Ich bin wirklich großer Fan von Michael Chabon. Und wenn jemand wie Michael Chabon sich so weit aus dem Fenster lehnt, den ersten Roman einer Autorin als „Meisterwerk“ zu bezeichnen, dann muss man da schon mal genauer hin gucken. Tatsächlich passt es ganz gut, dass Chabon sich von der US-Autorin Charlie Jane Anders begeistert zeigt. Chabon und Anders leben ihren Sinn für Originalität und Humor auf ähnliche Weise aus.
Man kann dem auch wirklich nur Respekt zollen, sowohl inhaltlich als auch sprachlich schöpft Charlie Jane Anders in ihrem Debüt aus den Vollen. Voller Fantasie, ohne Zurückhaltung und trotzdem in dem richtigen Maß, dass es nicht überfrachtet, altklug oder einfach nur nervig wirkt. Das ist wohl eine der wichtigsten Gratwanderungen, die moderne Autoren heutzutage beherrschen müssen beziehungsweise es oft leider nicht tun. Charlie Jane Anders glückt sie ziemlich gut.
In „Alle Vögel unter dem Himmel“ lässt sie die Hexe Patricia auf den Computernerd Laurence treffen. Sie begegnen sich schon als Kinder, Patricia hat gerade festgestellt, dass sie mit Vögeln sprechen kann und Laurence hat aus der wasserdichten Armbanduhr seines Vaters eine Zwei-Sekunden-Zeitmaschine gebaut. Als Außenseiter an der Highschool verbünden sie sich miteinander, ein Bund, der aber einen Knacks bekommt, als Laurence Patricia das erste Mal zaubern sieht und vor Schreck Reißaus nimmt.
Jahre später begegnen sie sich in San Francisco wieder. Patricia hat inzwischen ihre Hexenausbildung an der Eltisley Maze absolviert, Laurence ist Teil eines elitären Wissenschaftlerzirkels. Als die Welt von einer ökologischen Katastrophe heimgesucht wird, stehen die beiden sich plötzlich als Kontrahenten gegenüber. Patricia als Teil der Hexengesellschaft, die glaubt, die Welt könnte nur mittels einer radikalen Auflösung geheilt werden, Laurence auf der Seite der Wissenschaftler, die eine Maschine konstruiert haben, mithilfe derer ein Teil der Menschheit auf einen anderen Planeten teleportiert werden könnte. Der nicht unwesentliche Nebeneffekt wäre hierbei jedoch, dass die Welt bei ihrem Einsatz eventuell komplett zerstört wird.
So weit, so gut. Man kann Charlie Jane Anders’ Geschichte schwer ausführlicher zusammenfassen, ohne zu viel zu verraten. Und manchmal ist es auch etwas schwer ihr zu folgen. Die Ideen schwirren nur so durch den Raum, wie die besagten Vögel, die sich auch auf dem Umschlag tummeln. Das macht aber auch nichts, weil jede neue Idee, die Anders aus dem Hut zaubert, wieder aufs Neue Spaß macht. Es gibt da zum Beispiel noch einen intelligenten Computer namens Peregrin, der ursprünglich von Laurence programmiert wurde und durch Patricias übersinnliche Kräfte ein eigenes Bewusstsein erlangte. Er spielt beim Versuch die Welt zu retten, keine unwesentliche Rolle. Und natürlich gibt es die Liebe, denn mitten im Kampf Wissenschaft gegen Natur müssen Patricia und Laurence natürlich auch noch herausfinden, wie sie zueinander stehen.
Das alles verdichtet sich zu einem amüsanten und gleichzeitig anspruchsvollen Lesevergnügen, irgendwo zwischen Fantasy, Science Fiction und klassisch amerikanischem Coming-of-Age. Charlie Jane Anders ist ein geistreiches und gut strukturiertes Debüt gelungen, das außerdem mit fantasievollen und trotzdem schlüssigen Charakteren überzeugt. Michael Chabons Begeisterung kann man sich also guten Gewissens anschließen, auch wenn ich persönlich mit dem Gebrauch des Begriffs „Meisterwerk“ etwas sparsamer umgehe. Aber für genau diese Art von Euphorie kann man Michael Chabon nur lieben. Und Charlie Jane Anders, die sollte man auf jeden Fall im Auge behalten.
Info: Charlie Jane Anders ist Bloggerin, Herausgeberin des „Other Magazine“ und Schriftstellerin. Ihr Romandebüt „Alle Vögel unter dem Himmel“ ist bei TOR/Fischer erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
www.tor-online.de
www.fischerverlage.de
www.other-magazine.com
www.allthebirdsinthesky.tumblr.com