Interview mit GusGus

Seit 1995 gibt es sie. Nun, im 16. Bestandsjahr, nach 8 Studioalben, unzähligen Stilbrüchen wie auch Mitgliederwechseln, füllt die isländische Formation GusGus noch immer große Hallen wie das Berliner Astra Kulturhaus Anfang Oktober. Im Interview erzählten Sängerin Earth, die mit einigen Unterbrechungen nun wieder ein festes Bandmitglied darstellt, und Biggi Veira u.a. von dem richtigen GusGus-Sound, der Magie eines guten Songs und letztlich auch von ihrem Glück mit ihrem Label „Kompakt“, auf welchem auch ihr neuester Streich „Arabian Horse“ vertreten ist und zu dem nun das gutgelaunte Touren rund um den Globus erfolgt.

GusGus (c) Hella WittenbergFühlt ihr euch im Moment unbeschwert?

Earth: Ja, das tue ich.

Biggi: Sie ist verliebt! Und es sieht wohl sehr vielversprechend aus.

Earth: Was soll ich sagen… Es ist toll!

Ihr seid schon so lange mit eurer Musik im Geschäft. Kann euch da noch irgendetwas schocken?

Biggi: Puh… Man könnte das wohl so sagen… Aber die Wahrheit ist doch, dass wir immer zu kämpfen hatten. Es ist noch nie einfach gewesen. Wir haben natürlich schon eine Menge gesehen, die kleinen wie auch die großen Venues. Wir sind ein paar Mal aufgestiegen und ein paar Mal abgestiegen (lacht). Naja, es ist schon wahr. Wir haben ein gutes Verständnis von dem Business. Gleichzeitig glaube ich, dass sich das Musikbusiness dieser Tage sehr verändert. In Hinblick auf unseren Beginn als Musiker hat sich eine Menge gewandelt und wir versuchen uns anzupassen. Die Labels werden schwächer, also müssen wir mehr auf das Touren und die Promoter vertrauen. Die Promoter machen jetzt viel mehr, sie sind progressiver. Es gefällt uns auch ganz gut, dass wir auf diesem wirklich netten und respektierten deutschen Label namens „Kompakt“ sind. Wir fühlen uns also sehr optimistisch was die Zukunft angeht.

Bevor ihr zu „Kompakt“ kamt, hatte man das Gefühl ihr seid weg vom Fenster, obwohl ihr noch Alben gemacht hattet. Nur gab es keine ordentliche Promotion dazu.

Biggi: Das stimmt. Unser Album „Forever“ haben wir quasi alleine gemacht, auf unserem eigenen Label. Als wir dann „24/7“ fertig hatten, wollten wir das aber nicht noch einmal und schauten uns nach einem passenden Label um, das auch mehr Promotion für uns machen würde. Dann kamen wir auf „Kompakt“ und fanden, dass es passt, da das Album so eine Art Techno beziehungsweise Minimaltechno war. Nachdem wir es den Leuten vom Label geschickt hatten, wollten sie es auch direkt veröffentlichen und das machte uns überaus glücklich. In meinen Augen ist das neue Album eine Fortführung von „24/7“. Es geht zwar mehr um die Songs auf dem Album und es ist auch irgendwie poppiger, aber trotzdem hat es diese Verbindung zum Minimaltechno und damit ist es auch eine Weiterführung des Vorherigen. Aber ich habe so im Gefühl, dass es nun Zeit ist für etwas Anderes. Wir werden sehen!

Wenn man irgendwo einen Song von euch hört, weiß man in jedem Fall sofort, dass ihr es seid.

Earth: Ich denke, dass GusGus einen Instinkt für den richtigen GusGus-Sound haben. Natürlich variiert die Musik stark durch das viele Experimentieren und auch das Reisen. Aber sie finden immer instinktiv den richtigen Klang.

Biggi: Hm, aber ich bin nicht sicher, was unser Sound genau sein soll.

Earth: Eine Mischung aus deinen guten Ohren und euren einmaligen Synthesizern!

Biggi: Ja, vielleicht stimmt das. Wir gehen so daran, dass wir Dance-Elemente mit Popmusik kombinieren, so dass sie sich in Balance befinden. Für mich persönlich gehört zu unserem Sound auch eine tiefe Melancholie dazu. Aber so richtig weiß ich nicht… Vielleicht ist es unsere Attitude, vielleicht sind es einfach nur wir und unser Zugang zur Musik. Ich finde aber wir haben unterschiedliche Stile. Aber ja, es sind immer wir. Ohne jetzt sagen zu wollen, dass wir intentional handeln. Wir denken uns nicht, dass wir unbedingt den einen GusGus-Sound auf dem Album haben müssen. Andererseits haben wir auch wirklich keinen Schimmer davon, was das nun ist (lacht).

