Gelesen: Andrew Sean Greer „Mister Weniger“

Im zweiten Drittel von Andrew Sean Greers „Mister Weniger“ reist der gleichnamige Romanheld, der Schriftsteller Arthur Weniger, nach Turin, wo er für einen Literaturpreis nominiert ist. Im Zuge dessen erinnert er sich daran, wie sein Exfreund, ein wesentlich erfolgreicherer Schriftsteller als er selber, einst den Pulitzer Preis gewann. Damals sagte eine Freundin, ebenfalls renommierte Schriftstellerin zu ihm: „Hier ist mein einziger Rat an dich. Gewinn nie einen von diesen Preisen.“

Das ist nur eine der zahlreichen Stellen, die einen in Greers neuem Roman zum Schmunzeln bringen. Denn erst kürzlich gewann der Amerikanische Schriftsteller für seinen fünften Roman eben jenen Pulitzer-Preis. Es ist nur eine von vielen Parallelen, die zwischen ihm und seiner Hauptfigur Arthur Weniger bestehen dürfte, wobei die Zufälligkeit, mit der diese nachträglich daher kommt, besonders charmant ist. Es bleibt zu hoffen, dass Greer sich nicht tatsächlich vor derartigen Preisen fürchtet. „Du gewinnst einen Preis und alles ist vorbei. Du hältst für den Rest deines Lebens Vorträge. Aber du schreibst nie wieder,“ sagt die Dame noch zu Weniger. Es sei seinem Schöpfer nicht zu wünschen, dass es ihm ebenso geht.

Denn eigentlich, auch wenn er seinen ersten Roman bereits 2001 veröffentlicht hat, scheint es jetzt erst so richtig loszugehen für Andrew Sean Greer. Ähnlich wie sein sympathisch verpeilter Arthur Weniger musste er sich in der Vergangenheit bereits dem ein oder anderen Umstand ergeben, der den Weg zum größeren Bekanntheitsgrad mit zusätzlichen Steinen belegte. Greers erster Roman „Die Nacht des Lichts“ erschien in den USA im September 2001 und wurde, nach den Ereignissen des 11. September, quasi kaum wahrgenommen. „Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli“, sein Zweitwerk, ist eine Variation der Kurzgeschichte „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ von F. Scott Fitzgerald und hätte eigentlich die Grundlage zu David Finchers berühmter Filmadaption sein sollen. Der Roman erwies sich in der Umsetzung jedoch als zu schwierig, weshalb man sich dann doch an der Originalgeschichte orientierte. Pech nennt man das wohl, schlicht und ergreifend.

Dass er nun ausgerechnet für „Mister Weniger“ den Pulitzer-Preis verliehen bekommen hat, gönnt man ihm entsprechend von Herzen. Dabei ist „Mister Weniger“, rein inhaltlich gesehen, noch nicht einmal sein stärkster Roman. Dass er ausgezeichnet wurde, ist natürlich dennoch begeisternd, zum einen, weil Greers Gesamtwerk damit endlich die Würdigung erfährt, die ihm gebührt. Zum anderen ist „Mister Weniger“ thematisch gesehen nicht unbedingt die Sorte Roman, die bei derartigen Auszeichnungen automatisch vorne mit dabei ist. Er erzählt, sehr leicht, unbefangen, manchmal nahezu albern, die Geschichte eines in der Midlife-Crisis steckenden, homosexuellen Schriftstellers, der vor zwei einschneidenden Ereignissen in seinem Leben wegzulaufen versucht: dem eigenen 50. Geburtstag und die anstehende Hochzeit seines ehemaligen Geliebten, den er zu Beziehungszeiten nicht derart gewürdigt hat, wie er es im Nachhinein gern getan hätte.

Um das Weglaufen möglichst professionell zu betreiben, nimmt Arthur Weniger einfach jede Einladung an, die ihm in der letzten Zeit ins Haus geflattert ist: zu einer Preisverleihung nach Turin, einer Gastprofessur in Berlin, zu jemand anderes Geburtstagsfeier nach Marokko, die gleichzeitig mit seinem eigenen Jubeltag zusammen fällt, nach Japan, wo er einen Artikel über die traditionelle Küche verfassen soll, und zuletzt reist er ganz privat nach Indien, wo er hofft, mit der Arbeit an seinem neuen Roman voranzukommen. Dabei passieren ihm allerlei skurrile Dinge, während er versucht zu verdrängen und gleichzeitig in Erinnerungen wühlt. Die Beziehung zu einem wesentlich älteren, wesentlich erfolgreicheren Schriftsteller spielt bei der Selbstfindungsreise, bei der wir dabei sein dürfen, genau so eine Rolle wie die Beziehung zu Freddy, dessen gefürchtete Hochzeit bevor steht.

Die Dramaturgie von „Mister Weniger“ ist, gemäß den verschiedenen Etappen der Reise, eher episodenhaft. Die Erzählung lebt davon, dass man diesen Mister Weniger, so zaudernd, so desorientiert, ja zum Teil sogar verzweifelt er ist, auf Anhieb gut leiden kann und er einem, je länger man sich mit ihm auseinander setzt, immer mehr ans Herz wächst. Interessant ist auch die Erzählperspektive, deren wahre Bedeutung sich erst, überraschend und dennoch schlüssig, beim überaus charmanten Ende erschließt. Die einzelnen Stationen sind unterschiedlich unterhaltsam, besonders sticht dabei die Episode in Berlin hervor, sie ist die komischste von allen geworden. Wenn Weniger stolz auf seine Deutschkenntnisse zurück greift, die wesentlich schlechter sind als er es selbst annimmt. Oder wenn er sein Publikum in einem typischen Berliner Underground Club buchstäblich zum Umfallen langweilt.

Skurrile Einfälle scheut Greer nicht, trotzdem wirkt „Mister Weniger“ in seiner Originalität nicht überladen. Gleichzeitig ist Greers neuestes Werk so verrückt und stilvoll, dass es nicht zur reinen Nabelschau verkommt. Am Ende ist es ganz einfach ein sehr herzliches, humorvolles Plädoyer für die Liebe. Und manchmal braucht man im Leben tatsächlich „Weniger“ als man denkt.

Was Andrew Sean Greers Stil und Wortwitz angeht, so ist es letztendlich ratsam, seine Bücher im Original zu lesen. Aber auch in der Übersetzung gibt es immer wieder diese herrlichen Passagen, die einen spontan zum laut Loslachen animieren. Bitte nicht durch den Pulitzer Preis in Schockstarre verfallen, Mr Greer. Schreiben Sie weiter! Man möchte noch so viel mehr von diesem künstlerischen Eigensinn konsumieren.

Info: „Mister Weniger“ von Andrew Sean Greer ist, wie alle seine Romane in Deutschland, im Fischer Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. Eine Leseprobe gibt es hier.

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.andrewgreer.com