Gelesen: Lisa Brennan-Jobs „Beifang“

Als Beifang bezeichnet man in der Fischerei jene Meerestiere, die zwar mit im Netz landen, am Ende aber nicht als Fangziel mit ausgewertet werden. Die falsche Art, zu klein, zu unattraktiv. Meistens wird der Beifang ungenutzt wieder im Meer entsorgt. Lisa Brennan-Jobs hat ein Buch über ihre Kindheit und Jugend geschrieben, darüber wie es sich anfühlt, im Leben ihres Vaters stets der „Beifang“ zu sein. Das erste, ungewollte Kind, zu früh gezeugt, erst nach der Zwangsverpflichtung zum Vaterschaftstest als eigenes anerkannt. Hin- und hergerissen zwischen Vater und Mutter, immer auf der Suche nach einem Platz im Leben, nach einer Position in der Familie ihres Vaters, die durch eine spätere Heirat erst richtig entstand und in die Geschwister geboren wurden, die mit einem ganz anderen Status aufwuchsen, mit einer ganz anderen Sicherheit, als sie Lisa Brennan-Jobs je zuteil wurde.
Das an sich wäre schon genug Stoff für einen autobiografischen Roman, wenn nicht noch die pikante Tatsache dazu käme, dass Lisa Brennan-Jobs Vater zufällig Steve Jobs ist, Mitgründer und langjähriger CEO von Apple Inc. und Geschäftsführer der Pixar Animation Studios. Steve Jobs hat das Konzept des Heimcomputers mit auf den Weg gebracht, Smartphones, Tablets und den iPod mit entwickelt, sein Vermögen ist dementsprechend Milliarden schwer. 2011 starb er an Krebs.
Lisa Brennan-Jobs lässt ihre Geschichte beginnen in jenen Tagen, als ihr Vater Zuhause im Sterben liegt. Sie wandert durch sein Haus, von den anderen Familienmitgliedern die meiste Zeit ignoriert und stiehlt Dinge aus den Räumen ihres Vaters. Ihre Mutter zwingt sie schließlich, die Gegenstände zurück zu bringen. Es entsteht ein Gebilde aus Erinnerungen, manche stärker ausgeprägt als andere, einige mehr fragmentarisch, wie ein Gedächtnis im Bezug auf Kindheitserinnerungen nunmal funktioniert.
Es ist kein durchwegs schmeichelhaftes Bild ihres Vaters, das Lisa Brennan-Jobs auf diese Weise entstehen lässt, um es milde auszudrücken. Schon der Anfang ist schwer zu ertragen. Jobs weigert sich, die Vaterschaft anzuerkennen, bis sie durch einen gerichtlich angeordneten Vaterschaftstest bewiesen wird. Die Mutter, seine Highschool Freundin Chrisann Brennan, kämpft um Unterhalt für sich und ihre Tochter, die Mühlen mahlen langsam, wenn man etwas von Steve Jobs will. Plötzlich aber geht alles überraschend schnell, 385 Dollar plus Krankenversicherung soll Jobs für seine Tochter zahlen, die Anwälte bemühen sich, die Übereinkunft rasch abzuwickeln. Wenige Tage später geht Apple an die Börse und Jobs ist über Nacht mehrere hundert Millionen Dollar reich. Chrisann Brennan wird sich ihr Leben lang mit Gelegenheitsjobs und dem mühsamen Verkauf ihrer Kunst über Wasser halten.
