Interview mit Jan Roth

Jan Roth ist der Erste, den das Plattenlabel Sinnbus über eine Demo gefunden hat, wobei er auch kein völlig Unbekannter für die Berliner war. Schon vorher arbeitete Roth als Schlagzeuger der ebenfalls mit Sinnbus verbandelten Hundreds. Auf seinem ersten Album eigenen Album „L.O.W.“ setzt er den Fokus allerdings auf sein Zweitinstrument, das Klavier. Das Album ist gespickt mit kleinen Raffinessen, die den ersten minimalistischen Eindruck des schnell aufheben.
Noch bevor das Tonband richtig läuft, erzählt der Mann mit dem Schalk im Nacken, dass seine Band weiter anwächst. Als ich ihn im Schokoladen vor ein paar Monaten sah, hatte er „nur“ Marcel Aue am MPC und Chaospad und Niklas Kraft am Synthesizer mit dabei – mittlerweile gibt es einen Vierten. Wieso, weshalb, warum und wer das überhaupt ist, erfahrt ihr in unserem Interview.

Noch einer? Wer denn noch?

Paul Stefan Tetzlaff heißt er. Er ist Schlagzeuger bei Clueso und ich kenne ihn schon länger. Wir haben zusammen studiert. Wir dachten um die Dinge zu vereinfachen und um ein bisschen mehr sichtbare Aktion zu haben, spielt er Percussions und Pads. Das macht es für uns alle einfacher, weil wir dann nicht mehr so viel parallel machen müssen, sondern sich jeder auf seine Sache konzentrieren kann.

Ich finde, das sieht immer wahnsinnig kompliziert aus, wenn da jemand ein Instrument spielt und nebenbei im Takt auf eine Snare haut.

An der Stelle, die du wahrscheinlich meinst, haben wir auch ein ganzes Stück geprobt, damit das immer klappt mit dem Beat. Ich bin selbst viel zu doof, ich kann entweder das Klavier oder das andere, aber so abwechselnd geht nicht.

[lacht] Und da hast du dir andere Leute gesucht – war es schwer sie zu finden?

Nein, ganz und gar nicht. Ich kannte alle schon von musikalischen Projekten und Freundschaften. Marcel kenne ich schon seit Jahren. Ich habe für zwei Bands, bei denen er mitproduziert und mitspielt, mal Beats oder eine Harmonie eingespielt. Lose arbeiten wir schon ganz lange zusammen. Niklas kenne ich noch nicht so lang, aber wir haben uns sofort musikalisch ineinander verliebt und sind auch sehr gute Freunde geworden. Und mit Paul habe ich auch schon so viel gehangen und so – das ist ganz wichtig, dass man sich sehr gut versteht. Wir spielen alle Skat und von daher sind wir safe.

Ist Skat spielen eine Grundvoraussetzung um bei dir in die Liveband zu kommen?

Nee, das nicht zwangsweise, aber man muss sich wirklich menschlich sehr gut verstehen. Das nur auf einer musikalisch-geschäftlichen Ebene abzuhandeln geht irgendwie nicht, das macht mich nervös. Ich brauch Freunde um mich herum. Das ist vom Arbeiten her besser und man weiß miteinander zu dealen und so.

Hattest du die schon im Kopf als du das Album selber aufgenommen hattest?

Nein, das Album an sich war nicht als Album geplant. Ich habe mich tatsächlich einen Monat lang hingesetzt – im April 2011 war das schon – und wollte eigentlich nur mal wissen wie es klingt, wenn ich ganz alleine Musik mache. Ursprünglich habe ich Klavier angefangen als ich noch ein kleiner Junge war. Kurz vor der Pubertät kam Schlagzeug dazu und hat dann natürlich gewonnen. Man haut drauf und es ist eine Wirkung da. Klassisches Klavier muss man üben. 2011 hatte ich alles in meinem Zimmer vereint: Raschelsachen, Geklimper und Geklapper, Klavier und hab das halt zusammengefügt. Dann haben die Leute um mich herum nicht aufgehört sanft Druck zu machen und irgendwie haben wir es ganz pro forma nochmal zu Sinnbus geschickt und dann kam drei Tage später tatsächlich die Mail, dass Interesse an einer Zusammenarbeit besteht. Ich war völlig perplex. Es war nie geplant oder ich hatte nie den Anspruch oder die Erwartung, dass es ein Album wird, geschweige denn als Pianist mal auf der Bühne zu sitzen.

