Interview mit Oliver Welter von Naked Lunch – Teil 2

Weiter geht es mit underem Interview mit Oliver Welter von Naked Lunch. Keiner hat uns vom Reden abgehalten und keiner hatte die Zeit im Auge, sodass wir die Freude eines ausführlichen Gesprächs mit Oliver hatten. Im ersten Teil (hier nachzulesen) haben wir bereits über die Hoffnungslosigkeit in der Fortentwicklung der Menschheit abgehandelt. Jetzt widmen wir uns der persönlichen Weiterentwicklung des Menschen, den Fehltritten eines jungen Wilden und klären, wann sich Naked Lunch karrieristisch blöd verhalten.

Ich habe auch gelesen, dass sich die Zeiten verändern und dass deswegen nie alles gesagt ist, dass es sich immer noch lohnt Songs über Liebe zu schreiben, obwohl es schon eine Milliarde Songs zu dem Thema gibt. Das fand ich sehr konträr zu einer Aussage von dir: „Ich habe keine große Hoffnung in die Fortentwicklung der Menschheit.“ Wie passt das zusammen?

Oliver: Du hast es ja eh schon angesprochen. Also, im Endeffekt wäre vor ein paar hundert Jahren alles gesagt worden. Dann schlage ich halt nach bei Shakespeare, der hat ganz wunderbare Stücke über die Liebe geschrieben und fertig. Also, lese ich „Romeo & Julia“ oder ein Königsdrama dazu und weiß im Prinzip alles über menschliches Zusammenleben. Aber so ist es eben nicht, weil die Zeiten ändern sich und nicht nur die Zeit, sondern auch jeder für selbst in seinem kleinen Mikrokosmos sieht das anders. Ich glaube auch, dass jeder die Berechtigung hat – nicht nur ich und du, sondern jeder. Manche Menschen können es nicht, weil sie mit anderen Sachen beschäftigt sind und jeder hätte etwas zu sagen. Und ich glaube, das Thema ist ja Gott sei dank niemals erschöpft.

Wird es nach 20 Jahren schwerer über die immer gleichen Themen zu schreiben? Oder ist das dann auch immer eine persönliche Weiterentwicklung? Dass sich die Themen immer weiterentwickeln, obwohl das Oberthema immer noch das gleiche ist?

Oliver: Ja, das Oberthema ist eher so…. das ist jetzt schwierig, wie sehe ich mich selbst als kleinster mikroskopische Einheit in einem großen Ganzen und da natürlich immer betrachtend gegenüber den Allernächsten, die ich um mich herum habe. Ich habe jetzt keine Beziehung zu Saddam Hussein gehabt oder so. Habe ich nicht, außer eine politisch denkende, aber über die will ich jetzt nicht singen. Das ändert sich natürlich. Man kommt ja drauf, dass man Dinge anders sieht – 5 Jahre später wird das gleiche Thema ja anders betrachtet. Und dann lohnt es sich wieder darüber zu sprechen, zu schreiben oder zu singen. So, in der Art. Was ich halt versuche und ich werde von der Band auch dazu angehalten, es zu tun, ist an die Essenzen zu gehen – im Sinne von wenn es um was geht wirklich Tacheles zu reden, auch im persönlichen Bereich.

Ist es noch schwer nach all der Zeit, wenn dich die Band immer noch dazu anhält?

