Gesehen: „Victim“ von Michal Blaško

In seinem Debüt-Spielfilm geht der slowakische Regisseur Michal Blaško auf ein uns nur zu gut bekanntes und omnipräsentes Problem ein – dass bei brutalen Verbrechen, Schäden oder oft auch Verletzungen bestimmte Minderheiten oder Menschen beschuldigt werden, auch wenn die jeweiligen Vorwürfe auf falschen Annahmen basieren. 

Doch das Drama dreht sich nicht nur um Vorurteile, sondern auch um die Auswirkungen von Manipulation durch soziale Medien sowie um Fremdenfeindlichkeit, die in ganz Europa zu finden ist. Hervorzuheben sind zu Anfang zwei Sachen: Zum einen, zeigt „Victim“ zwar einen ethischen Konflikt auf, ohne aber dabei moralisierend oder belehrend zu sein, zum anderen soll die ukrainische Nationalität der Haupt -und Nebenfiguren keinerlei Anspielung auf aktuelle Geschehnisse in der Ukraine sein. Der Film war schon lange vor Beginn des Ukraine-Konflikts im Kasten. Laut Blaško basierte die Änderung von tschechisch nach ukrainisch auf eine, 2019 vom tschechischen Fernsehen geführte Umfrage, welche Minderheit die Bevölkerung wohl am meisten hasse. Die Antwort: Ukrainer. Die Begründung: „Die nehmen uns die Jobs weg.“ Dass es vorwiegend Jobs waren, die keiner von ihnen machen wollen würde, blieb außer Acht gelassen. Deshalb auch die Ambiguität des Titels: „Oběť“ heißt auf Englisch übersetzt sowohl victim (Opfer), als auch sacrifice (Verlust).

Es wird die Geschichte von Irina (Vita Smachelyuk) erzählt, einer alleinerziehenden Mutter, die als Ukrainerin der Minderheit in einer kleinen tschechischen Provinz angehört. Eines Tages wird ihr 13-jähriger Sohn Igor (Gleb Kuchuk) Opfer einer brutalen Attacke im Treppenhaus eines sehr heruntergekommenen, post-sowjetischen Plattenbaus, wo er zusammen mit seiner Mutter ein Quartier bezieht. Die zwischen Ukraine und Tschechien pendelnde Irina eilt sofort zu ihrem Sohn ins Krankenhaus, wo sie ihm verspricht herauszufinden, wer für die Tat verantwortlich ist. Während sie versucht die Wahrheit herauszufinden, bezichtigt die Polizei, nach Befragung Igors, die im selben Bau lebenden Roma des Übergriffs und verhaftet einen von ihnen. Die Gewalttat und die darauffolgende Verhaftung führen zu einem Aufschrei in der Gesellschaft. Eine rechts-orientierte Gruppierung, die des öfteren gegen Roma hetzt, nimmt den Fall auf, um ihre Agenda voranzutreiben. Das Fernsehen lechzt förmlich nach einer heißen Story und die Bürgermeisterin will öffentlich demonstrieren, wie sie dem Opfer helfen kann, um Stimmen zu gewinnen. Als sich aber für Irina die tragische Wahrheit langsam herauskristallisiert, ist es fast schon zu spät, denn die Stimmung der wütenden Demonstranten gegenüber der Roma Gemeinschaft droht zu eskalieren, wenn Irina, von den Medien als Gesicht der Bewegung hochgejubelt, sich nicht rechtzeitig vor die Menge stellt und dem Ganzen Einhalt gebietet.

Wird sie nun das monetär amoralische Angebot einer besseren Zukunft von der Bürgermeisterin annehmen, oder wird ihr Sinn von Recht und Gerechtigkeit obsiegen? Man wird sehen.

Obwohl der Regisseur nicht alle Handlungsstränge perfekt aufeinander abstimmt, schafft es der Film dennoch, die Zuschauer*innen in eine graue und aussichtslose Welt zu entführen, die nach starken Helden*innen dürstet. Dabei überzeugt die schauspielerische Leistung von Vita Smachelyuk, besonders durch ihre unterschwellige Zurückhaltung und ihr feinfühliges Spiel, welches die innere Anspannung und moralische Zerrissenheit ihrer Figur noch intensiver vermittelt, so dass wir sie dadurch mit mehr Empathie verfolgen.

Im Großen und Ganzen konzentriert sich der Film nicht nur auf die Lügengeschichte, sondern behandelt auch politische Themen und die Rolle der Medien bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Er zeigt auf, wie schnell ein Ereignis zu einem Politikum werden kann, und wie es von politischen Akteuren und Medien instrumentalisiert wird, die ihre eigenen Interessen verfolgen, um unser aller Leben zu beeinflussen und zu steuern.

„Victim“ startet am 06.04.2023 in den deutschen Kinos.