeiten und ganz old school vor wenigen Leuten spielen, unendlich oft, immer wieder, von Stadt zu Stadt. Aber manchmal reicht auch Mundpropaganda. Es gibt tatsächlich Leute hier in Europa, die mein erstes Album kennen, ohne dass es hier erhältlich war. Das ist ein Zeichen dafür, dass gute Dinge passieren. Wenn jetzt mein neues Album rauskommt, und es den Leuten gefällt, dann können sie sich freuen, wenn sie das ältere Album entdecken. Und mich so rückwärts kennenlernen. Das habe ich bei vielen Künstlern so gemacht. Bei Kurt Vile, zum Beispiel. Als er „Smoke Ring For My Halo“ veröffentlichte, hatte er schon drei Alben raus, aber ich hatte vorher keine Ahnung wer er war. Das war unglaublich schön, die Musik so nacheinander zu entdecken. Man denkt, man hat ein Stück Gold entdeckt und merkt dann erst, dass da noch viel mehr ist und ein größer Schatz dahinter steckt.

Jetzt musst du deine Geschichte aber erstmal wieder jedem von vorne erzählen. Dass du erst spät mit der Musik angefangen hast, deine „Erleuchtung“ in Israel….

Ok, kein Problem. Ich erzähle dir jetzt die Zusammenfassung meines Lebens:
Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zwei Jahre alt war. Mein Vater spielte in einer Band, war immer unterwegs. Ich war also immer bei meiner Mutter und meiner Schwester. Ich war immer sehr sportlich, habe viel Fußball gespielt, später dann Lacrosse. Bis ich beide Knie zerstört hatte. Das war merkwürdig. Erst das eine Knie, und dann genau ein Jahr später, auf den Tag genau, das zweite Knie. Verrückt. Da war ich 20. Ich besuchte meinen Vater über Weihnachten und er schenkte mir eine Akustikgitarre. Da fing ich langsam an mit der Musik. Erst ab und zu, dann fing ich an, die Gitarre jeden Tag in die Hand zu nehmen, und irgendwann begann ich mit dem Schreiben. Im College hatte ich dann sogar eine kleine Coverband, wir spielten Tom Petty, The Band, Sublime, usw. Nach dem College hatte ich also meine ersten Skills, ich konnte Gitarre spielen. Dann ist mir aufgefallen, dass es Leuten gefiel, wenn ich sang. Ich zog nach Colorado, in die Berge, im Westen. Dort nahm ich an Open Mic Nights teil, jeden Mittwoch. Die wurden immer größer, aber ich spielte immer noch Coversongs. Ich hatte unglaublich viel Spaß. Später ging ich auf Tour mit der Band „The Moonshine Sessions“ von „Gotan Project“. Wir tourten durch die Schweiz und ich war der Gitarrentechniker. Ich hatte keine Ahnung wie man Gitarren reparierte, aber mein Dad meinte, du kannst das, Saiten wechseln, polieren, zur Bühne bringen, kein Problem. Als die Tour vorbei war, ging ich für eine Weile nach Israel, weil mein Dad gerade dort war. Nach zwei Wochen entschied ich mich dafür zu bleiben. Insgesamt war ich 6 Monate da. In der Zeit habe ich studiert. Leben studiert. Musik studiert. Ich habe Autobiografien von Musikern gelesen, alles übers Songwriting rausgefunden, was ich finden konnte. Bob Dylan, Leonard Cohen, all diese Musiker, über die man alles wissen sollte. Dann habe ich versucht Dylan Songs mit meinen eigenen Lyrics neu zu schreiben, als Herausforderung. Später schrieb ich meine eigenen Songs. Am Ende der 6 Monate hatte ich 5 dicke Notizbücher, voll mit furchtbaren Sachen. Aber ich gehe das so an: schreib so viel wie möglich und irgendwann findest du diesen einen bedeutenden Satz inmitten des ganzen Bullshits. André, der Freund meines Vaters, bei dem ich wohnte, hörte sich meine Songs an und sagte mir, ob sie ihm gefielen und warum oder warum nicht. Er hat Ahnung von Musik und es war mir sehr wichtig zu hören, was er darüber dachte. Er ist sogar ein sehr guter Freund von Bob Dylan. Egal, was er sagte, ich verarbeitete es in den Songs. Zurück in Nashville schrieb ich wie besessen. Selbst meinem Dad gefielen meine Sachen. Er selber hat mit Dylan, Steve Earle, Ryan Adams, Beastie Boys, und vielen anderen Musikern gearbeitet, er hat hohe Ansprüche. Je mehr ich schrieb, desto mehr wusste ich, dass ich genau das mit meinem Leben machen möchte. Songwriter sein. Ich war schon mittendrin.