Oliver: Ja, naja, weil man kann ja immer noch eine Stufe weiter gehen. Da geht es darum die eigenen Peinlichkeitsstufen zu überwinden und zu sagen „jetzt gehe ich hier echt zu weit oder ich greif da zu tief in den Schmalztopf rein“ und dann denkt man sich „warum nicht?“. Wenn man sich mit anderen Musiken beschäftigt… beim Amerikanischen Blues stellt sich die Frage nie, zum Beispiel. Da geht es in einem Lied immer um alles. Wenn der Protagonist im Lied XY im Amerikanisch Blues da sitzt, weil ihn seine Frau verlassen hat, dann glaubt er, er ist der ärmste Thor der Welt und hängt sich in 5 Minuten auf. Aber er besingt das dann auch genau so, da gibt es keine Metapher dafür. Das fand ich erstaunlich. Grade in Deutschland ist es sehr unpopulär. Hamburger Schule hat es vorgemacht – ich bin großer Fan davon, muss man dazu sagen -, aber da geht es meistens so um das „Drumherum-Formulieren“, sehr oft nicht auf den Punkt kommen. Ich finde es gut wie das gemacht ist, ich kann das aber gar nicht. Es wäre nicht mein Ding. Da ist quasi nur noch der Blick von Außen auf etwas und das könnte ich nicht. Ich könnte es nur von ganz innen betrachten.

Wieso singt ihr auf Englisch und nicht auf Deutsch?

Oliver: Das ist weil wir damals mit 18 Jahren begonnen haben Englisch zu singen. Ganz Simpel. Wir sind mit angloamerikanischer Musik aufgewachsen und das war halt der Hauptgrund.

Hattest du jemals den Gedanken was auf Deutsch zu machen?

Oliver: Bei dem Projekt nein, aber wir haben eine Zeit lang in London gewohnt und…ich weiß nicht, ich habe so eine Affinität zum Englischen. Man hört immer wieder, dass die Deutsche Sprache nicht so viel hergäbe für den Gesang, aber das glaube ich nicht. Das stimmt nicht, auch nicht, dass sie härter wirkt als das Englische. Wobei mein englischer Freund einmal gesagt hat, dass wenn wir Deutsche – und damit meint er auch Österreicher – sagt ‚Ich liebe dich‘, dann klingt das so, als ob wir wieder in Polen einmarschieren wollten. Diese Umschreibung fand ich schön. (lacht) Ich mach das in anderen Projekten, in Nebenprojekten. Wie hat man mal gesagt: Man wäre auch in der Lage in einer anderen Sprache zu schreiben, wenn man in ihr träumt. Habe ich zwar noch nie, aber mache ich trotzdem.

Wie geht ihr an eure Songs ran? Du schreibst alleine und dann kommt die Band dazu?

Oliver: Ich schreibe alleine am Piano oder Gitarre ganz klassische Stücke. Und ich habe meinen Mitstreiter, Herwig Zamernik, quasi mein Gegenüber, mit dem ich das jetzt über 20 Jahre lang mache. Er ist dann derjenige, der das Ruder in die Hand nimmt und vorantreibt in einer gewissen Form. Wir proben nicht. Wir sind keine Band, die zusammen spielt und dann ein Stück erprobt. Sondern es gibt quasi dieses nackte Stück und dann gehen wir hin und arrangieren es am Computer so gut wir es wollen/können. Wir treiben das in die Richtung und in die und einmal in die. Wir verwenden im Prinzip das ganze Sammelsurium, was es an Instrumentarien gibt.

Wie bringt ihr das dann auf die Bühne?

Oliver: Das wissen wir vorher nicht. Wir machen immer zuerst die Platte und dann überlegen wir uns wie wir das hinkriegen. Also, wir kommen jetzt in einer Woche zusammen und proben für die Tour und dann werden wir es herausfinden. Vieles kann man nicht so bringen und dann wird es halt anders gemacht. Ganz verschieden. Wir legen auch keinen Wert, dass, dass… wir sind nicht Elton John sind oder so, der da eine eins zu eins Abbildung von seiner Platte haben muss.

Als ich „The Sun“ gehört habe, hatte ich so ein kleines „Ikarus“ Gefühl dabei – dass wenn man mit dem Feuer spielt, man sich verbrennt. Liege ich da völlig falsch?

