Nachdem die Ohrwurm-Single „Little Numbers“ Anfang August schon für eine erfrischende Brise im Spätsommer sorgte, folgt fast genau einen Monat später das Debütalbum des Mädchenduos BOY. Sängerin Valeska Steiner und Mitmusikerin Sonja Glass, die glücklicherweise trotz geografischer Distanz zueinander fanden und seitdem gemeinsam liebliche Pophymnen kreieren, lassen sich im Interview bei Kaffee und Kuchen so einige spannende Sachen entlocken. Zum Beispiel über ihren Erstling „Mutual Friends“, welcher bei Herbert Grönemeyers Label Grönland Records erschienen ist sowie die Zusammenarbeit mit Thomas Hedlund von Phoenix und ihre Hoffnungen und Zukunftspläne.
„This is the beginning of anything you want“, so heißt es im Opener von „Mutual Friends“. Auch ihr lasst mit dem Debütalbum einen Startschuss los, was denkt ihr wird damit alles für euch beginnen und sich auch verändern?
Valeska: Die Veränderung hat schon längst begonnen durch das ganze Arbeiten am Album und das Unterwegssein, was uns großen Spaß macht. Überhaupt eine Platte herauszubringen ist sehr aufregend und schön. Wir erhoffen uns davon noch mehr unterwegs sein zu können, viel spielen zu können und dabei von den Leuten gut angenommen zu werden.
Sonja: Meine Hoffnung war, dass wir etwas hinbekommen, das uns gefällt und das sich entwickelt, seinen Weg geht.
Valeska: Man macht es ja schon für sich, aber natürlich hat man auch die Hoffnung, dass es auch andere Leute hören. Aber jetzt ist das Album jedenfalls fertig und man kann da nichts mehr daran ändern. Man weiß nicht wie es angenommen wird und das finde ich spannend.
Wusstest ihr von vornherein wie ihr eure Inspirationen und Einflüsse auf dem Album verarbeiten würdet?
Sonja: Ich habe bei mir immer das Gefühl dass Sachen, die einen beeinflussen, eher unbewusst mit einfließen. Natürlich hört man viel Musik, trägt diese mit sich herum und dazu kommen noch Eindrücke aus der Natur und so was kommt dann alles unbewusst zusammen.
Valeska: Für die Texte ist natürlich das Leben der Einfluss. Was man so erlebt und sich dabei denkt. Das sind schon sehr direkte Einflüsse auf die Musik. Wenn ich mir andere Songschreiber anschaue, die ich gut finde, steht diese Bewunderung so für sich. Man versucht dann trotzdem nicht nachzuahmen, sondern etwas Eigenes zu machen.
Entstehen eure Songs aus Momenten, kontinuierlichen Zuständen oder kleinen Details heraus?
Sonja: Die Musik kam am Anfang durch Details, die sich dann zusammengefügt haben. Und die Texte sind auf jeden Fall Situationen und Momente.
Valeska: Ja, genau. Vielleicht muss man auch dazu sagen, dass die Musik hauptsächlich bei Sonja entsteht und ich dann dazu die Texte schreibe. Das sind die zwei verschiedenen Bereiche. Da arbeiten wir, glaube ich, auch sehr unterschiedlich.
Sonja: Ja. Wir sitzen auch nicht in einem Raum zusammen und schreiben. So entsteht meist die Musik getrennt von dem Text oder zumindest die Gerüste mache ich zuerst und dann schicke ich sie Valeska. Alles per E-Mail, ganz unromantisch. (lacht)
Valeska: Wahrscheinlich ist es so, dass mich Sonjas musikalische Ideen sehr beeinflussen. Da mir dadurch schon eine Stimmung vorgegeben ist und ich dann damit herumlaufe und mich frage auf was mich das jetzt bringt.
Wieso war der Umzug von Zürich nach Hamburg notwendig, wenn ihr doch die Songs per E-Mail verschickt und nicht gemeinsam gearbeitet habt?