Es ist auch dein eigenes Projekt ist und nicht eins bei dem du einfach mitarbeitest.

Genau. Es ist zum ersten Mal das ganz eigene Baby. Ich bin es nur gewöhnt als Sideman Schlagzeug zu spielen, aber jetzt mehr oder weniger – von Rampenlicht kann man noch nicht reden – vorne zu stehen und dass mein Gesicht und Name für Leute eine Marke ist. Sie kennen einen ja gar nicht als Schlagzeuger, sondern nur als Pianisten. Das ist schon sehr neu, da muss ich mich erst mal umgewöhnen.

Ich habe dich auch erst jetzt kennengelernt. Ich war ganz perplex, dass du auch Schlagzeug spielst. [lachen]

Das finde ich auch spannend. Menschen lernen einen nur damit kennen und alle, die mich bisher kennen, waren überrascht: „Ach, du spielst da wirklich Klavier auf der Bühne“. Seit 26 Jahren ist das nur Nebenfach gewesen, beim Studieren an der Musikschule musste man es nebenher immer noch spielen. Dass es in der Art wiederkommt, hätte ich nicht gedacht. Bei der ersten Idee, die Musik live auf die Bühne zu bringen, hatte ich auch jemanden der Klavier spielt, ich selber habe Schlagzeug gespielt und dann noch jemanden, der Gitarre gespielt hat. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Beats, die ich schon mal produziert hatte, schön sind. Mit einem Schlagzeug sind sie live schwer zu reproduzieren. Ich war auch immer wieder versucht dem Pianisten zu sagen „ach, an der Stelle kannst du mal das und das machen“. Nach zwei Tagen Probe war klar, dass das so nicht das Ding ist. Irgendwann habe ich mich mal mit ein paar Leuten unterhalten und die meinten, dass ich die Beats so abfahren lassen soll wie sie sind und Klavier spielen sollte. So hat sich das dann entwickelt. Ich hatte erst die zwei Kollegen und jetzt ganz spontan den Dritten dazu.

Als ich euch zum ersten Mal gesehen habe, wirkte es so als ob ihr ein wenig improvisiert und da auch einen Hang zu habt.

Ja, auf jeden Fall. Das lustige an der Band ist: Marcel ist eigentlich DJ und spielt bei mir nur MPC und Kaoss Pad, der Niklas ist eigentlich Saxophonist und spielt Synthesizer und ich spiele eigentlich Schlagzeug und spiele in der Band Klavier. Ich finde das total cool. Es ist ein anderer musikalischen Approach, weil man nicht so festgefahren in seinem eigenen Instrument ist und nicht die üblichen Wege geht, sondern man muss halt gucken wie man es hinkriegt. Das ist für alle spannend. Wenn man ein Instrument studiert, kann man tendenziell ein bissel fest werden, weil man darüber soviele Informationen im Kopf hat. Und dann spiele ich in der Band halt einfach Klavier. Ich weiß, da bin ich nicht Profi und deswegen bin ich auch etwas freier – das sind wir alle. Es macht auch einen riesigen Spaß.

Ich glaube, das ist auch ein Vorteil, wenn man das so machen kann. Bei klassischen Musiker bzw. Musiker, die es studiert haben, habe ich oft das Gefühl, dass sie sehr mechanisch sein können, in dem was sie machen. Bei machen, die es nicht so gelernt haben oder sich selber beigebracht haben, ist der Unterschied, dass sie freier sind.

Ja, auf jeden Fall. Das tut der Musik unheimlich gut. Ich meine, beim Album hört man ja wirklich mein 11m² Zimmer und dieses Haus. Das ist wirklich alles akustisch, da ist nichts elektronisches. Ich habe daran rumgeschnitten und vielleicht mal bei ein, zwei Melodien Effekte eingesetzt, aber ansonsten ist alles analog, natürlich erzeugt.

