Gehört und erlebt: „Es war einmal und wenn sie nicht“

Das Jahr 2013 ist, anlässig des 200. Geburtstages der ersten Auflage ihrer Märchen, den Brüdern Grimm gewidmet. Passend dazu bescherte uns der November die Veröffentlichung eines vom Hamburger Musiker Wolfgang Müller erdachten Projektes mit dem Titel: „Es war einmal und wenn sie nicht“. Enstanden ist ein Tonträger, auf dem 17 bekannte Stimmen 17 mehr oder weniger bekannte Märchen lesen.
Zu hören sind ausschließlich Märchen der Brüder Grimm, von denen aber das eine oder andere nur für die Ohren eingefleischter Märchenfans nicht neu klingen mag. Gelesen werden die Geschichten alle in ihren ungeschönten Ursprungsversionen aus den ersten Ausgaben von Grimms Hausmärchen von 1812-57, ausgewählt von SängerInnen und Songwritern. Fröschen, Königen, Prinzessinnen und Zicklein liehen u.a. Tom Liwa, Gisbert zu Knyphausen, Moritz Krämer, Cäthe und ClickClickDecker ihre Stimmen.
Die CD- oder Vinylausgabe von „Es war einmal und wenn sie nicht“ kommt ziemlich schnörkellos daher. Zwar gibt es zwischen den Märchen eigens von Sebastian Deufel, seines Zeichen Komponist und einigen Menschen vielleicht bekannt als Schlagzeuger von Gisbert zu Knyphausen, komponierte Musik, aber ansonsten hört und erfährt man bis auf den Titel des Märchens zwischen den Geschichten nichts. Nicht einmal der Name des Lesers ist den Machern dieser Märchenstunde eine Unterbrechung wert. Das ist sympathisch. Denn beim Hören von Geschichten reicht es ja auch völlig aus, sich darüber zu freuen, dass jemand meckert wie ein Zicklein, um die Geschichte vom Wolf und den sieben jungen Geisslein akustisch zu illustrieren. Will man wissen, welcher Sänger das da gerade tut, kann man natürlich auf der von der Hamburger Illustratorin und Tätowiererin Jules Wenzel wunderschön gestalteten Verpackung des Tonträgers nachlesen, dass es Thees Uhlmann ist.
Begleitet wurde die Veröffentlichung des Märchenalbums von einer Lesung. Neben ClickClickDecker und Jan Plewka schafften es unter anderem auch Gisbert zu Knyphausen und Teile der Gruppe „Die höchste Eisenbahn“ ins Hamburger Uebel & Gefährlich. Das Programm bestand neben der Lesung auch aus jeweils zwei Akustiksongs der Künstler und war dementsprechend eigentlich unheimlich lang. Quasi mehr als Abendfüllend. Normalerweise dehnt sich dann häufig die Zeit und man fragt sich zwischendurch verstohlen, wann es denn endlich vorbei ist und ob der Barkeeper wohl auch am Sonntagabend den Schnaps so parat hat, dass er nicht etwa beim Rauskramen große Teile des Publikums stört. Nicht so hier: Ich schätze wir verbrachten inklusive Pause mehr als drei Stunden im Übel und Gefährlich, ohne nervös auf unseren Stühlen herum zu rutschen. Gut so… diese wackeligen Klappstühle wären unter hibbeliger Unruhe bestimmt zusammen geklappt.
Die vorgetragenen Märchen wurden wirklich „nur“ gelesen. Ähnlich wie bereits bei den Aufnahmen liest der eine Interpret weniger, spielt der andere mehr. Bei Livelesungen entstehen häufig intime Momente, wenn der ganze riesige Saal still ist und man nichts hört als die nackte Stimme des Lesers. Nicht wie man es sonst gewohnt ist oder von anderen Veranstaltungen kennt, eingekleidet von Instrumenten oder wenigstens hinterlegt von Musik. An diesem Abend hatte alles seinen klaren Platz. Stimme, Gitarre, Stimme, Gitarre. Dann Konzerte. Jemanden Lesen zu hören, Teil zu haben an der ganz persönlichen Interpretation, Intonation und Aussprache von Geschichte und Wort, ist an sich schon oft beeindruckend. Im Falle von Künstlern, die man sonst als Sänger kennt, ist es aber auch der überraschend veränderten Wahrnehmung der Personen wegen Interessant. Überraschend war auch, wie ungeahnt witzig Grimms Märchen dank der Leser sein können. Auch die Skurrilität so mancher Geschichten wurde gekonnt herausgekitzelt: Wie war das zum Beispiel mit der Klugen Else, deren Mann sie loswird, indem er ihr im Schlaf Glöckchen an die Gliedern bindet? Und die, als sie erwacht aufgrund des Klingelns der Schellen so verwirrt und irr wird, dass sie sich ihrer Person nicht mehr sicher ist und nie in das Heim der klugen Else zurück kehrt, weil sie glaubt nicht die kluge Else zu sein? Skurril. Oder „Einäuglein“ und „Dreiäuglein“, die ihre Schwester „Zweiäuglein“ ihrer zwei Augen wegen, die sie all den anderen Menschen so ähnlich machen und sie von der Familie unterscheiden, hassen und ausschließen? Manche Metaphern verlieren ihre Aktualität nie. Ja klar kennen wir alle Grimms Märchen irgendwie noch von früher, haben vielleicht noch die ein oder andere Geschichte wenigstens so halb im Kopf, aber mal ehrlich: wer liest denn das heute noch? Ich tue das auch im Grimm Jahr 2013 nicht. Und hätte sie auch nicht gehört, wäre dieses schöne Projekt nicht gewesen. Aber es ist eben nicht nur der eigenen Erinnerungen wegen schön, dieses Kulturgut nochmal aufgewärmt zu bekommen. Neben den noch halb bekannten Märchen stolpert man eben auch über so einige die man schlichtweg noch nie gehört hat, entdeckt Altes neu und wird an manche moralisch grundlegende, nie veraltende, ich möchte fast sagen „Weisheit“ erinnert.
Insgesamt eine gute Idee mit gelungener, einfacher und sehr schöner Umsetzung. In Show und Erzeugnis eine runde Sache.

Gehört und erlebt von: Lena Krüger

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