Beinahe hätte ich Jonathan Safran Foer nach der Lektüre seines viel beachteten Debüts „Alles ist erleuchtet“ keine zweite Chance gegeben. Ohne Frage eine gute Geschichte aber nahezu unerträglich geschrieben. Intellektuell, verkopft, klugscheißerisch und einfach entsetzlich anstrengend. Seinen zweiten Roman „Extrem laut und unglaublich nah“ in die Hand zu nehmen, kostete mich entsprechend einiges an Überwindung, versöhnte mich aber auch wieder mit Foer, denn im Gegensatz zu seinem Debüt schafft er es hier zum Glück, trotz seiner stilistischen Verschrobenheit eine emotionale Brücke zu seinen Figuren zu schlagen, über die man ihnen nahe kommt. Dass er diesen Weg weiter einschlage, wünschte ich mir damals von ihm. Und offensichtlich sind alle guten Dinge drei, denn in seinem dritten Roman „Hier bin ich“ (seine vierte Veröffentlichung nach „Tiere essen“) gelingt Foer genau das besser denn je.
Seine Geschichte des Ehepaar Blochs ist eher eine leise, auch wenn es um das Zerbrechen einer Ehe geht, passiert dieses doch eher sukzessive als mit dem großen Knall. Einen Auslöser gibt es natürlich schon. Julia und Jacob Bloch sind beide Anfang 40, sie haben drei Kinder und sind bereits seit einiger Zeit weder besonders glücklich noch unglücklich. Dann findet Julia im Badezimmer ein Handy und darauf eine sexuell äußerst explizite Kommunikation, an der sie offensichtlich nicht beteiligt ist. Dass Jacob beteuert, über den Austausch von SMS mit einer Arbeitskollegin hinweg sei nichts passiert, macht die Sache nicht besser. Julia fühlt sich von der emotionalen Hasenfüßigkeit ihres Mannes zunehmend abgestoßen, er ist ein ewig Mittiger, und so verläuft auch der Konflikt zwischen den Eheleuten. Es gibt einen einzigen Ausbruch, danach geht es äußerst zivilisiert zu und die Gründe zusammen zu bleiben scheinen lange genau so schwer zu wiegen wie die, die für eine Trennung sprechen.
Ähnlich wie in allem Emotionalen geht es Jacob auch mit seiner Identität als Jude. Er bezeichnet sich nicht als gläubig, schätzt aber die Rituale. Sein Cousin und sein Neffe aus Israel kommen zu Besuch, Begegnungen die für Jacob stets eine Herausforderung sind. Sein Cousin Tamir ist das genaue Gegenteil zu Jacob, immer klar in seinen Entscheidungen, meinungsstark und stets bereit zu polarisieren, anzuecken. Er identifiziert sich über seine jüdische Herkunft und wirft seinem amerikanisierten Cousin vor, Israel nicht als seine eigentliche Heimat anzuerkennen. Dann werden sämtliche privaten Querelen von einer Katastrophe globalen Ausmaßes überschattet. Der nahe Osten wird von einem Erdbeben erschüttert und die muslimischen Nachbarstaaten drohen, das zerstörte, geschwächte Israel anzugreifen. Der israelische Premierminister ruft alle im Ausland lebenden Juden dazu auf, heimzukehren und für ihr Vaterland zu kämpfen. Nach all den Jahren der Mittelmäßigkeit und Unentschiedenheit erscheint die Aussicht, in den Krieg zu ziehen Jacob plötzlich als die einzig logische Alternative.
Jonathan Safran Foer beweist in „Hier bin ich“, dass er es wie kaum ein anderer Autor schaffen kann, sich gleichermaßen intellektuell wie emotional einem Thema anzunähern. Seine Analyse des Beziehungskonstrukts Ehe erscheint einem auf fast beängstigende Weise universell. Auch wenn man sich nicht eins zu eins in den von ihm beschriebenen Situationen wiederfindet, kann man sich doch mühelos mit ihnen identifizieren. Durch die Gegenüberstellung von Konflikten ganz unterschiedlicher Größenordnung erhält das Ganze noch mehr Durchschlagskraft. Der politische, ein gesamtes Volk betreffende Konflikt lässt die Dilemmata der Familie Bloch in keinster Weise kleiner erscheinen, im Gegenteil. Der Schmerz hat stets die gleiche Größe, nichts ist banal, alles ist beachtenswert. Dem steht selbst die Geschichte von Argus, dem Hund der Familie, in nichts nach.
Von all dem abgesehen, neben der Tiefe seiner Erzählung, der schillernd ausgemalten Charaktere und seinem meisterhaften Stil ist Foer immer mal wieder auch umwerfend komisch. Wenn er zum Beispiel erklärt was ein „analer Heimlichgriff“ ist oder die Begegnung mit Stephen Spielberg auf einer Flugzeugtoilette beschreibt. Eine seiner großen Stärken sind stets seine Kinderfiguren. Sie sind altklug, wortgewandt, schalten sich oft unerwartet in Unterhaltungen und Handlungsstränge ein. Dabei sind sie, trotz aller Überzeichnung so, wie man Kinder nun mal kennt, am Ende den Erwachsenen oft einen Schritt voraus.
Es scheint, als würde Foer sich von Roman zu Roman seiner eigenen Meisterschaft ein Stück weiter entgegen schreiben. Jedes Mal schafft er es, noch mehr auf den Punkt zu sein, eine Spur stilistisch überzeugender und, vor allem das, in „Hier bin ich“ ist er emotional nahezu schmerzlich an seinem Leser dran. Es ist wirklich ein wertvolles Stück Lebenszeit, das man dieser Lektüre widmet.
Info: Jonathan Safran Foer wurde 1977 in Washington, D.C. geboren, er stammt aus einer jüdischen Familie, die den Holocaust überlebte. „Hier bin ich“, sein aktueller Roman, wurde von Henning Ahrens übersetzt, ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Am 31.01.2017 wird Jonathan Safran Foer in Berlin im großen Sendesaal des rbb aus „Hier bin ich“ lesen. Tickets gibt es an allen Vorverkaufsstellen oder hier.
Gelesen von: Gabi Rudolph