Gelesen: Miranda July „Der erste fiese Typ“

Würde man Miranda Julys Profession so pointiert wie möglich zusammen fassen wollen, „Geschichtenerzählerin“ würde es am besten treffen. Die US-Amerikanerin ist Regisseurin, Performerin und Autorin, alles was sie tut, läuft also auf ihr Bedürfnis hinaus, Geschichten zu erzählen. Die drehen sich in der Regel um das Zwischenmenschliche, was für sich nichts Besonderes ist, weshalb der Unterhaltungsfaktor stark von der Sichtweise und dem Stil des Erzählenden abhängt. Deshalb sollte man Miranda Julys kreative Ergüsse eigentlich auch immer in der Originalsprache zu sich nehmen. Ihr Duktus ist sehr speziell, ihre Erzählweise sehr persönlich. Sie ist eine intelligente, eloquente, obendrein schöne Frau, die aber auf eine sympathische Weise immer leicht neben der Spur wirkt. Was sie zu erzählen hat scheint so unmittelbar mit ihrer Persönlichkeit verknüpft, dass es nahezu unmöglich wirkt, es in eine andere Sprache zu übertragen. Man nehme zum Beispiel Julys wunderbar schräg-charmante Beziehungskomödie „The Future“ (Buch, Regie und Hauptrolle: Miranda July): die deutsche Synchronisation ist nur schwer zu ertragen.
Umso erfreulicher, dass dies auf Miranda Julys Debütroman „Der erste fiese Typ“ wenig bis gar nicht zutrifft. Stefanie Jacobs ist mit der deutschen Übersetzung ein kleiner Geniestreich gelungen, sie hat die Schrägheit, den Wortwitz und den Rhythmus von Miranda Julys Sprache ganz wunderbar ins Deutsche übertragen. Mühelos taucht man ein in die Welt der Hauptfigur Cheryl Glickman, eine allein erlebende Mittvierzigerin, die in einer Firma arbeitet, die Selbstverteidigungskurse für Frauen zu Fitnesszwecken auf DVD produziert. Man taucht sogar so gut ein in diese Figur und ihr Leben, dass man sich zu Anfang noch fragt, ob man das überhaupt möchte, denn angenehm ist das alles irgendwie nicht. Das übergriffige Ehepaar, dem die Firma gehört, in der Cheryl tätig ist, ihr Love-Interest, der zwanzig Jahre ältere Phillip, dem gegenüber sie von einer peinlichen Situation in die nächste stolpert und der sich letztendlich bei ihr seinen Segen für die Beziehung zu einem Teenager einholen möchte – das (letztendlich unvermeidliche) Lachen bleibt einem des öfteren im Halse stecken, wie der Kloß in Cheryls Kehle, wegen dem sie zu Anfang einen Farbtherapeuten aufsucht. Und dann taucht auch noch Clee auf, die Tochter ihrer Arbeitgeber: 20 Jahre alt, blond, vollbusig, mit übel riechendem Fußpilz und noch üblerer Laune macht sie sich auf Cheryls Sofa breit, bringt ihren wohl bis manisch definierten Haushalt durcheinander und macht so gar keine Anstalten mehr zu gehen.
Soweit so gut. In der ersten Hälfte lebt „Der erste fiese Typ“ von seinem Wortwitz, vom pointierten Ausmalen schwer zu ertragener sozialer Kampfzonen. Und dann wird Miranda Julys Romandebüt von Seite zu Seite schlichtweg immer überraschender. Man möchte fast gar nichts mehr verraten, um die Wirkung dieser wirklich erstaunlichen, völlig unvorhersehbaren Geschichte dem Leser voll und ganz zu gönnen. Denn es gäbe so viele Klischeetöpfe, in die man hier stapfen könnte. Oder man könnte in dem Versuch, so originell wie möglich daher zu kommen, leicht über die eigenen Ambitionen stolpern. Nichts davon ist bei Miranda July der Fall. All diese irrwitzigen Motive, sie wirken als wären sie quasi im Schlaf zu ihr gekommen. Cheryl Glickman lernt die befreiende Wirkung eines Fightclubs kennen, entdeckt ihre homoerotischen Fantasien und trifft am Ende tatsächlich ihre große Liebe. Moment, jetzt doch gespoilert? Keinstenfalls, denn selbst diese Liebe kommt aus einer völlig unerwarteten Richtung, da ist noch lange nichts verraten.
Miranda Julys Geschichte ist so ganz anders, als man es von klassischer Frauenliteratur erwartet. Aber sie ist trotzdem tief gehend romantisch und, wie bereits mehrfach besungen, urkomisch. Allein schon die Herkunft des Titels ist eine geschickte Pointe. In ihrem Blick auf zwischenmenschliche (Miss)verhältnisse reiht sie sich ein in das Schaffen von Kolleginnen wie Lena Dunham oder Chris Kraus. Nur hat sie etwas an sich, dass man sie spontan noch ein kleines bisschen lieber mag. Es ist da so ein Staunen über die Welt in ihren Augen, das sich auch in ihren Erzählungen wiederfindet und ein gutes Gegengewicht zu dem Biss darstellt, mit dem sie auf die Dinge zugeht. Sie mag nicht jedermanns Geschmack sein, die Kunst von Miranda July (auch wenn man sich das nur schwer vorstellen kann). Es ist aber auf jeden Fall ein Gewinn, sich mit ihr auseinander zu setzen.

Info: „Der erste fiese Typ“ ist nach der Geschichtensammlung „Zehn Wahrheiten“ das Romandebüt der amerikanischen Künstlerin Miranda July. Es ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, jetzt auch als Taschenbuch, und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph

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