Gelesen: Takis Würger „Stella“

Nach allem was seit seinem Erscheinen über Takis Würgers „Stella“ geschrieben worden ist, fragt man sich, was man dazu überhaupt noch beitragen könnte. Nahezu einstimmig ist der zweite Roman des 33-jährigen Autors und Spiegel Redakteurs in den Feuilletons verrissen worden. Es ist an diesem Punkt schon schwierig genug, das Buch überhaupt noch vorbehaltlos zu lesen. Am Ende überwiegt die Ratlosigkeit. „Stella“ ist, rein literarisch gesehen, kein überragend gutes Buch. Aber das, was dazu in den letzten Wochen geschrieben wurde, geht weit über reine Literaturkritik hinaus. Die Wut, die Empörung, die sich über Takis Würger ergießt, wirkt zum Teil sehr persönlich. Ein Interview im Tagesspiegel zum Beispiel wurde für den Autor zum regelrechten Rechtfertigungsmarathon. Dabei schießen einige der Vorwürfe über das Ziel der journalistischen Fragestellung weit hinaus und stützen sich auf Kritikpunkte am Buch, von denen manche letztendlich ungerechtfertigt sind.

Takis Würger erzählt in „Stella“ die Geschichte des jungen Schweizers Friedrich, der 1942 nach Berlin kommt, weil er sich ein Bild von den Deutschen und dem Krieg machen möchte. Von den Gerüchten die man in der Schweiz hört, von Möbelwägen, die die Juden nachts abholen. Bei einem Aktzeichenkurs lernt er das Modell Kristin kennen, sie lädt ihn ein in einen Jazzclub, wo sie sich als Sängerin verdingt. Dort trifft er nicht nur Kristin wieder, sondern lernt auch den etwas älteren Tristan von Appen kennen. Die beiden Männer werden Freunde, Friedrich verliebt sich in Kristin. Doch Tristan von Appen entpuppt sich, trotz seiner Liebe für Jazz und französisches Essen, als Nazioffizier. Und die angebetete Kristin heißt eigentlich Stella und ist Jüdin, so stellt es sich heraus, als sie eines Tages schwer misshandelt vor Friedrichs Hotelzimmertür steht. Aller angeblichen Freundschaft zum Trotz zeigt Tristan sich nicht bereit, Stella zu helfen. Also schließt sie, um ihre Eltern vor dem Tod zu bewahren einen Pakt mit den Nazis und erklärt sich bereit, jüdische Landsleute aufzuspüren und an die Gestapo zu verraten. Und Friedrich steht vor der Frage, ob er die Angebetete unter diesen Umständen noch lieben kann.

Jene Stella Goldschlag, auf die Takis Würger sich mit seiner „Stella“ bezieht, ist eine historische Figur. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie als sogenannte „Greiferin“ für die Gestapo, ursprünglich um ihre Eltern vor der Deportation zu schützen. Doch auch nach dem Tod ihrer Eltern im Konzentrationslager denunzierte sie weiter bis zum Ende des Krieges 1945 und sorgte damit für die Deportation zahlreicher Juden.

Tagis Würgers „Stella“ ist eine schwierige Angelegenheit. Die Art, wie Fiktion und geschichtliche Realität hier aufeinander treffen, funktioniert leider nicht wirklich. Würger vermischt auf etwas halb gare Weise die Schicksale fiktiver Personen wie dem seines Erzählers Friedrich und des Nazioffiziers Tristan von Appen mit dem der historischen Stella Goldberg. Seine Erzählung wird dabei immer wieder von Originalpassagen aus Gerichtsakten des Prozesses gegen Stella Goldberg unterbrochen. Zum Ende widmet er jeder seiner Figuren, egal ob fiktiv oder real, einen „was aus ihr wurde“ Absatz. Diese Mischung mutet seltsam an und mag einer der Gründe für die starke Wut und Ablehnung sein, die Takis Würger nach der Veröffentlichung nahezu geschlossen von der Literaturkritik entgegen schlug.

Es ist zumindest der noch am ehesten nachvollziehbare Kritikpunkt. Warum Takis Würger mit derartiger Vehemenz vorgeworfen wird, das Thema nicht ernst zu nehmen, den Holocaust zu verkitschen und als Staffage für einen billigen Liebesroman zu missbrauchen, ist nicht vollends nachzuvollziehen. So muss man zuerst einmal sagen, dass Würger, auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird, sein literarisches Handwerk durchaus versteht. Vor allem das erste Drittel von „Stella“ ist absolut einnehmend geschrieben, die Beschreibungen des Lebens in Berlin zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges liest sich streckenweise regelrecht betörend. Vor allem die Passagen, in denen er die Absurdität jener Zeit beschreibt, wie zum Beispiel das Leben im Hotel Adlon, in dem es immer noch Rotwein und Austern gibt, im Gegensatz zu den menschenleeren Straßen während eines Bombenalarms. Auch dies wird Würger gerne angekreidet, aber ganz davon abgesehen, dass dieser Kontrast historisch tatsächlich so war, ist die Gegenüberstellung von Kriegsleid, brutalem Regime und nahezu unberührt weiter laufendem feudalen Lebens die größte Stärke von „Stella“.

Die Frage ist auch, warum die Kritik an „Stella“ meistens verbunden ist mit einer sehr persönlichen an Takis Würger als Person. Der Vorwurf, er habe das Thema grundsätzlich nicht ernst genommen, ist, wenn man „Stella“ so vorbehaltlos wie möglich liest, schwer nachzuvollziehen. Dass der Roman nicht rundum geglückt ist, ist eher ein literarisches Problem. Der Schluss versandet leider, sowohl stilistisch als auch inhaltlich, im Trivialen. Die bereits erwähnte Mischung aus Realität und Fiktion funktioniert nicht so richtig. Trotzdem kann man Takis Würger nicht absprechen, dass er mit Leidenschaft uns Ernst erzählt. Man muss seinen Roman nicht mögen, ihm aber Arroganz und Ignoranz gegenüber dem Umgang mit der Historie zu unterstellen, geht einfach zu weit.

Interessant ist auch, dass die Literaturkritik offensichtlich harschere Maßstäbe ansetzt als die Kollegen der Filmbranche. Warum Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“ nicht einen ähnlich flächendeckenden Aufschrei auslöste, ist schwer nachzuvollziehen. Wenn sich etwas auf unangenehm plakative, verkitschende Weise der Holocaust-Thematik bedient, dann dieser Film – der für Deutschland ins Rennen um den Auslands-Oscar ging und kürzlich mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Ist Takis Würger zu jung? Zu gutaussehend? Irgendeinen Trigger muss er bedienen, anders lässt sich der derart übers Ziel hinausschießende Kritikermob schwer erklären. Die Leserschaft scheint dies auch anders zu sehen. „Stella“ ist längst zum Bestseller und Buchhandel-Liebling geworden.

Info: „Stella“ von Takis Würger ist im Hanser Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

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