Gesehen: „J. Edgar“ von Clint Eastwood

J. EDGARJ. Edgar Hoover war mit fast 50 Jahren als Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI) einer der mächtigsten Männer Amerikas. Zugleich aber auch einer der komplexesten. Clint Eastwood (gewann den Oscar als Bester Regisseur für „Million Dollar Baby“) reizte das Mysterium um diese Persönlichkeit so sehr, dass er sich entschied die Regie, Produktion sowie die Musik bei der Verfilmung des Lebens von Hoover zu übernehmen und scharrte zudem eine Reihe an großen Namen um sein Projekt.

Leonardo DiCaprio („Inception“) übernahm die Verkörperung von J. Edgar Hoover, ungeachtet der Tatsache, dass er ein Mann mit vielen Geheimnissen war und man auch heute kaum etwas über ihn weiß. Eastwood näherte sich deshalb dem umfangreichen Thema mithilfe seiner engsten Vertrauten. So ist die Beziehung zu seinem stetigen Begleiter Clyde Tolson (Armie Hammer, „The Social Network“), zu seiner gluckenhaften Mutter Annie Hoover (Judi Dench, „Tagebuch eines Skandals“) und zu der äußerst loyalen Sekretärin Helen Gandy (Naomi Watts, „21 Gramm“) näher beleuchtet. Der 137-Minüter beginnt Mitte der 1970er Jahre, in einer Zeit, in der Hoover sich dazu veranlasst fühlt seine Memoiren zu diktieren. So wird der Zuschauer in den Anfang seiner FBI-Zeit zurück geworfen, wo das entführte Kind des Piloten Charles Lindbergh (Josh Lucas, „Der Mandant“) großes Aufsehen erregte und Hoover die Ermittlungen in die Hand nahm. Darauf folgte die Festnahme des Gangsters John Dillinger und der Chef des FBI erlangte immer größere Berühmtheit. Dazu trugen zum Beispiel auch die G-Men Comics bei. Doch J. Edgar Hoover wird bis an sein Lebensende begleitet und man erhält immer mehr Einblick hinter die Kulissen. Dort steht ein Mann, der zum einen zu Übertreibungen seiner Taten neigt und zum anderen sein Privatleben vollkommen abschottet – das alles aber nur, um voll und ganz dem Vaterland zu dienen.

DiCaprio sehnt schon lange einen Oscar als Bester Hauptdarsteller für sich herbei. Mit den unterschiedlichsten Rollen weiß er Jahr für Jahr als Kinomagnet zu fungieren. Nur wird es wohl auch mit Clint Eastwoods „J. Edgar“ erst einmal jedgar_02keinen Oscar für den ambitionierten 37-jährigen geben. Mag die erste Hälfte der dramatischen Biografie auch noch durch die Entstehung des FBI recht interessant daherkommen, driftet die zweite Hälfte immer weiter ab. Denn dann sieht man Leonardo DiCaprio als Hoover stotternd vor dem Spiegel sich selbst Worte entgegen brüllen – im Hintergrund immer die strenge und alles entscheidende Mutter. So stürzt der Versuch des Eindringens in die vertrackte Persönlichkeit Hoovers ab durch zu viel Pathos, vielleicht sogar zu viele Worte. Die Nahaufnahmen sitzen, der Einsatz der theatralischen Musik von Eastwood auch. Aber irgendwie ist das alles zu aufgesetzt, um wirklich zu berühren. Vielmehr entwickelt sich ein Bild von Hoover als trauriges Muttersöhnchen, ohne genügend Rückgrat im privaten Bereich. Mehr FBI-Arbeit hätte dem Film an dieser Stelle nicht geschadet. Wer also einen mitreißenden Thriller erwartet, sollte sich für einen anderen Streifen entscheiden. Eastwoods „J. Edgar“ will eine ganze Menge, schafft aber über weite Strecken nur anzuöden.

VÖ: 19. Januar 2012

Gesehen von: Hella Wittenberg