Das hört sich nicht so an. 

Das ist alles zusammengebaut. Manchmal habe ich Beats für einen Takt eingespielt und das dann gelooped und manchmal nur einzelne Sounds genommen und daraus den Beat zusammengebaut – auf jeden Fall immer nach und nach zusammen gestückelt. Live haben wir noch Synthesizer mit dabei, der macht das ein bisschen dicker. Wenn die Beats über eine große Anlage kommen, ist das nochmal eine ganz andere Kraft. Das gibt eine ganz andere Größe durch die Synthieflächen und die Beats, die durch den Delay gehen. Es ist nochmal eine andere Reise.

Ich fand eure Spielfreude auf der Bühne so schön, bei dir ist immer ein Lächeln übers Gesicht gehuscht. Das hört man dann auch in der Musik, dass es eine Freude beim Spielen gibt.

Ja, das auf jeden Fall. Musik, auch wenn das Lied traurig ist, sollte immer Freude sein für den der es macht. Das stimmt. Viele verbiestern ja so ein bisschen oder werden bitter. Ich dachte bis Mitte 20 auch, ich würde mein Leben lang Jazzschlagzeuger sein, aber dann bin ich nach Erfurt gezogen, weil es mir hier in Berlin nicht gefallen hat. Ich komme vom Land und ich brauche Grün und Ruhe.

Da hast du nie in Wannsee gewohnt.

Nee, Schöneberg, Crellestraße, dunkler Hinterhof mit einem Fenster zum Norden raus und so. Das war eine ziemliche Blueszeit, muss ich gestehen. Dann kam ein Freund aus Erfurt und meinte, ich solle doch nach Erfurt ziehen. Ich war skeptisch, aber da hat sich die Musik horizontal geöffnet. Vorher Klassik, Jazz und so ein bisschen Pop und seitdem ich in Erfurt weile, wurde ich allem ausgesetzt: Hip Hop, Rock, Pop und elektronischer Musik. Dadurch habe ich erst den Zugang gefunden. Die haben dort alle nicht studiert. Wenn es da groovt oder schön ist, dann wird eben mit dem Kopf genickt und dann ist es gut. Da muss man nicht wissen, wie es auf dem Notenblatt aussieht. Es ist ein natürlicherer und direkterer Zugang zum Kern der Musik. Das habe ich da gelernt und da ging es auch erst los, dass ich das Klavier zum Komponieren und Spielen für mich wiederentdeckt habe. Ich kann nur meine Lieder spielen, ich kann sonst nichts anderes.

Reicht ja. Wieso willst du andere Sachen spielen, wenn du deine eigenen spielen kannst?

Es gibt schon ein paar schöne Songs, die ich gerne mal spielen würde, aber dafür brauch ich ein bisschen Zeit um sie mir draufzudrücken. Das Klavier ist schon nicht so einfach. Wenn man sich früher beim Rhythmusspielen mal vertrommelt hat, kann man das immer tarnen, weil das mehr so ein Geräusch ist. Jetzt spiele ich plötzlich eine Melodie und wenn man eine Note daneben haut, dann ist das eben daneben. Da bin ich noch sehr aufgeregt, weil es so zarte Melodien sind.

Wobei der Zuhörer das vielleicht gar nicht so schnell bemerkt. Bei mir ist das so: Ich merke es nicht unbedingt, wenn sich jemand mal bei einem Konzert verspielt. Ich bin kein trainierter Musiker, für mich kommt es auf andere Sachen wie das Lächeln, das durchs Gesicht huscht, an.

Das Publikum hat einen Empfänger für die Energie und die Freude, die von der Bühne kommen, die Atmosphäre und die Stimmung. Wir hatten schon zwei, drei Gigs, bei denen wir alle drei dachten „Was war das denn für ein chaotisches Ding?“, da hat der eine den Einsatz verpasst oder sonst was, aber die Neuzugängler zu meiner Musik fanden die Konzerte total schön, weil es am Ende geflossen ist. Man ist halt sehr subjektiv, man hat keinen Abstand, wenn man live spielt. Aber das ist echt spannend, zusammen haben wir jetzt 12 Sachen gespielt. Es geht jetzt so langsam los, dass man über die Musik so ein bisschen erhaben ist und wirklich anfängt damit zu spielen. Man weiß was kommt und kann sich innerlich ein bisschen drauf vorbereiten. Anfangs war es so, dass man sich von Teil zu Teil gerettet hat und dass man alles gescheit spielt. Es war etwas robotesque. Jetzt so langsam entspannt es sich und man hat ein bisschen mehr Überblick und kann anfangen die Musik an sich ein bissel mehr zu feiern.

