Halsey: Möge die Macht mit ihr sein

Montag, 30.8.2021, 19:00 Uhr – und ich durchlebe bei Halseys Moment House Streaming Konzert ein wahres Wechselbad der Gefühle. Die US-amerikanische Singer/Songwriterin* hatte sich da gerade mit ihrem vierten Studioalbum „If I Can’t Have love, I Want Power“ zurückgemeldet. Neben Halsey selbst waren an dessen Entstehung Jonathan Cunningham sowie Greg Kurstin beteiligt. Hinter der Produktion stecken mit Trent Reznor und Atticus Ross von den Nine Inch Nails Namen, die ihr Handwerk verstehen – und das hört man. Halseys bleibt sich und ihrem Sound treu und klingt dennoch noch kantiger und more edgy als zuvor. „If I Can’t Have Love, I Want Power“ ist ein Alternative Rock und Pop-Punk Album mit starkem Industrial-Einfluss. Während der Promo Phase gab es für Fans dieses Mal zudem ein besonderes Schmankerl: Ein zum Album passender Theaterfilm mit der Musik der Platte wurde weltweit in IMAX Kinos ausgestrahlt. Der Release konnte kommen. 

Aber zurück zum Konzert. Insgesamt 40 Minuten lang schafft es Halsey, dass keiner den Blick vom Bildschirm abwenden konnte. Es passte einfach alles zusammen und zog die Zuschauer*innen in ihren Bann. Halsey, die vor wenigen Wochen selbst zum ersten Mal Mutter geworden ist, beschrieb das Projekt als „ein Konzeptalbum über die Selbstbestimmung der Frau und die Freuden und Schrecken von Schwangerschaft und Geburt“. Und genau diese Ambivalenz bringt Halsey mit ihrer Performance kreativ auf die Bühne. So setzt sich nicht nur das Albumcover (inspiriert von Darstellungen der Maria) mit der Schönheit des postnatalen Körpers und der WEIBLICHKEIT auseinander (Madonna vs. Hure) – wobei die Sängerin im Konzertfilm teilweise sogar mit in Szene gesetztem Babybauch zu sehen ist. 

Von den ersten Minuten an lässt Halsey uns wissen, dass sie mit vollem Herzen und mit ganzem Körper und Geist in dieses Gothic-Motiv von Liebe und Macht eintauchen will. Die hochschwangere Halsey (die Performance wurde vor der Geburt gefilmt) eröffnet den Auftritt mit einer eindringlichen Interpretation von „The Tradition“, dem ersten Track von „If I Can’t Have Love, I Want Power“. Der darauffolgende Song „Easier Than Lying“ sorgt mit flackernden Lichtern und einer ruhigen Waldkulisse für einen energiegeladen Kontrast. 

Die neuen Songs „Girl Is A Gun“ (einer meiner absoluten Favoriten), das etwas rockigere „Honey“ und „You Asked For This“ sind ebenso Teil der Performance wie die Halsey-Klassiker „Gasoline“, „Nightmare“ und „You Should Be Sad“. Highlight des Konzerts ist aber ohne Zweifel die Hymne “I Am Not A Woman, I’m A God“, welche die Thematik des Albums wunderbar zum Ausdruck bringt: das zweischneidige Schwert, welches das Dasein als Frau mit sich bringen kann – und gleichzeitig die Rebellion gegen alle gesellschaftlichen Schranken und Schubladen. Wie Halsey in einem Interview mit dem Musikmagazin NME zu Papier gab, hatte sie erwartet, sich durch die Schwangerschaft noch mehr als Frau zu fühlen. Dem war jedoch nicht der Fall. Vielmehr sagt Halsey: „Die Sensibilität für meinen Körper hat meine Wahrnehmung für Geschlecht völlig ausgeglichen.“

Fazit: Halseys Moment House Auftritt war ein einziges audiovisuelles Erlebnis, das aufzeigt, warum die Sängerin zurecht als eine der Vorreiterinnen ihrer Generation gilt. Sowohl das von Kritiker*innen hochgelobte Album (es ist diese Woche auf Platz 2 der US Charts eingestiegen) als auch die Live-Show sind überzeugende Beispiele für Halseys außergewöhnliche Kreativität und ihre Gabe, Musik mit bedeutungsvollen Texten und einer perfekt dazu passenden Performance zu verbinden. 

Nicht gespielt beim Konzert, aber dennoch ein Anspieltipp: „Darling“, eine wunderschöne Gitarren-Ballade. 

*Halsey nutzt sowohl die Pronomen sie als auch das geschlechtsneutrale xier (they/them). Aus Konsistenzgründen haben wir uns dafür entschieden, im Text durchgängig weibliche Pronomen zu verwenden.