Was macht für euch die Magie von Dance-Musik aus?

Earth: Ah, ich mag Dance-Musik gar nicht so sehr. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich mache nicht Musik nach einem bestimmten Muster. Ich will kein bestimmtes Genre bedienen.

Biggi: Ich liebe den Gedanken hinter der Dance-Kultur. Nämlich den, dass man gute Vibes kreiert und das ausreicht. Außerdem kommt man an Dance-Musik ganz anders heran als an Popmusik. Ein Popsong der kriegt dich einfach so (schnipst mit den Fingern), ganz schnell. Aber bei Dance-Musik ist das anders.

Earth: Ich mochte es als du mal zu mir meintest, dass Dance-Musik wie eine Reise ist.

Biggi: Genau, wir nehmen uns Zeit für die Tracks. Wir hören richtig zu. Deshalb sehe ich uns als Albumkünstler und nicht als Singlekünstler. Uns ist der Gesamteindruck sehr wichtig, die Erfahrung, die man damit macht. Mit „Arabian Horse“ ist es nicht so, dass die Leute sich denken, dass sie das Album vorspulen wollen, sondern sie hören es komplett durch. Und dann noch einmal.

Wie ermöglicht ihr es dem Hörer das Herz, welches ihr in eure Musik steckt, hör- und fühlbar zu machen?

Biggi: Indem es echt für mich ist. Ich grenze Musik nicht von meinem Leben ab. Im Gegenteil. Jeder Song, den ich mache, ist wochenlang mein Lieblingssong. Also mache ich Musik für mich selbst. Ich mache jedes Mal meinen nächsten Lieblingstrack. Wir alle machen Musik, die wir lieben. Wenn andere Leute das dann mögen, ist das nett, aber an erster Stelle stehen wir selbst.

Earth: Ich denke die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Manche Leute verstehen es und manche eben nicht. Für mich persönlich sieht es so aus, dass ich Musik mache, um etwas herauszulassen, was unbedingt aus mir heraus will. Es ist ein Gefühl, das in keiner anderen Weise ausgedrückt werden kann. Manchmal arbeitet man deshalb sehr lange an einem Song oder genau das Gegenteil ist der Fall. Aber man weiß immer, dass etwas da ist und man es nur noch richtig greifen muss.

Biggi: Du musst es zu halten kriegen!

Earth: Und dann polieren.

Was ist denn zurzeit euer Lieblingssong?

Biggi: Es ist ein Remix zu unserem Stück „Deep Inside“, bei dem ich selbst geholfen habe ihn zu mixen und zu vollenden. Deshalb ist es mein Lieblingssong. Es ist wirklich, wirklich, wirklich ein sehr cooler Track mit einem sehr guten, tiefen, sexy Vibe. Der Song wurde auch ziemlich verlangsamt, was ihm auch gut tut.

Earth: Ich höre zu Hause viel „Histoire de Melody Nelson“ von Serge Gainsbourg. Aber wenn man das nur auf GusGus beschränkt, würde ich definitiv sagen, dass mir auch der Remix am besten gefällt.

Biggi: „Histoire de Melody“ ist doch ein Album! Du sollst aber deinen Lieblingssong nennen!

Earth: Na ich habe eben keinen richtigen Lieblingssong, sondern nur ein Lieblingsalbum im Moment. Damit musst du klar kommen.

Wenn ihr schon auf Remixe zu sprechen kommt: ihr selbst fertigt häufiger Remixe für andere Künstler an. Was muss ein Song haben, damit ihr ihn nicht links liegen lasst?

Biggi: Er muss Herz haben. Also irgendwelche Elemente, ob nun Melodie oder Text, die berühren. Aber es gibt auch Songs, bei denen man sich selbst an die Arbeit machen muss, um das Herz in den Song zu bringen (lacht). Naja, es ist schon so, dass man manchmal wirklich danach suchen muss und wenn man dann das Herz findet, muss man es mit dem richtigen Allerlei umgeben. Ich habe gerade erst einen Remix für einen Freund Sexy Lazer gemacht, der in der Band „Human Woman“ spielt. Und ich denke besonders für ihren Song habe ich nachträglich eine sehr nette Attitude erschaffen können.

Wie findet ihr die passenden Texte zu eurer Musik?

Biggi: Meist kommen die jeweiligen Sänger mit den Texten zu uns. Für sie ist es sehr wichtig, dass sie etwas singen, das für sie selbst einen Sinn ergibt. Im Besonderen bei Daníel (Anm. Daníel Ágúst Haraldsson) ist es der Fall, dass er etwas singen möchte, was im höchsten Maße relevant ist für ihn. Bei Earth scheint es als würde sie immer über die gleichen Dinge singen (lacht).

