Naked Lunch kommen aus dem schönen Klagenfurt in Österreich, singen Englisch und machen wunderbare und mitunter opulente Popmusik. Im Februar diesen Jahres veröffentlichten sie ihr neues Studioalbum „All Is Fever“.
Bei seinem letzten Berlin Besuch nahm Oliver Welter sich Zeit um mich in der Lobby seines Hotels zu treffen und zwischen Geschäftsleuten und Touristen unter anderem über das aktuelle Album zu reden. Aktuell ist er mit der ganzen Band unterwegs, um eine Reihe von Konzerten in Deutschland zu spielen. Um das zu zelebrieren, veröffentlichen wir den ersten Teil unseres ausführlichen Gesprächs über Gott und die Welt.
Wie schafft man es eigentlich, 20 Jahre zu überleben als Band? Die Wechsel in der Band sind ja relativ gering.
Oliver: Das ist natürlich eine berechtigte Frage, die wir uns auch täglich stellen. Wie schafft man so etwas? Ich könnte die Frage zurück stellen und fragen: Wie schaffen es Menschen überhaupt 20 Jahre zusammen zu wohnen und zusammen zu leben? Und eine Band ist nichts anderes als ein Konstrukt, als eine Möglichkeit auch zusammen ein Leben zu gestalten. Es geht ja um mehr als nur Musik zu machen. Man ist ja auch ständig zusammen. Ich glaube, der Hauptgrund ist wirklich der Nämliche, dass wir das unbedingt machen wollen, fernab von Erfolg, fernab von Verkaufszahlen. Sollten wir von dieser Platte zwei CDs verkaufen ist es schlecht, aber wir würden wahrscheinlich trotzdem eine nächste wieder machen. Das ist so eine Form der Dringlichkeit und wir haben uns da einfach gefunden. Du brauchst schon wirklich diese Mitstreiter, die eine lange Zeit mit dir gehen oder umgekehrt auch ich mit ihnen. Das ist ein großer Glücksfall, dass man solche Leute auch hat.
Das gibt es nicht so häufig, dass eine Band so lange überlebt.
Oliver: Nein, das ist sehr ungewöhnlich und noch dazu: Wir haben ja kein großes Besetzungskarussell oder so. Der Schlagzeuger ist zwar ein Hamburger, aber ansonsten ist der Kern der Drei immer seit ich denken kann mehr oder minder der selbe.
Wird es mit der Zeit leichter, da man Musik für sich selber macht oder wird es schwerer, weil man denkt, dass man das Publikum mit der nächsten Platte zufrieden stellen will?
Oliver: Ich weiß was du meinst. Es wird immer leichter in dem Sinne, dass wir – vielleicht geht es vielen so, die solange arbeiten – das Publikum beim Entstehen und Produzieren von Musik komplett außen vor lassen. Das ist im Entstehungsprozess mal komplett egal, wie das rezipiert wird. Mit zunehmendem Alter wird man da vielleicht souveräner und sagt, das ist außen vor. Ab dem Moment wo man eine Platte fertig hat und sie der Plattenfirma gibt, ab dem Moment fängt man zu zittern. So, wie ist die Rezeption, wie gehen die Medien damit um, mögen es die Fans, mögen es die Hörer, kriegt man mehr Leute oder werden es weniger, wenn die Platte nicht gut ankommt. Aber das hat beim Produzieren nichts verloren, finde ich. Ich glaube auch, dass man es vielen Musiken anhört, die so entstehen.
Es gibt ja Bands, die direkt auf das hinaus produzieren, was die Fans als nächstes hören wollen oder was zumindest massentauglich ist.
Oliver: Also, ich unterstelle das ja fast schon jeder Band, die in einem geregelten Maße immer wieder veröffentlicht. Es gibt so eine Veröffentlichungspolitik. Die Plattenfirmen mögen das und die Fans mögen es auch und die Bands wissen, dass sie damit das Außen gut bedienen, in dem sie eine Platte veröffentlichen, auf Tour gehen und 1,5 Jahre später die nächste Platte raus schieben – allerspätestens. Im besten Fall ein Jahr danach schon wieder, um dann wieder den gleichen Trott zu machen, wieder zu touren und wieder Songs zu schreiben und ein Jahr später wieder raus, weil alle Welt gierig drauf ist was dann passiert. Den meisten Bands unterstelle ich, dass es karrieristische Gründe hat und keine künstlerischen.
Ich versteh euer Coverartwork nicht. Gibt es eine Verbindung zu den Songs, die ich nicht sehe?