Valeska: Das frage ich mich manchmal auch! (lacht) Also für die Schreibphase wäre es tatsächlich auch gegangen, dass man weiter voneinander entfernt ist als fünfzehn Minuten. Aber so haben wir uns eben auch zwischendurch viel getroffen, Kaffee getrunken und darüber geredet. Das ist, glaube ich, schon gut. Bei unserer ersten Single „Little Numbers“ war es zum Beispiel so, dass ich den Text aus der Schweiz geschickt habe und das hat ganz gut funktioniert. Da spielt die örtliche Nähe nicht so eine Rolle. Aber wir haben auch nicht so konstant gearbeitet. Wir haben immer wieder geschrieben, sind dann nach Berlin zu unserem Produzenten gefahren, haben etwas aufgenommen, dann wieder zum Schreiben nach Hamburg. Da war es gut eine gemeinsame Basis zu haben, obwohl es faktisch für das Schreiben nicht notwendig gewesen wäre.
In „Drive Darling“ geht es ja auch um einen scheinbar sehr schmerzhaften Umzug.
Valeska: Es ist immer noch traurig und ich vermisse sehr viel. Ich glaube, wenn wir nicht so oft in der Schweiz spielen würden, wäre es echt schwierig für mich. Aber im Moment sind wir dort viel unterwegs und ich kann meistens noch einen Tag dranhängen, um mich mit Freunden oder meiner Familie zu treffen. Das macht das richtige Gleichgewicht zwischen den zwei Welten aus und lässt mich besser fühlen.
Sonja: Wir versuchen auch wirklich viel dort zu spielen und dort präsent zu sein.
Valeska: Aber auch wenn „Drive Darling“ ein bisschen melancholisch ist, hat der Umzug auch solche Gefühle wie „This Is The Beginning“ mit sich gebracht. Es ist nicht so, dass man vor sich hin weint und denkt, dass man sofort nach Hause möchte, sondern es ist auch ein schöner Neuanfang, wenn man an einen guten Ort gelangt ist. Und das ist Hamburg auf jeden Fall.
Sonja: Aber Zürich ist auch toll. Da musst du mal hin! Da gibt es einen superschönen See, in den du von jeder Seite hineinspringen kannst und der dazu auch noch so sauber ist, dass du bis auf den Grund sehen kannst.
Wo habt ihr das Album aufgenommen und hört man den Ort besonders heraus?
Valeska: Hm, also wir haben ja den größten Teil des Albums in Grunewald aufgenommen, im Elternhaus unseres Produzenten. Genauer gesagt in seinem alten Kinderzimmer, wo er sich ein kleines Studio eingerichtet hat. Mittlerweile hat er sogar ein richtiges Studio dort, aber in den Genuss sind wir nicht mehr gekommen. (lacht) Aber das war schön und auch wieder eine sehr spezielle Stimmung. Weil wir auch immer so intensiv gearbeitet haben, weil wir dort so abgeschottet waren. „July“ haben wir zum Beispiel in einem alten Holzraum aufgenommen.
Sonja: Eigentlich in einem Vorraum, vor dem Eingang.
Valeska: Ja, der so mit Holz vertäfelt ist. Also da, finde ich, hört man so ein bisschen die Stimmung von dem Haus. Da ist so ein richtiges Knarzen drin. Aber sonst kommt das gar nicht so zur Geltung.
Wie kam es zu der Entscheidung, auf Englisch zu singen?
Valeska: Deutsch zu singen ist nicht wirklich eine Option für mich, weil mir das jetzt nicht viel näher liegt als Englisch. Ich habe schon immer mehr englische Musik als deutsche gehört. Und wenn ich in meiner Sprache singen würde, wäre das ja Schweizerdeutsch und das wäre hier, glaube ich, einfach nicht verwirklichbar. So ist Englisch für mich am nahe liegendsten. Ich habe mich mit englischer Musik auch sehr viel auseinandergesetzt.
Erzählt mir von der Zusammenarbeit mit Thomas Hedlund. Wie kam diese überhaupt zustande?