Earth: Naja, jedenfalls streiten wir uns nicht über die Texte. Ich meine, wir haben eine Menge Demos, eine Menge Ideen für die Texte und natürlich Songs, die es letztlich nicht auf ein Album schaffen. Es ist also so, dass wir uns auf halber Strecke treffen müssen. Aber dabei streiten wir uns nicht. Es ist eher so, dass wir einen Pool von Songideen haben und daraus auswählen können. Wir nehmen dann die Sachen, die uns allen gut gefallen.

Biggi: Ich bin jedenfalls sehr flexibel, wenn es darum geht worüber die Sänger singen. Bei diesem Album gab es nur einen Moment, in welchem Daníel zu mir kam mit dem Text zu „Deep Inside“ und ich nicht so locker blieb. Da meinte ich zu ihm, dass er da unbedingt noch mal ran muss, weil der Text voller Klischees war und ich nur so dachte, dass das nicht zu unserer Arbeit passen würde. Er konnte das doch nicht tun! (lacht) Er sagte dann, dass es in Ordnung wäre, wenn er einen zweiten Blick darauf werfen würde. Und dann wurde es um einiges besser. Also, natürlich haben wir auch ein bisschen die Kontrolle darüber, was die Texte angeht.

Earth, denkst du, dass du eine gute Songwriterin bist?

Earth: Ja, das tue ich. Ich weiß das einfach, weil GusGus so viele Hits haben (beide lachen ausgiebig darüber). Ich denke wirklich, dass man Vertrauen in das haben muss, was man tut. Und ich tue das nun seit elf Jahren und somit bin ich an einem Punkt, an dem ich sagen kann: ja, ich schreibe gute Songs. Na gut, nicht jeder Song den ich schreibe, ist gut, aber…

Biggi: Doch, jeder Song, der von dir kommt, ist gut! Ich habe eine sehr simple Art zu messen, ob ein Song gut ist. Und zwar wenn ich Gänsehaut bekomme, dann ist er gut. Das ist wirklich sehr einfach (lacht). Wir haben zum Beispiel den Song „Moss“ für sehr lange Zeit im Repertoire gehabt. Aber wir haben ihn jedes Mal weiterentwickelt, sodass er somit jedes Mal etwas Besonderes an sich hatte. Damit ist es nicht einfach nur ein Song, den man vom Album abspielt, sondern es ist mehr ein Experiment, wo immer wieder neue Elemente hinzugefügt werden und neue Richtungen, die wir und das Publikum entdecken können. Bei „Moss“ habe ich neue Chords dazu gemacht und es dadurch auf ein neues Level gehoben. Als wir dann im Proberaum waren und uns einige alte Songs angeschaut haben, um sie unter die Songs von „Arabian Horse“ zu mischen, kamen wir auch auf die neue Version von „Moss“. Als Daníel dann auch noch dazu gesungen hat, ging es sofort los mit der Gänsehaut am ganzen Körper. Ich glaube, ich bin sogar ohnmächtig geworden. Es war so wunderschön! Und die anderen im Raum hatten definitiv auch Gänsehaut.

Was sagt ihr zu Liveaufnahmen von euren Konzerten auf Youtube?

Earth: Es gibt einige Clips von unseren Auftritten, die richtig gut sind. Manchmal bekommen die Handys richtig gute Qualität hin (lacht).

Biggi: Aber viel Zeug, was online ist, ist auch einfach nur Müll. Für unsere Website suchen wir jedoch immer einige Clips heraus, die gut sind, um sie dann selbst geordnet online zu packen. So hat man einen guten Kontrast zum Rest und beispielsweise die Booking-Leute in Island können sich ein Bild von uns machen.

Earth: Aber ich denke wir sind auch eine sehr gute Liveband. Was wir am besten können, ist live spielen. Und kein Video könnte jemals dieses Gefühl und unsere Präsenz so exakt wiedergeben.

Biggi: Das ist nicht ganz korrekt. Wir müssen natürlich etwas Kontrolle darüber üben, was es über uns im Netz gibt. Aber Booking-Leute überall auf der Welt wollen sich einen ersten Eindruck verschaffen wie die Band wohl live ist und sie werden uns sowieso browsen. Also müssen wir irgendwas, halbwegs Gutes vorbereitet haben damit sie etwas von Relevanz zu sehen bekommen. Aber am besten ist es natürlich,  sich selbst einen Eindruck zu verschaffen!

Interview und Foto: Hella Wittenberg