Gelesen: Lisa Taddeo „Three Women – Drei Frauen“

Zum Einstieg erzählt Lisa Taddeo von etwas, die ihrer Mutter als junge Frau passiert ist. Auf dem Weg zur Arbeit an einem Gemüsestand in Bologna folgte ihr fast jeden Morgen ein älterer Mann, der mit etwas Abstand hinter ihr her ging und dabei masturbierte. Ihre Mutter habe ihn stets gewähren lassen, schreibt Taddeo, ohne mit ihm zu interagieren, aber auch ohne sich gegen die fast täglichen Übergriffe zu wehren. Sie fragt sich warum das so ist und legt damit den Grundstein für das, was sie in „Three Women – Drei Frauen“ versucht zu ergründen. 

Für ihr erstes Buch ist sie durch Amerika gereist und hat mit Frauen gesprochen, auf der Suche nach Geschichten, die sie erzählen möchte. Interessiert haben sie Themen wie Begehren, emotionale Abhängigkeit, die Suche nach und das Ausleben sexueller Erfüllung, aber auch die Schwierigkeit, als Frau Gehör zu finden und Solidarität mit anderen Frauen zu erfahren. Entschieden hat sie sich am Ende für drei Geschichten.

Lina leidet unter der Emotionslosigkeit ihres Mannes, er weigert sich sie zu küssen, sexueller Kontakt ist, vor allem seit der Geburt der Kinder, auf ein Minimum beschränkt. Beim Versuch einer Paartherapie bekommt Lina den Rat der Psychologin, sie müsse lernen, die Grenzen ihres Mannes zu akzeptieren. Aus Frust beginnt sie eine leidenschaftliche Affäre mit ihrer inzwischen ebenfalls verheirateten Jugendliebe Aidan und begibt sich, obwohl sie sich oft schlecht behandelt fühlt (oder gerade deshalb?), in völlige Abhängigkeit zu ihm. 

Maggie verliebt sich mit 17 in ihren verheirateten Lehrer und lässt sich auf eine Beziehung mit ihm ein. Als er die Affäre so abrupt beendet wie sie angefangen hat, verfällt Maggie in Depressionen. Mit Anfang 20 fängt sie an zu erkennen, wie sehr sie emotional manipuliert wurde und entschließt sich, ihren Lehrer, inzwischen ausgezeichnet als Lehrer des Jahres in North Dakota, wegen Verführung Minderjähriger zu verklagen. Für sie ist die Lage, vor allem aufgrund einer Ausgabe von „Twilight“, die Aaron Knodel mit handschriftlichen Liebesbotschaften an sie versehen hat so eindeutig, dass sie gar nicht auf die Idee kommt, man könne ihr nicht glauben. 

Sloane ist Restaurantbesitzerin, Mutter zweier Kinder und glücklich verheiratet. Sie ist schön und erfolgreich, ihr Mann ist Koch im gemeinsamen Restaurant, und er liebt es, Sloane dabei zuzusehen, wie sie mit Frauen und anderen Männern schläft, oder wenn sie ihm davon erzählt, wie sie es in seiner Abwesenheit getan hat. Es findet sich schließlich der für beide perfekte dritte Kandidat im Bunde und das Glück scheint perfekt, bis Sloane sich mit dessen Frau konfrontiert sieht und anfängt, die Auswirkungen ihres Handelns auf andere zu überdenken. 

Die Geschichten der drei Frauen erzählt Lisa Taddeo derart intensiv und empathisch, dass sie mit den Protagonistinnen nahezu zu verschmelzen scheint. Dadurch, dass sie das Verhalten und die Erlebnisse der drei in keiner Weise moralisch wertet, stellt sie sich kompromisslos auf ihre Seite. Das tut gut in dem Wissen, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch zu wenig Beistand und Unterstützung erfahren, dass ihre Bedürfnisse oft abgewertet oder nicht ernstgenommen werden. Eine gewisse Einseitigkeit in der Perspektive ist trotzdem nicht zu verleugnen – die Männer sind hier alle ausnahmslos die, die den Frauen mehr oder weniger übel mitspielen, ihr Bedürfnis nach Nähe und Liebe be- und ausnutzen. Der Sog, der von „Drei Frauen“ ausgeht, ist besonders auch ein stilistischer. Von der rein faktischen Sprache eines Sachbuchs ist Taddeos Erzählweise weit entfernt, sie entscheidet sich für eine oft kraftvolle, manchmal fast zu bildlich-poetische Sprache. Dabei geht sie besonders in den Beschreibungen der erotischen Passagen auf, denen vor allem der Aufruhr um „Drei Frauen“ geschuldet ist. Das ist aber auch wichtig, denn dadurch stellt sich deutlich dar, dass alle drei Frauen in sexueller Hinsicht keine Opfer sind – in emotionaler aber schon. Das eine schließt das andere nicht aus, im Gegenteil.

„Three Women – Drei Frauen“ stürmte unmittelbar nach Erscheinen die Bestsellerlisten in den USA, und auch hierzulande avancierte Lisa Taddeos Debüt zum Bestseller. Es wird gerne als das aktuell wichtigste Buch im Rahmen der #metoo Bewegung gehandelt. Als Buch über weibliche Selbstbestimmung lässt sich „Drei Frauen“ aber schwer verstehen, eher im Gegenteil. Lisa Taddeo hat sich für drei Geschichten entschieden, anhand derer sie das Bedürfnis nach rigoroser Hingabe und emotionaler Abhängigkeit untersucht, die Bereitschaft von Frauen, sich voll und ganz auf das männliche Gegenüber einzulassen. Gleichzeitig geht es um die Schwierigkeit, derartige Abhängigkeitsgefüge überhaupt selbst also solche zu empfinden, geschweige denn, sich aus ihnen zu befreien, sei es aufgrund dem Fehlen von eigener Kraft oder mangelnder Unterstützung der Gesellschaft. Besonders für letzteres finden sich am Rande immer wieder schwer zu ertragende Details. So sucht Lina in einer Gruppe von Frauen verzweifelt nach Zustimmung für ihr Verhalten, erntet aber hauptsächlich Unverständnis. Schülerinnen schlagen sich in Protesten auf die Seite ihres Lehrers Aaron Knodel, dessen Frau vor Gericht ebenfalls für ihn aussagt. 

Nach der Lektüre bleibt ein Gefühl der Beklemmung zurück. Man wünscht sich fast, es gäbe noch drei weitere Geschichten von drei weiteren Frauen, die als Gegengewicht mehr von Selbstliebe und Selbstbestimmung handeln. Aber es ist der eher schmerzhaften Aspekt weiblicher Liebes- und Leidensfähigkeit liegt, dem Lisa Taddeos Interesse gilt, und diesem widmet sie sich rigoros, ungeschönt und ohne moralische Wertung. „Three Women – Drei Frauen“ ist eines dieser Bücher, die einen erst einmal vorbehaltlos gefangen nehmen, dann aber zunehmend zum hinterfragen, an- und umdenken anregen. 

„Three Women – Drei Frauen“ ist in deutscher Übersetzung im Piper Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.

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