Oliver: Es ist ein Auftragswerk. Wir haben seit drei Platten die gleichen Leute, die das Cover machen. Es ist ein Bildender Künstler Österreichs, der sehr berühmt und prägnant ist, weil er in der bildenden Kunst auf der ganzen Welt hoch angesehen ist. Er hat zum Beispiel Österreich vertreten bei der Biennale in Venedig und das ist wirklich eine große Nummer. Hans Schabus und dessen Frau Dorothea Brunialti. Die beauftragen wir so etwas zu machen, ohne irgendwelche Informationen außer den Liedern. Also, wir kommen nicht an und sagen…es wäre vermessen solchen Menschen zu sagen, wie ein Cover auszusehen hat. Wir geben denen im Juni oder im Mai vorigen Jahres die mehr oder minder fertigen Stücke und sagen: „Bitte überlegt euch was“. Ein paar Wochen später kam er an und sagte: „So, dass ist ein mögliches Cover. Und zwar ist das eine aufgefaltete Rettungsdecke. Im Auto hat man sie mit, die Bergsteiger haben sie und wenn man in die Wüste geht hat man so etwas mit. Auf der einen Seite ist sie golden, auf der anderen ist sie silbern. Wir haben die goldene Seite abfotografiert mit dem Argument, wenn man diese Musik hört, dann müsste man sich mit irgendwas zudecken.“ Nicht, dass wir diese Meinung teilen, aber wir fanden das Argument von ihnen so schön, dass wir sagten: „Ja, klar, dann ist es so, dann ist es eben diese Rettungsdecke.“ Und das ist so ein Postercover, man kann es ausbreiten und es ist zumindest so, dass man sich das Gesicht zudecken kann oder die Brust oder wie auch immer.
Jetzt macht es Sinn. Für mich ist es wichtig, dass es eine Verbindung herstellt – die Songs mit dem Artwork, dass es alles ein Gesamtpaket ergibt. Wie ist das für dich?
Oliver: Es ist total wichtig, weil sonst könnte man ja so ein Photoshop aufmachen und jeder, der es ein bisschen kann ein Cover zusammen zimmern, aber das wollen wir nicht. Aber wie gesagt, wenn man so etwas abgibt und zwar nicht weil wir zu faul sind dazu oder so sondern aus Vertrauensgründen, dann braucht man sich da auch nicht mehr einmischen. Wir fanden das eben so süß, die Überlegung „Wir hören die Musik und wir wollen uns gerne damit zudecken“.
Es ist ja auch teilweise so. Es schwingt mitunter ein wenig Melancholie mit, es ist nicht alles happy. Was ich bisher gelesen habe, ist das nicht so dein Ding mit dem happy Sonnenschein und so.
Oliver: Nee, ich kann auch nicht… Ich habe großen Respekt vor Musik, die auch einfach gute Laune erzeugt. Ich höre es gerne, aber selber würde ich es nicht machen… oder wir nicht – das ist nicht unser Ding. Würden wir uns auch anlügen, weil wir halt auch nicht jeden Tag so happy sind.
Ich habe gelesen, dass du mal gesagt hast „Ich habe keine große Hoffnung in die Fortentwicklung der Menschheit“. Das fand ich total interessant, weil ich oft so einen ähnlichen Gedanken habe. Das hat mich eine ganze Zeit lang beschäftigt. Man denkt einerseits, dass es anders ist, weil wir ja immer mehr Technik haben, aber die Persönlichkeit an sich, die Grundlage des Menschen, ändert sich eigentlich nicht. Es passiert immer wieder das gleiche. Kommt es aus einer ähnlichen Ecke?
Oliver: Ich glaub schon. Wenn dann denken wir da sehr ähnlich. Ich meine, der Gedanke ist genau der gleiche. Das was du mit Technik meinst, beschreibe ich mit einer anderen Metapher oder in einem anderen Bild. Das ist wie die Kleidung, die wir tragen. Technologische Entwicklungen und mehr Wissen und so mögen in vielen Bereichen wichtig sein. Aber ansonsten habe ich da eher eine fatalistische Sicht der Dinge und glaube, dass sich der Mensch an sich, das Wesen des Menschen sich nicht ändern wird, egal was auch immer mit dieser Welt passiert. Ich glaube, wir leben in den nächsten Jahren in einer Zeit der harten Umbrüche und ich glaube, es wird kein Stein mehr auf dem anderen bleiben in unserem Wertesystem und in unseren politischen Systemen.
Die Hoffnung ist zumindest da, dass nicht alles bleibt wie es jetzt ist mitunter.