Als ich „Siebzehn“ das erste Mal gehört habe, dachte ich „Oh, das ist ja relativ minimalistisch“ und mittlerweile denke ich „nee, ist es überhaupt nicht“.

Da sind so ein paar versteckte Kleinigkeiten.

Die fallen am Anfang nicht so auf – war das so geplant?

Nee, das hat sich ergeben. Ich hatte für keinen Song ein Konzept oder eine Idee. Ich mag grundsätzlich vermeidlich einfache Dinge, die so einen kleinen Twist haben. Bei den Songs auf der Platte sind das die Beats oder kleinen Elemente, die ab und zu durchschimmern, bei den man sagt „ach, dass ist ja lustig, das gibt es auch noch“. Am Anfang ist die Mucke so, dass sie auch im Hintergrund bei einem Film oder bei einer Wetteransage laufen könnte. Sie hat eben schon etwas begleitendes, da keine prägnante Stimme dabei ist. Die Einfachheit habe ich für mich entdeckt – nicht aus kommerziellen Gründen, dass die Leute es besser verstehen oder schlucken, sondern das kam zu 100 Prozent aus mir. Ich habe nie überlegt wie könnte ich etwas so machen, dass die Leute es auch schlucken. Ich hatten im April 2011 auf einmal viel Zeit. Da hatte ich zwei, drei Skizzen fertig und Kumpels, die auf Tour waren, machten Pause bei mir. Denen habe ich die Skizzen vorgespielt und sie fanden es total cool und groovy. Ich habe weiter gemacht, aber hatte immer die Jungs im Hinterkopf. Da habe ich unterbewusst so gearbeitet, dass es ihnen weiterhin gefällt. Irgendwann war ich aber festgefahren und bin zwei, drei Tage mit mir in Klausur gegangen. Ich habe alles nochmal reflektiert und gemerkt, dass diese Unbefangenheit und diese freie Herangehensweise, an das was man nur mal so probieren wollte, das war, was den Jungs so an der Musik gefallen hat. Ich habe versucht mich zu resetten und den Anspruch, dass es meinen Kumpels weiterhin gefallen soll, weggelassen. Das habe ich gelernt: Sein eigenes Ding machen. Wenn es einem gefällt, die Ruhe hat und dieses Selbstverständnis, dass die Musik so sein muss wie sie ist, weil es einfach nicht anders geht, das ist einfache Musik. Es gibt viele einfache, unkomplexe Musik, die ich total langweilig finde.

Lieder ohne Worte. Wieso eigentlich ohne Worte?

Es gibt keine Texte zu den Songs bis auf „Siebzehn“. Ich komm ja ein bisschen aus dem klassischen Sektor und mein Opa war klassischer Pianist, hat auch komponiert und war Dozent an der Hochschule in Leipzig in den 60iger oder 70iger Jahren. Von Felix Mendelssohn Bartholdy gibt es ein Klavierbuch, das heißt „Lieder ohne Worte“ und das habe ich so ein bisschen übernommen. Strukturell sind es Songs, alles eher kompakt gehalten und niemand singt. Deswegen war es dann eigentlich klar. Die erste Edition hieß auch offiziell „Lieder ohne Worte“. Aber jetzt hier meinte mein Kumpel, dass das ist ein bisschen lang und so ein bisschen gestakst ist und geht auch sofort in so eine klassische, elitäre Richtung. Die Abkürzung „L.O.W.“ das trifft es komplett. Es hat so einen melancholischen Hauch und die Aufnahmetechnik: Es war so ein Zoom Field Mikrophon. Ich habe das ja mit keinerlei High Tec gemacht, deswegen rauscht und knistert es und deswegen ist das auch low wie Low Fidelity.