Valeska: Wir saßen im Studio und haben uns das Demo zu dem Song „Oh Boy“ angehört, da war ja noch das Schlagzeug programmiert und so. Und da wir ein Duo und keine große Band sind, konnten wir uns bei jedem einzelnen Stück genau überlegen, welcher Musiker hier passt und wen wir fragen, um etwas Musikalisches beizusteuern. Und da saßen wir so und Sonja meinte dann: „Na wer muss das eigentlich logischerweise spielen?“. An dem Punkt war uns eigentlich klar, dass es ein Thomas Hedlund Song ist, weil wir es so gerne mögen, wie er bei Phoenix trommelt. Er spielt ja in vielen Bands, aber über Phoenix kannten wir ihn. Als sie in Zürich spielten, habe ich ihn kennengelernt. Danach waren wir nur lose in Kontakt, haben uns alle paar Monate mal geschrieben und uns gefragt wie es uns so geht. Als es dann um den Song ging, waren wir sehr aufgeregt ihm diesbezüglich zu schreiben und hätten uns auch fast nicht getraut. Aber zum Glück haben wir es gemacht, denn er hat auch sehr nett zurückgeschrieben und meinte, dass er es gern machen würde. Sie hatten einen freien Tag in Hamburg und so passte das dann perfekt. Es war echt viel einfacher als wir dachten.
Sonja: Wir hatten auch eine sehr klare Vorstellung davon, wie es klingen sollte und wussten, dass sein Stil gut passen würde. Somit haben wir ihm auch den Raum gegeben seine Natürlichkeit mit in den Song hineinzubringen.
Valeska: Naja, aber bei „Waitress“ war es so, dass er zuerst eine Version gespielt hat wie es auf dem Demo klang und danach noch eine total eigene, die wir letztlich auch genommen haben. Wir merkten, dass, wenn man ihm vorgibt wie er zu spielen hat und das aber nicht in seiner Natur liegt, es auch komisch klingt.
Sonja: Und so haben wir dann doch seinen eigenen Stil und damit einen ganz besonderen Charme einfangen können. Er ist auch wirklich ein netter Mensch.
Valeska: Und sehr bescheiden ist er.
Was hat euch selbst im Studio überrascht?
Valeska: Dass das so lange gedauert hat! (lacht)
Sonja: Na mich hat eigentlich gar nichts im Studio überrascht.
Valeska: Mich auch nicht richtig. Die Songs waren halt so skizziert, es gab also schon den groben Ablauf als wir dann ins Studio gegangen sind, um es konkret zu machen. Und manchmal gibt es diesen Moment, in dem man merkt, dass noch etwas fehlt und jemand spielt plötzlich genau das Richtige und es fühlt sich mit einem Mal ganz an. Das ist ein überraschender Augenblick.
Sonja: Ja, stimmt. Dann macht plötzlich alles Sinn.
Valeska: „Little Numbers“ war eine solche, total positive Überraschung. Mit einem Mal hat er funktioniert und das war auch noch der letzte Song.
Sonja: Der kam wirklich so ganz schnell zu uns, ohne dass wir da viel Mühe hineinstecken mussten. Manch andere Songs waren viel zeit- und arbeitsaufwendiger.
Wie experimentell seid ihr an die Arbeit zu „Mutual Friends“ herangegangen?
Sonja: Wir haben tatsächlich wahnsinnig viel herum geforscht.
Valeska: Also wir mussten das auch tun.
Sonja: Ja, das ging gar nicht anders, weil Philipp, unser Produzent, und wir uns das Ziel gesetzt hatten zu gleichen Teilen mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Deswegen haben wir ganz viel ausprobiert und manchmal gab es Situationen, in denen zwei gedacht haben, dass es das jetzt wäre und der Dritte meinte, dass das nicht so ginge. (lacht) So haben wir viel mit Sounds und Linien experimentiert.
Wie lang genau hat dieses Ausprobieren gedauert?
Valeska: Zweieinhalb Jahre.
Sonja: Also vom ersten Schreiben bis zum fertigen Album. Dazwischen haben wir aber auch Konzerte gespielt. Wir haben also nicht ganze zweieinhalb Jahre im Studio verbracht. Genau, und dann musste es noch gemischt und gemastert werden.
