Mit unbekanntem Material auf Tour zu gehen und es auf diese Weise am Publikum auszutesten, ist ein Move, der eher im Comedy üblich ist. Lauren Mayberry, Sängerin der Band CHVRCHES, hat einfach mal mutig ihr Köfferchen mit neuen, zum größten Teil unveröffentlichten Songs gepackt und ist aktuell unterwegs, diese erstmals live zu spielen. Es ist Material, das innerhalb der Arbeit mit CHVRCHES kein Zuhause gefunden hat und das jetzt endlich das Licht der Welt erblicken darf. Mit dem Gedanken, ein Soloalbum zu veröffentlichen, trägt Mayberry sich bereits seit 2015. Und dass sie das Zeug zur Solokünstlerin hat, beweist sie in ihrer kurzen, aber eindrucksvollen Show allemal.
So zum Beispiel Im Berliner Lido, das an diesem Abend nicht ausverkauft, aber doch gut gefüllt ist. Lange ist es her, dass CHVRCHES zuletzt in Deutschland gespielt haben, aber, das schickt sie sofort voraus, CHVRCHES Songs wird es an diesem Abend trotzdem keine zu hören geben. Dafür aber zum Beispiel ein Cover von Madonnas „Like A Prayer“, das Mayberry wie auf den Leib geschneidert wirkt und einen Song, den sie immer spontan für die jeweilige Stadt auswählt. In Berlin war das zum Beispiel Nenas „99 Luftballons“, auf Deutsch vom Blatt abgelesen, in Paris „Paris“ von The 1975. Bei all dem besticht Lauren Mayberry mit Humor und ihrem unbefangenen Charme, sie trägt ihre wenigen Deutschkenntnisse zur Schau, erzählt Witze und Anekdoten und ist gleichzeitig in diesem intimen Rahmen eine schillernde Persönlichkeit, die man sich mühelos auch auf der ganz großen Popbühne vorstellen kann. Begleitet wird sie von einer All-Female-Band, die einen äußerst druckvollen Sound für die Songs bereitet.
Die aktuelle Solo-Single „Shame“ folgt auf die Ballade „Are You Awake“, und beide Songs zusammen zeigen zudem die musikalische Bandbreite Mayberrys, die sich nun auch außerhalb des Synth-Pop-Gerüstes von CHVRCHES voll entfalten kann. „Shame“ beschäftigt sich mit den Dingen, die einen in der Jugend prägen – romantische Ideale, von den Medien geprägte Männer- und Frauenbilder und optische Vorlieben, deren Problematik man im Nachhinein durchblickt, von denen man sich aber doch nicht so ganz freimachen kann. Es bleibt auf jeden Fall spannend, wohin Lauren Mayberry ihre Solopfade führen werden.
Foto © Universal Music