Oliver: Nein, das hat damit zu tun. Das ist die Metapher, die Sonne, die sengend heiß ist in dem Fall. Und da ist einfach die Geschichte eines „Ichs“ – ich bin es nicht, es ist fiktional, aber ich könnte es sein. Ein alternder Typ, der viel Scheiße gemacht hat, der dafür auch büßen muss. In diesem Lied geht es auch um so Nebenstränge wie „he went out and had a fight“, klassischer britischer Hooliganismus: man geht raus und prügelt sich. Dann macht er es auch noch mit der Freundin seines besten Freundes und so etwas macht man nicht. Es ist ganz einfach: irgendwo muss man auch moralische Grenzen setzen. Dafür wird diese Person auch sinnbildlich in der Hölle schmoren. Dafür steht die Sonne. Aber es geht halt nicht über den ganzen Text. Ich singe aber auch „the sun that burns the green grass but also dries your eyes“. Das hat auch den Zweikomponentenkleber. Je nachdem wie man es betrachtet: Sie kann alles zerstören, aber auch Tränen trocknen.

Was ich faszinieren finde ist die Kombination vom Anfang, dem ersten Song, mit dem letzten, der den Verlust eines geliebten Menschen widerspiegelt. Ich hätte das ja anders herum gesetzt.

Oliver: Wir haben uns mit dem was du da sagt sehr lange beschäftigt. Wir haben auch versucht es anders zu ordnen auf der Platte, aber es hat nicht funktioniert. Wir betrachten es schon so wie du es sagst, das Coverartwork und das alles hat für uns eine gewisse Dramaturgie, so wie ein Theaterabend oder ein Film.

Ihr arbeitet ja auch für das Theater.

Oliver: Sogar sehr viel. Vielleicht haben wir es daher. Darauf legen wir sehr viel wert. Es ist nichts beliebig auf der Platte, es ist nicht gewürfelt worden welcher Song auf der Vier und welcher Song auf der Fünf ist, sondern da brauchen wir sehr lange dafür. Aber das hat sich halt so ergeben, dass das eine Stück auf der eins sein musste. Das war so unabdingbar im Sinne der Dramaturgie des Albums. Wir haben es auch anders herum probiert, aber das war nicht gut, weil es hat sich nicht gut angefühlt für uns. Vielleicht wäre es für den Hörer besser gewesen, das kann ich jetzt nicht sagen.

Es hat mich einfach nur verwundert. Vielleicht ist es auch ganz gut am Ende wieder down to earth zu sein.

Oliver: Das stimmt. Und das erste Stück haben wir auch bewusst so gesetzt. Wir hatten jedes mal bei den Alben so einen sehr sperrigen Eröffnungstrack. Das machen wir bewusst. Die Plattenfirma sagt dann, „seid ihr eigentlich bescheuert, dass ihr das macht? Warum macht ihr es euch und damit dem Hörer so schwer? Die kennen euch vielleicht nicht so gut, eure Fans sind uns wurscht, aber die Leute, die euch neu kennenlernen wollen, legen Stück eins auf und sagen „nee, das ist mir zu verschroben oder zu gaga“. Macht es euch einfacher und macht das Stück Eins auf die Fünf und macht das Fünfte auf die Eins“. Und wir sagen dann „Nein, das ist für uns wichtig, so als Statement“. Das sind 42 Minuten Musik oder so und wenn er die ersten 5 Minuten nicht aushält, dann…

Das bewahrt eine gewisse Einzigartigkeit, wenn man sich dem Markt in solchen Kleinigkeiten nicht anpasst, finde ich. Es macht viel mehr Spaß so etwas anzuhören als wenn man da langsam hingeführt wird und plötzlich stößt man auf so ein sperriges Teil.

Oliver: Karrieristisch betrachtet ist es blöd. Da schließt sich dann der Kreis mit der Band, die alle 12 Monate ein Album raus bringt. Die denkt dann auch in anderen Parametern: „Lass uns das sperrige Teil mal am Schluss bringen“…

…dann fällt es nicht mehr so auf. Aber es scheint ja für euch zu funktionieren, dass ihr die Sachen so macht wie ihr sie macht.