Valeska: Man dachte aber schon manchmal, dass es so endlos wäre und gar nicht mehr aufhört. Aber im Nachhinein hat es total Sinn gemacht, dass es so lange gedauert hat. Weil wir nun alle drei damit glücklich sind. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Ich sehe eure leichte, feminine Musik als starken Gegensatz zu eurem Bandnamen. Ist das so beabsichtigt?
Sonja: Nein. Wir haben einfach schon ganz lange nach einem Namen gesucht, ein halbes oder dreiviertel Jahr sogar, ich weiß es aber nicht mehr genau. Auf jeden Fall wollten wir etwas Weibliches oder etwas, das die Schweiz und Deutschland miteinander verbindet. (lacht) Und BOY ist relativ früh schon einmal aufgetaucht, dann haben wir den Namen wieder verworfen und kamen letztlich wieder darauf zurück. Weil wir finden, dass es gut klingt und auch einfach gut aussieht. Und es ist auch ein Gegensatz zur Musik und bleibt gerade deshalb bei den Leuten hängen. Aber so wahnsinnig mit Inhalt…
Valeska: So durchdacht ist es nicht. (lacht)
Sonja: Aber man kann auf jeden Fall schöne Sache damit machen.
Also denkt ihr euch die Designs auch selbst aus?
Sonja: Wir haben natürlich einen Designer, der das alles macht und den wir auch deshalb ausgewählt haben, weil er ganz tolle Sache macht. Er hatte dann Vorschläge gemacht, aber wir haben auch ein bisschen mit gequatscht. (lacht) Muss man mal sagen!
Valeska: Ja und eben bei allen Sachen. Deshalb hat es auch irgendwie so lange gedauert, weil wir bei allem so lange dran bleiben bis es wirklich passt und uns beiden gefällt.
Sonja: Da geben andere Bands, glaube ich, schon mal ab und sagen, dass dann eben jemand anderes sich um die Fotos oder die Grafik kümmert. Wo wir hingegen ganz genau hingucken.
Sonja: Das haben uns Leute schon öfter gefragt.
Valeska: Ich glaube irgendwie stimmt das auch ein bisschen. Man kann natürlich auch sagen, dass das Artwork jetzt noch nicht perfekt ist und man sich trotzdem dafür entscheidet es raus zu hauen. Aber dann hätte es sich doch auch nicht gelohnt, sich so viel Zeit zu nehmen für das Album.
Sonja: Ja, man sollte da nicht nachlässig werden. Denn das Auge hört mit. Außerdem versucht man auch irgendwie herauszufinden wer man eigentlich ist oder keine Ahnung… Das dauert einfach ein bisschen.
Genießt ihr den Moment oder seid ihr im Kopf schon beim nächsten Album?
Sonja: Also ich kann den Moment genießen, obwohl man gerade nicht richtig zum Nachdenken kommt, weil so viele Sachen passieren. Aber ich versuche es trotzdem zu genießen.
Valeska: Ich auch. Bis das Album rauskommt, ist schon das schöne Gefühl, dass man etwas fertig gemacht hat und es in den Händen halten kann. Das ist sehr cool. Aber wir müssen trotzdem langsam anfangen zu schreiben für das nächste Album. Man kann sich jetzt kurz freuen, doch dann muss man auch weiter. Aber so ein Album ist schon so etwas, was einem niemand mehr nehmen kann.
Womit wollt ihr denn euer Publikum bei der Tour im Herbst überraschen?
Sonja: Wahrscheinlich werden sie überrascht sein, dass wir plötzlich mit Band spielen. (lacht) Wir haben bis jetzt fast hauptsächlich als Duo gespielt.
Valeska: Ja, das wird auf jeden Fall viel Spaß machen!
Sonja: Ich sehe das so, dass man dann die Songs ein bisschen farbenfroher spielen kann mit Band. Aber wir werden jetzt keine derben headbanging performances deshalb machen! (lacht)
Interview: Hella Wittenberg
Fotos: Jens Herrndorff