Oliver: Ich weiß nicht, ob es dann dadurch besser wird. Und wenn man dann die Entwicklungen so mitbekommt, global natürlich… wir sprechen ja sowieso nur von der 1. Welt, weil für 80 % der Welt interessiert sich sowieso kein Schwein. Aber wenn wir hier schon mal das Glück haben, wählen zu können und zu sondieren und zu sagen was gut und was schlecht ist, entscheiden wir uns dann meistens noch für den übleren Weg. Also, der Mensch an sich, wenn er zwei Optionen hat, den guten und den schlechten Weg, dann wählt er mit erstaunlicher Sicherheit meistens den schlechten. Das macht einen traurig und deswegen habe ich auch keine große Hoffnung. Wir reden jetzt nicht davon, dass wir in den nächsten 20 Jahren untergehen oder so einen Scheiß. Aber du weißt genau was ich meine, das ist eine philosophische Überlegung, dass ich denke, unsere Triebhaftigkeit ist zu stark.
Wenn man in die Geschichte zurückblickt, hat man immer ein sich wiederholendes Schema und das Gefühl, dass die Menschen daraus nicht lernen. Teilweise natürlich auch weil sie in Nordafrika nicht wissen, was in Europa vorgefallen ist und deswegen wiederholt sich alles immer wieder. Ich finde das sehr, sehr deprimierend. Eine ganze Zeit war ich deswegen deprimiert.
Oliver: Das kann ich nachvollziehen. Es gibt ja diesen schönen Ausspruch und der bewahrheitet sich auch immer wieder. Es ist ein Fehler, dass sich verantwortliche Menschen mit Geschichte nicht auseinandersetzen und auf Grund dessen die Wiederholung der Ereignisse immer wieder stattfinden, fast schon zyklisch. Da gibt es den schönen englischen Ausspruch: „Those who don’t know history are doomed to repeat it.“ und der bewahrheitet sich halt immer wieder. Das Wissen hilft einem, aber uns unterscheidet nur von vielen Zeiten davor, dass wir in einer luxuriösen Position, wo wir es entscheiden können. Das gab es in vielen Jahrhunderten nicht.
Wir wissen jetzt auch wie es früher war. Wir können alle lesen und wir können auch alles nachlesen, wenn wir wollen. Wir haben das Internet und manchmal steht auch eine Wahrheit drin.
Oliver: Die muss man halt raus filtern und das ist das Schwierige. Aus einer Milliarde Informationen muss man halt die richtige herausfiltern.
Und das können wiederum nicht viele, viele verwechseln Wissen und Intelligenz mit bei Wikipedia einmal nachlesen, aber dann nicht drüber reflektieren, ob das auch stimmt.
Oliver: Ja, genau. Also, Wissen hat mit Intelligenz nichts zu tun, das kann ich mir ja anhäufen, aber es macht mich nicht intelligenter… oder in einer emotionellen Weise nicht intelligenter. Ich finde es voll bedauerlich, wenn man zusammen sitzt und über etwas redet und dann kommt immer einer mit seinem Smartphone und kommt auf die Idee, eben schnell Wikipedia abzufragen und so. Aber dann ist die ganze Diskussion obsolet über ein Thema: „Hier habt ihr es schwarz auf weiß und fertig“. Man kann noch nicht einmal argumentieren. Wir haben in Klagenfurt, wo wir herkommen, eine Stammkneipe. Das ist ein schönes Altwiener Kaffeehaus und da ist eine Dame. Da läuft immer Klassik oder Jazz, wirklich super, und sie hat einen alten Duden, so einen 20 bändigen, mit einer Leiter. Bis vor 5 Jahren war es so, dass wenn man in einer Runde Bier, Kaffee, oder was auch immer getrunken wird, sich heftig über etwas unterhalten hat, dann hast du die Besitzerin Frau Veronika gefragt, ob man da nachschauen könnte unter „L“, weil wir grade über so etwas reden. Dann ist sie die Leiter raufgestiegen und hat den Duden runter geholt und nachgeguckt. Das hatte wenigstens was feierliches. Und dann wurde er wieder weggeräumt. Aber das ist jetzt auch obsolet, weil es keinen Menschen mehr interessiert was da drin steht.
Im zweiten Teil unseres Interviews reden wir unter anderem darüber, wieso sich Songs über Liebe lohnen, das Schreiben von Songs, „The Sun“ und wie ihre Arbeit beim Theater die Sortierung auf dem Album beeinflusst.
Tourdaten:
09. April, Studio 672, Köln
10. April, Übel & Gefährlich, Hamburg
11. April, Privatclub, Berlin
12. April, NaTo, Leipzig
Interview: Dörte Heilewelt
Fotos (c) Ingo Pertramer