Gesehen: „360“ von Fernando Meirelles

In Fernando Meirelles („Der ewige Gärtner“) Ensemble-Stück „360“ wird einmal mehr dem von Stanley Milgrim 1967 geprägten Kleine-Welt-Phänomen Tribut gezollt. Denn in dem 110-Minüter scheint eine jede Person mit der anderen über eine recht kurz anmutende Kette von Bekanntschaften verbunden zu sein und dies ermöglicht so einige global wirkende Dominoeffekte.

Während Michael Daly (Jude Law, „Alfie“) mit der Versuchung hadert auf einer Geschäftsreise mit der Prostituierten Mirka (Lucia Siposová) fremd zu gehen, lebt daheim seine Frau Rose (Rachel Weisz, „About a Boy“) schon längst ihre Leidenschaften mithilfe des brasilianischen Fotografen Rui (Juliano Cazarré) hemmungslos aus. Doch nichts soll unentdeckt bleiben – ein deutscher Kollege (Moritz Bleibtreu, „Das Experiment“) will Michaels momentane Schwäche für seine Zwecke nutzen und Ruis Freundin Laura (Maria Flor) möchte nach dem Aufdecken der Affäre nur noch in die brasilianische Heimat zurück. Auf dem Flug dahin lernt sie zunächst einen älteren Mann (Anthony Hopkins, „Thor“) kennen, der sich auf der Suche nach seiner seit vielen Jahren verschwundenen Tochter befindet und später stößt sie auch noch auf Tyler (Ben Foster, „Contraband“), einem Sexualstraftäter, der gerade erst aus dem Gefängnis entlassen wurde. Er ängstigt sich vor Nähe und Intimität – sie sehnt sich danach. Auch ein Witwer (Jamel Debbouze, „Die fabelhafte Welt der Amelie“), seine Angestellte Valentina (Dinara Drukarova) und noch einige mehr befinden sich auf der ewigen Suche nach einem Quäntchen Liebe.

Fernando Meirelles versucht auf sehr kluge Weise die einzelnen Handlungsstränge miteinander zu verbinden, weshalb man doch das eine oder andere Mal von den Entwicklungen verblüfft wird. Doch unter der Menge der Erzählungen leidet die Stärke der gesamten Story. Das Zusammenwachsen der Welt des 21. Jahrhunderts vor der Kulisse von Finanzkrisen, Epidemien und anderen globalen Problemen wie Bedrohungen wird schwammiger und weniger berührend je größer das Netz gespannt wird. Gern würde man mehr über die Geschichte von Anthony Hopkins und auch Ben Foster erfahren, die in „360“ besonders starke Auftritte haben. Auch ein Moritz Bleibtreu kann sich in diesem international hochkarätigen Cast durchaus als schleimiger wie taffer Geschäftsmann behaupten. Nur fehlt in letzter Sekunde schlichtweg die Konsequenz. Es soll um die alles umarmende Liebe gehen, um die funkensprühenden Momente, wenn man sie am wenigsten erwartet und doch gerät Meirelles Film immer wieder ins Stocken. Das Kleine-Welt-Phänomen in einer durchdringend schockierenden Darstellung, die letztlich eher frösteln lässt als lebensbejahende Gefühle freizusetzen.

Kinostart: 16. August 2012

Gesehen von: Hella Wittenberg