Gelesen: Ian McEwan „Maschinen wie ich“

Man kann Ian McEwan nicht vorwerfen, dass er sich thematisch wiederhole. Überhaupt kann man Ian McEwan sehr wenig vorwerfen. Außer vielleicht, dass er in der Vergangenheit Bücher geschrieben hat wie „Abbitte“ oder „Liebeswahn“, die schwer zu übertreffen sind. Von jemand anders sowieso nicht, von ihm selbst aber auch nicht so ohne weiteres. Wenn man die von ihm selbst gesteckte Latte anlegt, ist das der Inbegriff von Jammern auf hohem Niveau.

Ian McEwan ist inzwischen 70 Jahre alt und einer der erfolgreichsten (und produktivsten) englischen Schriftsteller unserer Zeit. Er ist stets originell – sein letzter Roman „Nussschale“ handelte von einem ungeborenen Kind, das unfreiwillig Zeuge eines Mordkomplotts wird – und sprachlich auf eine nicht überkandidelte Weise stets on point, auch was seine erzählerische und intellektuelle Perspektive angeht. Und das obwohl wenn irgendjemand Gefahr laufen könnte von oben herab zu sein, dann er. Denn sein neuester Roman, „Maschinen wie ich“ beweist wieder einmal, dass er auch zu den klügsten und reflektiertesten Autoren unserer Zeit gehört. Vielleicht ist er nicht mehr ganz so bissig wie früher. Nicht mehr ganz so dramatisch. Eine leicht schelmische Milde lässt sich in seinen neueren Werken entdecken.

In „Maschinen wie ich“ entwirft er eine Welt, in der es Internet und Handys bereits Anfang der 80er Jahre gibt. Zu verdanken ist dies dem Informatiker Alan Turing, der in unserer realen Welt zwar existiert hat, aber bereits 1954 gestorben ist. Bei Ian McEwan ist er nach wie vor lebendig und lebt zufrieden in einer Beziehung mit einem Mann (tatsächlich wurde Turing in den fünfziger Jahren aufgrund homosexueller Handlungen zu einer Hormontherapie verurteilt, die zu Depressionen und damit schließlich zu seinem Tod führte). Er hat nicht nur moderne Computer, das Internet und selbstfahrende Autos erfunden, sondern auch die ersten künstlichen Menschen entwickelt. 13 Evas, 12 Adam sind für den Hausgebrauch entwickelt und produziert worden. Charlie, gerade durch eine Erbschaft zu einer größeren Summe Geld gekommen, erfüllt sich mit dem Erwerb eines Androiden einen Kindheitstraum. Eigentlich hätte er gerne eine Eva gehabt, aber die waren bereits ausverkauft. Nun sitzt Adam an seinem Küchentisch, nackt, menschlich und muss erst einmal laden, ein Ladekabel im Bauchnabel versorgt ihn mit Strom.

Zeitgleich mit dem Erwerb von Adam vertieft sich die Beziehung zwischen Charlie und seiner zehn Jahre jüngeren Nachbarin Miranda. Charlie entscheidet sich, die Programmierung von Adams Charaktereigenschaften, die manuell vorgenommen werden muss, zur Hälfte Miranda zu überlassen. So wird Adam zu einem gemeinsamen Projekt, er hilft im Haushalt, übernimmt (wesentlich erfolgreicher) Charlies tägliche Börsenspekulation und wird schließlich zum Nebenbuhler. Entsetzt muss Charlie mit anhören, wie Miranda in ihrer Wohnung eine Nacht mit dem Androiden verbringt – der daraufhin auch noch verkündet, sich verliebt zu haben und im Akkord Haikus für seine Angebetete dichtet. Später nimmt er die Rolle einer moralischen Instanz ein. Als sich nach und nach ein dunkles Geheimnis aus Mirandas Vergangenheit offenbart und zwingt Adam sie, nachträglich die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Obwohl sie damals bewusst ihrem eigenen moralischen Empfinden nach gehandelt hat, nimmt Adam es mit Recht und Gerechtigkeit sehr genau. Und das ausgerechnet dann, als Charlie und Miranda sich entschieden haben, gemeinsam die Pflegschaft für ein Kind zu übernehmen. Adam scheint immer mehr im Weg, zumal er sich dem ihm als Maschine zugedachten Gehorsam zunehmend widersetzt – wie er den eigenen Ausschaltknopf deaktiviert hat er schon längst herausgefunden.

Ian McEwan wirft in „Maschinen wie ich“ so viele moralische und ethische Fragen auf, dass einem regelrecht der Kopf schwirrt. Über allem steht natürlich die ob eine Maschine, die sich menschlich verhält auch ein Recht darauf hat, menschlich behandelt zu werden. Für die Art und Weise wie Charlie schließlich versucht, sich seiner Probleme mit Adam zu entledigen, wird er am Ende von seinem großen Idol Alan Turing aufs Schärfste verurteilt (ja, die beiden begegnen sich tatsächlich). Aber ist eine rein maschinelle Existenz überhaupt „lebenswert“? Am Rande erfahren wir, dass die Adam und Eva Modelle nacheinander allesamt beschließen, ihre Systeme abzuschalten. Mit den Denkaufgaben, die er uns neben aller Unterhaltung aufgibt nimmt Ian McEwan es ernst – gleichzeitig liest er sich schalkhafter, lockerer denn je. Immer wieder wird es urkomisch, allen voran wenn es bei einem Besuch bei Mirandas Vater zu Unklarheiten darüber kommt, wer denn nun der Android ist. In der Beziehung zwischen Charlie und Miranda und vor allem dann, wenn Mirandas Vergangenheit sich nach und nach entrollt, kehrt auch immer wieder die alte, fast schon kriminalistische Schärfe ein, die Ian McEwan so besonders beherrscht. Und man kann nur immer wieder staunen, wie minutiös und in sich logisch Ian McEwan seine alternative Welt kreiert hat.

Es muss schon hart sein, so genial zu sein wie Ian McEwan und damit die Erwartungen seiner Leser von Werk zu Werk höher zu schrauben. „Maschinen wie ich“ ist vielleicht nicht der stärkste, zumindest nicht der spannendste McEwan. Man tut sich mitunter schwer, warm mit den Figuren zu werden. Dass ausgerechnet Android Adam derjenige ist, den man als den am besten ausgearbeiteten Charakter empfindet, fühlt sich am Ende fast schon wieder wie ein Clou an. im Gesamten aber ist „Maschinen wie ich“ nahrhaftes Food for Thought, bei dem der Unterhaltungsfaktor nicht zu kurz kommt.

„Maschinen wie ich“ von Ian McEwan ist im Diogenes Verlag erschienen. Eine Leseprobe gibt es hier

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.diogenes.ch