Ich find die Titelnamen an und für sich recht amüsant: „Rinnsal“, „Regen“… sehr viel „R“.

Das ist Zufall. Das habe ich niemals gesteuert. Es ist mir aufgefallen als ich dann die Platte in der Hand hatte. Entweder Zahlen oder was mit „R“. Stimmt, das könnte auch wieder zu Spekulationen führen, aber das ist wirklich Zufall oder nennen wir es Synchronizität, weil mein Nachname ja auch Roth ist.

Vielleicht ist es auch dein Lieblingsbuchstabe?

Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt, aber es könnte hinkommen. Es hat so ein Grollen, aber auch was niedliches. Ich habe mich mehr so mit Zahlen und deren Stimmung beschäftigt. Deswegen gibt es auch „Siebzehn“, „Achtzehn“, „Einundzwanzig“… Der erste Song, den ich hatte und der so eine Nummer hatte, war „Siebzehn“. Da war ich noch nicht lange in Erfurt. Der Song ist jetzt mittlerweile auch schon fünf oder sechs Jahre alt. Ich lese Zahlen und die haben dann so eine gewisse Schwingung oder eine Spannung oder, nicht wirklich so eine Farbe, aber sie strahlen irgendwie so eine Energie aus. „Siebzehn“ zum Beispiel klingt sehr schön und sieht auch schön aus und die Quersumme aus 17 ist 8 und das ist ja wieder was rundes und auch unendlich. Das hat mit reingespielt. 18 war das Nächste und da mochte ich halt, dass es eine runde Zahl ist, hat die 8 und die 1 und die Quersumme ist die 9. Und 9 ist neben der Null meine Lieblingszahl. Ich habe noch einen Song geschrieben, der heißt 27 und den spiele ich mit einer anderen Band, Trio Schmetterling. Da ist die Quersumme auch wieder 9. Eigentlich hatte ich die Zahlen für Songs geplant, die so ein Ostinato haben, also ein Element, das stetig durchläuft. 21 hat schon wieder nichts mehr damit zu tun. [lacht]

Bei den anderen Titeln wie „Rinnsal“ finde ich den Klang der Worte so schön und deswegen mag ich die Titelnamen, auch wenn ich nicht immer genau weiß, was der Titel mit dem Song zu tun hat.

„Regen“ hieß zum Beispiel mal „Wolkig“ und dann hatte ich dieses Tischtennisball Element, wo es so tropft. Durch die schlechte Aufnahmequalität rauscht es sehr und man könnte denken, dass es Regen durch ein geschlossenes Fenster gehört ist. Deswegen wurde aus „Wolkig“ eben „Regen“. Man hat dieses regnerische, diese Stille und diese Melodie, die so ein bissel säuerlich ist und dann gibt es diese beiden Teile, wo es ein bisschen aufgeht, da kommt so ein bisschen Sonne rein und kurz vor dem Ende, wenn das Klavier ganz alleine ist, kommen die Strahlen raus. Beim Outro hat es sich dann etabliert, aber es tropft noch ein bisschen von den Bäumen. Das ist schon ein ziemlich programmatischer Titel. Bei „Rastlos“ ist es ähnlich. Der ist halt so ein bisschen unruhig. Es ist an sich ein langsames Lied, aber hat dieses immer wieder vorwärts, diesen Stress. Und „Rinnsal“ hieß erst „19″, weil es auch so ein Ostinato hat, aber dann „Rinn“ ist halt so schön und Rinnsal ist auch so ein schönes altes Wort. Das mochte ich vom Klang so sehr.

Alte Worte werden leider gern vergessen.

Genau. Ich schreib auch an einem Lied, das „Kleinod“ heißt. Das ist so ein Begriff, mit dem jeder sofort etwas halbkonkretes verbindet. So ein Kleinod kann ja ein Haus sein, wo du alle paar Monate hingehst um dich zu sammeln oder ein Kleinod ist ein Stein. Genauso Rastlos oder Rinnsal sind eher emotionale Bilder, die sich bei jedem sofort einstellen, die ich dann nicht berichtige, sondern jeder kann von dem aus ran gehen. Das Schöne ist auch an der Musik, dass sie auf der ganzen Welt verstanden wird. Man muss nicht die Musik umnudeln oder neue Texte schreiben, damit es Leute in Russland verstehen. Ich zwinge niemanden verbal etwas auf, nur musikalisch.

