Gelesen: Barney Norris „Hier treffen sich fünf Flüsse“

Die Charakteristika eines Ortes mit den Schicksalen von Menschen zu verbinden ist ein dankbares Stilmittel. Der Brite Barney Norris ist in Salisbury aufgewachsen, einer Kleinstadt südwestlich von London in der Grafshaft Wiltshire. Dort, wo fünf Flüsse aufeinander treffen, lässt Norris in seinem Debütroman „Hier treffen sich fünf Flüsse“ fünf Personen entstehen, die, ähnlich den Flussläufen, vom Schicksal zusammen geführt werden.
Wir lernen die alternde Blumenverkäuferin Rita kennen, die sich hauptsächlich mit dem Verkauf anderer Gräser ihren Lebensunterhalt verdient. Eine einsame Frau, ihr Exmann und ihr Sohn sind ihr entfremdet und als sie beim Dealen erwischt wird, droht ihr die Verhaftung. Dann gibt es Sam, ein durchschnittlicher Teenager, der im Schulchor singt und mit durchschnittlichen Problemen wie die erste Liebe zu kämpfen hat, bis bei seinem Vater Krebs diagnostiziert wird. Farmer George Street hat ebenfalls gerade seine Frau an den Krebs verloren, als er in das Schicksal seiner Mitspieler verwickelt wird. Hausfrau Alison plagt auch die Einsamkeit und Entfremdung, sie vermisst ihren in Afghanistan stationierten Ehemann und versucht mühsam, eine Verbindung zu ihrem Teenagersohn herzustellen. Und zuletzt ist da noch ein Nachtwächter, dessen Bedeutung in der Geschichte sich erst ganz zum Schluss herausstellt. Diese fünf Figuren werden eines Nachts vom Schicksal zusammen geführt, als Zeugen und Opfer eines Verkehrsunfalls. Wir lernen sie alle fünf in der Ich-Perspektive kennen, jedem von ihnen verleiht Norris seine eigene Stimme.
Das tut er mit viel Feingefühl und leiser Poesie. Auch die Erzählstruktur von „Hier treffen sich fünf Flüsse“ ist kunstvoll durchdacht, immer wieder enthüllen sich Einzelheiten, die am Ende zum Großen Ganzen beitragen. Es ist ein leises, ruhiges Debüt, die Geschichten der einzelnen Charaktere fließen behutsam dahin, bis sie am schicksalhaften Knotenpunkt aufeinander prallen. Barney Norris schreibt emotional, tiefgründig und stilsicher. Und trotzdem fällt es manchmal schwer, mit ihm und seinen Figuren durchzuhalten.
Es liegt eine unglaubliche Schwere über „Hier treffen sich fünf Flüsse“. Man muss sich mit verpassten Lebensträumen, Alltagsdepressionen, Entfremdung und gleich zwei Krebstoden auseinander setzen. Viel Platz für Hoffnung, für Erfüllung gibt es nicht. So wird auch das Bild des Ortes, dem Barney Norris mit seinem Debüt ein Denkmal setzen möchte, ein eher düsteres. Man wünscht sich manchmal etwas mehr von dem Ungestüm, mit dem seine fünf Flüsse aufeinander treffen. Mehr von dem Wunsch auszubrechen als von der meist herrschenden Schicksalsergebenheit.
Dennoch erweist sich Barney Norris, der seine Schreibkarriere als Autor von Theaterstücken begonnen hat, als versierter, sensibler Autor. Dass er ursprünglich vom Theater kommt, merkt man den Passagen an, denen er Alisons Tätigkeit in einer Laienspielgruppe gewidmet hat. Hier kommt er des öfteren durch, dieser Funke Hoffnung und Begeisterung, den man so oft vermisst. Aber so ist es nunmal, das Leben. Vielleicht schöpft Barney Norris aus seinem Fluss einfach ein bisschen zu glaubwürdig.

Info: Barney Norris wurde 1987 in Sussex geboren. Sein Debütroman „Hier treffen sich fünf Flüsse“ ist im DuMont Buchverlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.dumont-buchverlag.de