Gelesen: Karl Ove Knausgård „Kämpfen“

Allein der Umfang von Karl Ove Knausgards autobiografischem Romanzyklus ist der reine Wahnsinn. Mit dem sechsten, frisch in deutscher Übersetzung erschienenen Teil „Kämpfen“ findet er nun seinen Abschluss. Ein über 1200 Seiten dickes Fazit, in dem der Norweger in seiner bekannt schonungslosen Art zu Papier bringt, was sein Versuch, in sechs Bänden über nichts als sein persönliches Leben zu schreiben, losgetreten hat – in ihm selbst, in der internationalen Literaturszene und nicht zuletzt im Leben all derer, die über die Jahre nicht nur Teil seines Lebens,, sondern auch seiner Werke waren.

 

Ein 1200 Seiten dickes Fazit

„Kämpfen“ ist insgesamt weniger vom klassischen Erzählen geprägt als zum Beispiel der erste Teil „Sterben“, in dem der Tod des Vaters als erzählerischer Faden die Handlung bestimmte oder „Träumen“, Band 5 der Serie, der sich auf Knausgards Zeit in Bergen konzentriert. Es ist das Werk, in dem er alle Fäden zusammen laufen lässt, all das auf den Punkt bringt, was die Arbeit des autobiografischen Schreibens für ihn bedeutet, was sie mit seinem Leben angestellt hat. Knausgard wäre aber auch nicht Knausgard, würde er seine Gedanken und Überlegungen nicht auf die für ihn so typische, meisterhafte Weise in die Erzählung von Alltäglichkeiten und Nichtigkeiten einbinden. Der Gang zum Supermarkt mit den Kindern. Sie in die Kita bringen, ihnen vor dem Fernseher Essen servieren, sie abends ins Bett verfrachten. Knausgard kann diese Vorgänge detailgetreu über Seiten hinweg entwickeln, ohne dass man je das Bedürfnis hätte, den Rotstift anzusetzen. Er ist stets unterhaltend, in seinen besten Momenten tief berührend oder auch mal urkomisch . Ganz nebenbei entwickelt er dabei auch in „Kämpfen“ einen Spannungsbogen. Der erste Teil widmet sich den Tagen vor Erscheinen des ersten Romans „Sterbens“, der Zeit, in der er das Manuskript an die Menschen verschickt hat, die in „Sterben“ auftreten und auf deren Reaktionen wartet. Wer möchte seinen Namen geändert haben, wer vielleicht sogar gar nicht erwähnt werden? Eine E-Mail von Knausgards Onkel Gunnar trifft ein. Er ist nicht nur erbost über die Darstellung der Ereignisse rund um den Tod des Bruders, er bezichtigt Knausgard der Lüge, der Ungenauigkeit. Seine Vorwürfe stürzen den Autor in eine tiefe Krise. Welchen Wert hat das autobiografische Schreiben, wenn es nicht den Anspruch auf Wahrheit erheben kann? Diese Frage zieht sich durch den gesamten Band und bis zum Ende gelingt es Knausgard nicht, eine für ihn befriedigende Antwort zu finden. Immer wieder gab es Freunde, Verwandte und Bekannte, die auf Namensänderungen bestanden. Natürlich ist es unmöglich, dem Wunsch nach Authentizität stets nachzukommen, wenn man sich zeitgleich derart intensiv in das Aufbereiten von Details stürzt. Wie die Folie der Tiefkühlpizza sich beim Auspacken anfühlt. Welche Sorte Wein es an jenem Abend gab. Wenn es wirklich um die sklavische Abbildung der Realität ginge, natürlich wäre Knausgard gescheitert. Aber irgendwo muss aus der Realität ja noch Kunst werden, sonst kann man auch nachmittägliche Doku-Fiction auf RTL gucken und darüber grübeln, wie authentisch das jetzt ist.
Knausgard hat aber noch ein weiteres Anliegen, er leistet Abbitte. „Ich werde mir nie verzeihen, was ich ihnen angetan habe, aber ich habe es getan, damit muss ich leben“, schreibt er über seine Frau Linda und seine drei Kinder. Der zweite Teil von „Kämpfen“ dreht sich noch einmal ganz um die Beziehung, die durch das Erscheinen des zweiten Bandes „Lieben“ in eine schwere Krise gestürzt wurde. Die instabile Linda gleitet daraufhin in eine schwere Depression ab, gegen die sie stationär behandelt werden muss.