Der Zuspruch von deinem Vater muss unglaublich ermutigend sein. Er ist ein respektierter Musiker. Wenn er nicht nur dich als Sohn, sondern eben auch als Musiker unterstützt, dann ist das ein Riesenlob.

Das ist ein unglaublicher Ansporn. Er ist mein größter Cheerleader. Als ich ihm mein Album vorspielte, hat er geweint und geweint. Meine Ma wird durchdrehen, wenn ich ihr das Foto von der Show gestern abend zeige. Dass so viele Leute gekommen sind, um mich hier zu hören. Wow.

Deine Show war wirklich gut. Den Leuten hat es sehr gefallen und ich bin mir sicher dich hier in der Zukunft öfter zu sehen.

Ich wünsche mir nichts mehr als durch Europa zu touren. Hier ist alles so alt, so schön. Ich möchte die Sprachen lernen, Französisch, Deutsch, … Spanisch kann ich schon. Ich fände es unhöflich, über ein Jahr in einem Land zu leben und die Sprache nicht zu sprechen. So sehr es möglich wäre, würde ich versuchen mich anzupassen. Wenn das überhaupt geht. Sir Charlie, der Typ von gestern, hat mich gefragt: Where are you from, man? Und ich so: I’m from Tennessee. Seine Antwort: Ah yeah, you look like you’re from Tennessee. (lacht)

Was mir auch gestern aufgefallen ist: dir sind so einige Lyrics entfallen und du hast improvisiert.

Oh ja… Ich glaube, ich hatte schon zu viel Bier intus. Bier lässt mich Sachen vergessen. Die Songs haben aber auch verdammt viele Wörter! Außerdem bin ich manchmal noch ein bisschen nervös. Nicht richtig nervös, aber ich denke oft zu viel nach. Das ist das Schlimmste, wenn man anfängt nachzudenken, während man singt. Es war auch einfach zu heiß gestern. Ich bin sehr aufmerksam und beobachte gerne das Publikum. Das lenkt mich dann aber auch ab und zu ab. Manchmal siehst du Leute am Handy, oder jemand gähnt. Ich versuche dann die Aufmerksamkeit zurückzubekommen. Es gibt die Bühne und das Publikum und es ist mir wichtig diese Grenze zu durchbrechen. Je eher ich das bei einer Show verschmelzen kann, desto besser. Dann verschwinden die nervösen Gefühle. Es ist wie eine große Umarmung.

Was ist deine Empfehlung für den perfekten Ort, an dem man sich „Imaginary Man“ anhören sollte?

In einem Espenhain in Colorado. Kennst du Espenbäume? Die sind unglaublich, sie sind die größten Lebewesen auf der Erde. In so einem Espenhain sind sie alle durch ein riesiges Wurzelsystem verbunden. Fun Fact! Also, das Album sollte man sich in Colorado, inmitten eines Espenhains anhören, wenn die Sonne schon etwas niedrig steht, und die Blätter gelb sind. Im Herbst verändern sie nämlich ihre Farbe von grün zu gelb, dann orange, dann lila, und dann fallen sie ab. Es ist unglaublich schön, wenn die Sonne durch die gelben Blätter scheint. Wenn du dich anstrengst darüber nachzudenken, dann schaffst du es in dem Moment, zu fliegen. Genau dort gehört die Musik hin. Mit Kopfhörern.

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Interview: Christina Heckmann

Foto: Markus Werner