2010 hat Jonathan Safran Foer (der dank seiner Romane „Alles ist erleuchtet“, „Extrem laut und unendlich nah“ und „Hier bin ich“ zu den erfolgreichsten Autoren der Gegenwart gehört) mit „Tiere essen“ ein Buch über Fleischkonsum und Massentierhaltung geschrieben. Zu Beginn seines neuen Sachbuchs „Wir sind das Klima“ gibt Foer zu, dass er, der durch seine Recherche zu „Tiere essen“ einen direkten, schonungslosen Einblick in die Hintergründe der Massentierhaltung erhalten hat, manchmal, besonders wenn er unterwegs ist oder Stress hat, das Bedürfnis verspürt, Fleisch zu essen. Und dass er sich ab und zu auch mal am Flughafen einen Burger gönnt, einfach weil es in dem Moment gut tut.
Nun widmet sich Foer in „Wir sind das Klima“ dem brennenden Thema der Klimakrise, und dass er uns zu Beginn in seine Anflüge von Hypokrisie einweiht, ist ein wichtiger Bestandteil seines Narrativs. Denn bevor er darüber aufklärt, was seiner Recherche nach das einzig wirksame ist, was jeder Einzelne zur Bewältigung der Klimakrise beitragen kann (er tut dies tatsächlich erst nach über 80 Seiten), versucht er zu ergründen, warum es uns als Menschen so schwer fällt, Gewohnheiten zu ändern. Auch wenn wir wissen sie sind nicht gut für uns oder, wie in diesem konkreten Fall, auf die Dauer sogar schädlich für die gesamte Menschheit.
Wer regelmäßig versucht, mit seinen Mitmenschen über die Klimakrise zu reden (wie wir es tatsächlich ständig tun sollten), der wird schon zu spüren bekommen haben, dass es bei dem Thema kaum eine größere Angst gibt als die vor dem erhobenen Zeigefinger. Kaum ein erwachsener Mensch will sich offensichtlich vorschreiben lassen, dass er weniger Auto fahren, weniger Flugreisen antreten, weniger Müll produzieren soll. Nun fordert Foer in „Wir sind das Klima“ ein radikales Umdenken in einem der wichtigsten Bereiche unseres Daseins. Und so überlegt er wie er dies so tun kann, dass man überhaupt bereit ist, ihm zuzuhören. Er macht uns Lesern klar, dass er selbst noch lange nicht den Status eines vorzeigbaren Klimaretters erreicht hat. Er reist regelmäßig mit dem Flugzeug, er wohnt in einem Haus, von dem er selbst sagt, dass es für die Bedürfnisse seiner Familie eigentlich zu groß ist, er fährt Auto. Und er fragt sich, warum es ihm nach all dem Wissen, das er sich in den Jahren der Recherche zu seinem Buch angeeignet hat, selbst immer noch schwer fällt, manche Gewohnheiten abzulegen.
Gleichzeitig versucht er zu ergründen, warum die Klimakrise, auch wenn sie bereits nachweisbare Auswirkungen auf unser aller Leben hat (wie extreme Wetterphänomene und Verknappung von Ressourcen und Lebensraum), für die meisten von uns immer noch etwas zu abstraktes, zu ungreifbares ist, um sie als ernsthafte Bedrohung unserer Existenz zu begreifen. Dafür zieht er private und geschichtliche Parallelen heran, wie die Lebensgeschichte seiner Großmutter, an deren Sterbebett er einen Teil seines Buchs verfasst hat. Als einzige floh sie als junge Frau aus ihrem polnischen Dort vor den Nazis, weil sie das Gefühl hatte, sie müsse etwas tun. Der Rest der Familie spürte nicht weniger als sie, dass nichts Gutes auf sie zukam, blieb aber trotzdem. Foers Großmutter war die einzige, die den Holocaust überlebte.
Das begeisternde an Foers Buch ist, dass er bei allen persönlichen und geschichtlichen Exkursen stets die von ihm so bekannte, empathische Erzählstimme zu Wort kommen lässt. Ganze Kapitel kann man regelrecht vergessen, dass man es hier mit einem Sachbuch zu tun hat. Ab Seite 90 ist es dann aber an der Zeit, die Fakten auf den Tisch zu packen und uns dem zuzuwenden, was laut Foer das größte Problem unseres Planeten ist und wie wir ihm entgegenwirken können: „Nutztierhaltung ist ein/der Hauptverursacher des Klimawandels“ schreibt er und: „Die Zeitbombe lässt sich nur entschärfen, indem wir weniger Tierprodukte konsumieren“. Eine Tabelle verdeutlicht es: Die Produktion einer Portion Rindfleisch verursacht 300 mal so viel CO2 Ausstoß wie die einer Portion Kartoffeln. Dabei, so Foer, geht es noch nicht einmal darum, seine Ernährung komplett auf vegan umzustellen. Zu zwei dritteln würde es schon genügen, sprich zwei vegane Mahlzeiten am Tag und eine mit tierischen Produkten. Das klingt doch erst einmal nicht so schwer.
Foer zeigt durch seine bereits beschriebene Grundhaltung aber auch Verständnis für alle, denen es schwer fällt, sich von eingefahrenen und damit lieb gewonnenen Gewohnheiten zu verabschieden. Gleichzeitig gelingt es ihm dadurch, dass sein Buch sich gleichermaßen informativ wie unterhaltsam liest, durch seine Empathie und seine Eindringlichkeit, dass man sich seiner Botschaft kaum entziehen kann. Selbst wenn es einen harten Kampf mit sich selbst bedeutet, nach der Lektüre von „Wir sind das Klima“ bleibt das Gefühl zurück, dass wir keine andere Chance haben als ihn einzugehen. Weshalb sich auch sofort das Bedürfnis einstellt, das Buch jedem als Pflichtlektüre ans Herz zu legen. Dies sei hiermit geschehen.
Es geht darum, dass wir etwas tun müssen, wenn wir den Klimawandel und mit ihm einhergehend unsagbares Leid von uns abwenden wollen. Damit sind aber nicht nur die, die den Klimawandel immer noch leugnen überfordert, sondern auch die, die dies zum Glück nicht tun. Die Vorstellung, als einzelner in diesem unübersichtlichen Gefüge aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft etwas ändern zu können, kann einen regelrecht erschlagen. Es muss eine Welle entstehen, sagt Foer und führt Beispiele an, wie solche Wellen in der Vergangenheit bereits Großes bewirkt haben. Wie die Impfwelle, die Polio besiegte und an der sich damals auch Elvis Presley beteiligte, die Bewegung, die dafür sorgte, dass Nichtrauchen an öffentlichen Orten wie Flugzeugen heute etwas Selbstverständliches ist oder nicht zuletzt die #MeToo Bewegung. Wer schon einmal in einem Sportstadion erlebt hat, wie Menschen sich in gemeinsamer Begeisterung zu einer Welle formen der weiß: man fühlt sich besser, wenn man mitmacht, als wenn man als einziger sitzen bleibt.
Im Januar 2020 ist Jonathan Safran Foer an folgenden Terminen live zu erleben:
20.01.2020 Köln, im Rahmen der LitCologne
21.01.2020 Berlin, Großer Sendesaal im Haus des Rundfunks
22.01.2020 Hamburg, Laeiszhalle
23.01.2020 Zürich, Kaufleuten
„Wir sind das Klima“ von Jonathan Safran Foer ist in deutscher Übersetzung im Kiwi Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.