Oliver: In unserem Kosmos geht es wahrscheinlich nur so. Wir schießen uns oft damit leider selbst ins Knie, aber das ist uns dann egal, es ist so. Wir können nicht anders. Wir gestalten unseren Kosmos und fertig. Mag es wer, ist gut, mag es wer nicht, ist auch gut. Wir können unseren Kosmos als solchen wie wir sind so präsentieren. Wie die Rezeption ist am Ende des Tages… who cares?

Ihr müsst mit dem Zeug leben, was ihr macht und nicht irgendwas machen, wo ihr nach einer Woche denkt, das werden wir nie live spielen…

Oliver: Wir haben in unserer Karriere zwei Alben gemacht, die wir mittlerweile echt grottig finden. Total versaut. Es gibt mindestens zwei Alben, die werden wir nie wieder spielen. Aber das ist schon humorlos so. Es ist nicht mal der Einstieg, das allererste Album – das finde ich immer noch super. Es macht mir Spaß, aber da gibt es so eine Phase, wo wir auf andere Dinge mehr Wert gelegt haben als auf Musik machen. Kommerzialisierung. Das sind zwei schreckliche Alben, die sind echt verzichtbar. Die kannst du in die Tonne kloppen und ab und zu kommen Leute und fragen, wieso wir nicht Stücke von dem und dem Album spielen, so alte Fans irgendwie. Auf keinen Fall. Nie wieder.

Ich habe gelesen, wenn du kein Musiker wärst, dann wärst du jetzt vermutlich Sportjournalist oder so?

Oliver: Nein, wollte ich nie werden.

Es hat mich verwundert, weil von dem was ich bisher über dich gelesen habe und der Musik, die ich gehört habe, wirkt das sehr abwegig.

Oliver: Das würde ich jetzt nicht unterschreiben wollen, weil eigentlich hätte ich Fussballer werden sollen. Also das ist was anders. Ich war ein außergewöhnliches Talent und ich war in allen Leistungsgruppen und Leistungszentren und in der österreichischen Auswahl mit 15 Jahren.

Da bist du mit der Musik beim ehrlichen Geschäft geblieben?

Oliver: Ich habe immernoch eine große Affinität zum Sport. Ich mag es gerne spielen und es aktiv machen, aber ich bin damals mit 16 Jahren freiwillig ausgestiegen aus dem Sport, weil ich die anderen Sportler nicht ausgehalten habe. Darum ging es mir. Was da kollektiv passiert.

Es sind ein paar mehr Leute als in einer Band.

Oliver: Ja, ein paar mehr Leute und es ist meistens ein bisschen stumpfer. Diese Stumpfheit habe ich nicht ausgehalten. Im Kollektiv ist das noch viel stumpfer als du es dir vorstellen kannst. Da geht es um gar nichts. Da gibt es zwei Themen – Fussball und Frauen und das wars. Alles andere gibt es nicht, es gibt nichts. Es gibt natürlich viele, die sind mit sowas glücklich, aber ich nicht. Das ist mit zu blöd.

Zum Glück, sonst würden wir heute hier nicht sitzen.

Oliver: Ja, zum Beispiel. Aber vielleicht auch nicht zum Glück, oder zu meinem Unglück, sonst hätte ich schon 10 Millionen Euro auf meinem Konto.

Hach, was willst du mit so viel Geld, wenn du dich dafür mit ganz vielen stumpfsinnigen Sachen und Leuten umgeben musst?

Oliver: Das habe ich mich damals auch gefragt und meine Konsequenz gezogen.

Ich denke, das war es. Ich habe genug deiner Zeit in Anspruch genommen. Vielen Dank für das Interview, Oliver.

https://www.nakedlunch.de/

Interview: Dörte Heilewelt

Fotos: Ingo Pertramer
Live Fotos: Dörte Heilewelt

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