Das ist in Ordnung.

Gut, das freut mich, dann mach ich so weiter.

Na, ich bitte drum. Du hast den Punkt verpasst, an dem du hättest aufhören können.

Das stimmt. Ach, zum Glück hatte ich nie eine Wahl was so grundsätzlich ist. Es war schon immer Musik. Ich komme aus einer musikalischen Familie, also mütterlicherseits. Onkel Schlagzeuger, meine Schwester ist Querflötistin und meine Mom war Musiklehrerin und spielt Gitarre und Klavier. Und wie schon gesagt, mein Opa war Komponist und Pianist. Er hat mir ab 5 die ersten Unterrichtsstunden gegeben. Es war schon immer Musik. Irgendwann in der 7. Klasse fragte mich dann meine Schwester zum zweiten Mal, ob ich nicht aus den Dorf weg will und auf ein Internat um Musik zu machen. Mir war dann das Kleinstädtische auch damals schon zu krass und dann war das gut. Danach gab es schon mal einen Zweifel wie das alles funktionieren wird, aber seitdem ich beschlossen habe, dass Musik das Ding ist und man sich nicht mehr festnagelt auf „ich bin Schlagzeuger“ oder „ich bin Pianist“ oder „ich mach jetzt einen auf Produzenten“, dann gingen sofort alle Türen auf, weil man viel offener in die Welt geht. Es gibt definitiv kein Weg zurück. Was es jetzt konkret wird in den nächsten Jahren, ob es mehr Klavier oder Schlagzeug oder gar nicht mehr und nur noch produzieren – das Schöne ist, dass ich das überhaupt nicht weiß. Ich plane auch nicht. Ich habe oft den Eindruck, viele Leute rennen vor einer Sache her, um zu gucken was mache ich jetzt, wo muss ich hin, an welchen Türen rüttel ich und was lasse ich weg. Ich habe es zum Glück schon ein bisschen so hingekriegt, dass ich mitten in der Sache drin bin und auch ein wenig getragen werde. Ich habe letztlich auch niemanden dazu gezwungen bei mir mitzumachen. Ich hab halt ein paar Leute gefragt und die hatten sofort Bock. Den Weg geht man jetzt gemeinsam. Es ist für mich und die anderen Neuland. Da gibt es keinen fünf Jahres Plan. Mal gucken. Was kommt, das kommt.

Das ist ein großer Vorteil keinen Plan zu haben.

Ja, auf jeden Fall, weil man es umgeht sich auf etwas zu sehr zu versteifen. Man rüttelt manchmal an Türen, die so ein bisschen aufgehen, man kann schnuppern und rein gucken, aber dann klemmt es und man nimmt die ganze weite Welt um sich herum gar nicht wahr. Man nimmt auch nicht wahr, dass man durch einen Nebenraum ganz easy reinkommen würde. Das finde ich echt spannend. Es ist ja immer soweit, wenn es soweit ist. Das ist ja das schöne am Leben. John Lennon wusste das ja auch schon: „Life is what happens while you make other plans“. Den habe ich mir etwas zu Herzen genommen. Und ein sehr schönes Gedicht von Christian Morgenstern:

„Alles fügt sich und alles erfüllt sich,
musst es nur erwarten können
und dem Werden deines Glückes
Jahr und Felder reichlich gönnen.
Bis du eines Tages jenen
reifen Duft der Körner spürest
und dich aufmachst und die Ernte
in die tiefen Speicher führest.“

Vielen Dank für das Interview, Jan!

Im vergangenden Sommer veröffentlichte Jan Roth „L.O.W.“ auf Sinnbus. Jetzt ist er zurück auf Tour um den Hörer live mit seiner instrumentalen Musik zu verzaubern.

27.02.,Berlin, about blank
02.03., Bochum, Urban Urtyp
14.03., Erfurt, Stadtgarten w/ Hundreds

Interview: Dörte Heilewelt

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