Die Macht des Namens

Die beiden Teile von „Kämpfen“ werden unterbrochen von einem Mittelteil, der plötzlich und irritierend in eine völlig andere Richtung führt. Onkel Gunnar stellt in seinen Mails die Forderung, dass der Name des Vaters in „Sterben“ unerwähnt bleibe. Dies stößt eine Überlegung über die „Macht des Namens“ an, die in einem über 500 Seiten dicken Essay mündet, innerhalb dessen Knausgard Paul Celans Gedicht „Engführung“ Wort für Wort analysiert und Hitler auf seine angeborene Menschlichkeit hin untersucht. Die detaillierte Auseinandersetzung mit Hitlers „Mein Kampf“ mutet erst etwas seltsam an, ist letztendlich aber auch nur konsequent, da der norwegische Originaltitel der Romanreihe „Min Kamp“ lautet. Auf eine absurde, leicht verkopfte Weise, schließt sich auch hier der Kreis. Man könnte leicht versucht sein, diesen Teil komplett zu überblättern, sind ja auch so noch genug Seiten übrig. Aber nein, es wäre ein Fehler.

Abbitte leisten

Das autobiografische Schreiben ist ein prekäres Thema, weil es nie nur den Schreibenden selbst betrifft. Auch Autoren wie die Französin Delphine de Vigan, die in „Das Lächeln meiner Mutter“ über ihre Familie schrieb oder der Schwede Tom Malmquist, der den Verlust seiner großen Liebe in einem Roman verarbeitete, sahen sich dem Schmerz und zum Teil der Wut der Portraitierten ausgesetzt. Karl Ove Knausgard ist mit Sicherheit der Autor, der sich das Genre am exzessivsten von allen zu eigen gemacht hat – und deshalb wohl auch mit den härtesten Konsequenzen zu leben hat. In „Kämpfen“ beschreibt er, wie die Bekanntheit, die er in Norwegen durch sein Romanprojekt erlangte, sein Leben auf den Kopf stellte. Wie recherchierende Journalisten jeden Stein seines offen liegenden Lebens umdrehten, um noch die letzte Lücke zu füllen, wie sie in seine Privatsphäre eindrangen, die Menschen um ihn herum bedrängten und gezielt danach trachteten, ihn und sein Projekt als unmoralisch zu entlarven. Ein Stück weit mag es das auch sein. Ein zügelloser Seelen Striptease, oftmals von fragwürdiger Intensität. Das erste Mal Onanieren, sich das Gesicht mit einer Scherbe zerschneiden. Will man das alles wissen? Ist es moralisch vertretbar, dass eine Ehefrau den Versuch eines Seitensprungs aus einem Manuskript erfährt? Knausgard lässt einen auch nach dem Ende von „Kämpfen“ mit jeder Menge offener Fragen zurück. Aber ach, selten haben beschriebene Seiten Papier derart andauernd nachgehallt. Und in einer Welt, die nur so vor leicht abgehakten Belanglosigkeiten trotzt, ist das eine wahre Wohltat.

Am Ende geht Knausgard so weit sich erleichtert darüber zu zeigen, dass er mit Beendigung dieses Projekts kein Schriftsteller mehr sein müsse. Das ist in Anbetracht des manischen Tempos, in dem die Bücher im Original erschienen sind (alle sechs Bände sind in der Zeit zwischen 2009 und 2011 entstanden, wobei es beim letzten Band schon zu ungeplanten Verzögerungen kam), auch irgendwie nachvollziehbar. Aber dann auch wieder schwer vorzustellen, dass jemand, der derart intensiv dem schriftlichen Ausdruck verfallen ist, diesen aufgeben sollte. Hat er sich zum Glück auch nochmal anders überlegt. Im September erscheint mit „Im Herbst“ der erste Band seiner vierteiligen Jahreszeiten Reihe. Schreib weiter, Karl Ove, schreib weiter!

Info: „Kämpfen“, der sechste und letzte Teil von Karl Ove Knausgards autobiografischem Romanprojekt, ist in Deutschland im Luchterhand Literaturverlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier.

Gelesen von: Gabi Rudolph

Autorenfoto: André Loyning