Die finanzielle Benachteiligung ist aber nicht das eigentliche, beziehungsweise nicht das einzige Problem – auch wenn Jobs während ihres Studiums zum Beispiel irgendwann aufhören wird, die Collegegebühren seiner Tochter zu bezahlen. Oder die Episode mit dem Haus, von dem Chrisann Brennan bittet, er möge es für sie und ihre Tochter kaufen, das er aber lieber für sich selbst erwirbt und dort mit seiner Ehefrau Laurene Powell einzieht. Als Teenager wird Lisa dort eine Weile wohnen, unter der von ihrem Vater gestellten Voraussetzung, dass sie in dieser Zeit den Kontakt zu ihrer Mutter komplett einstellt. Aber über den Zustand des nicht-dazu-gehörens kommt sie auch in dieser Zeit nicht hinaus. Einerseits ist sie die ewige Außenseiterin, andererseits wirft ihr Vater ihr immer wieder vor, sich nicht genug in die Familie einzubringen. Es ist ein ewiger Zwiespalt, in dem emotionale Festigung kaum zu erreichen scheint.
Manches an Jobs’ Verhalten erscheint einem als Leser nahezu unerträglich grausam, wie zum Beispiel wenn er sich jahrelang weigert, Lisa einen eigenen Computer zu schenken, dies dann letztendlich tut, für das defekt gelieferte Gerät aber nie Ersatz besorgt. Oder wenn er sich weigert, die Heizung in ihrem Zimmer reparieren zu lassen oder sie das Zimmer tauschen zu lassen, weil er das andere schon für seinen späteren Nachwuchs vorgesehen hat. Mit seiner Ehefrau Laurene Powell scheint Jobs sich in dieser Beziehung gut zu ergänzen. Als das Paar nach langem Bitten sich bereit erklärt, Lisa zu einer ihrer Therapiestunden zu begleiten, in der sie versucht den beiden zu vermitteln, wie sehr sie unter der emotionalen Distanz leidet, hat Powell die denkbar einfachste Erklärung parat: „Wir sind einfach kalte Menschen.“ Und selbst als Jobs seine Tochter vor seinem Tod um Verzeihung bittet, dafür, dass er ihr nicht der Vater war den er hätte sein sollen ist sie es, die zu Lisa sagt: „Ich glaube nicht an Eröffnungen auf dem Sterbebett.“
Es ist nicht verwunderlich, dass sowohl Laurene Powell als auch Steve Jobs’ Schwester, die Schriftstellerin Mona Simpson, sich von Lisa Brennan-Jobs Darstellung distanzieren. Und natürlich hat es immer einen etwas seltsamen Beigeschmack, wenn über Tote gesprochen wird, die sich zu dem Gesagten nicht mehr äußern können. Dass „Beifang“ als autobiografischer Roman trotzdem so hervorragend funktioniert, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen ist Lisa Brennan-Jobs ein beeindruckendes literarisches Talent. Ihre Geschichte funktioniert auch losgelöst von ihren bekannten Protagonisten als die sowohl schmerzhafte wie mitreißende Coming-of-Age Geschichte einer jungen Frau, die ihren Platz im Leben sucht. Sie fängt das Leben im Kalifornien der achtziger Jahre spürbar ein und lässt die Skurrilität, die Steve Jobs als Person umgibt, lebendig werden – die leeren Häuser, in denen er wohnt, seine unbeholfene Art, sich einem Kind gegenüber zu verhalten. Als zweites ist es alleine Lisa-Brennan-Jobs eigene Wahrnehmung, ihre persönliche Perspektive, die sie erzählt, und sie tut dies so wertfrei es ihr möglich ist. In vielen Episoden und Anekdoten spielt auch die Liebe zu ihrem Vater eine große Rolle, die sich, wie es in der Natur eines Kindes liegt, nunmal nicht abschalten lässt. Der von ihr dargestellte Steve Jobs ist ein Kauz, der wenig vom Umgang mit Menschen im allgemeinen zu verstehen scheint. Aber er kann auch charismatisch, einnehmend und witzig sein. Und so hat „Beifang“ nicht nur seine Daseinsberechtigung, es hat auch großen literarischen und vor allem unterhaltenden Wert.

Info: „Beifang“ von Lisa Brennan-Jobs ist in deutscher Übersetzung im Berlin Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Dort gibt es auch eine Leseprobe. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.piper.de