Jack White gehört zu den Künstlern, die einen, vorausgesetzt man lässt sich auf sie ein, mit ihrem Schaffen in ein eigenes Universum mitnehmen. Seine musikalische Reise, angefangen bei den White Stripes über die Raconteurs und The Dead Weather, unterbrochen von unzähligen Seitenprojekten mit Künstlern wie Loretta Lynn, Wanda Jackson und Tom Jones ist wie eine in sich geschlossene Welt, in der man sich gefühltermaßen endlos aufhalten und dabei fast vergessen kann, dass es auch noch etwas draußen vor der Tür gibt.
Ihren vorzeitigen Höhepunkt erreichte diese Reise vor zwei Jahren mit der Veröffentlichung von Jack Whites erstem Soloalbum. „Blunderbuss“ stieg unter anderem in Großbritannien und den USA bis auf Platz eins der Albumcharts, in Deutschland immerhin auf Platz drei, es folgten diverse Award Nominierungen und natürlich reihenweise ausverkaufte Konzerte. Indie Gott Jack White, angekommen im großen Pop Olymp. Fast könnte man melancholisch werden, dass man ihn jetzt mit so vielen Menschen teilen muss. Auf der anderem Seite gibt es einem auch ein klein wenig den Glauben an die musikinteressierte Menschheit wieder, dass so viel Talent, Originalität und Leidenschaft entsprechend gewürdigt werden.
Im letzten Jahr wurde es dann erstaunlich ruhig um Jack White für jemanden, der in der Regel gerade mal vier Wochen braucht, um ein komplettes Album aufzunehmen. Umso schöner ließ sich spekulieren, womit er uns als nächstes erfreuen würde. Vielleicht doch mal wieder ein Album mit den Raconteurs? Über sein hauseigenes Label Third Man Records ließ er Anfang diesen Jahres noch verlauten, dass er sich wieder mit The Dead Weather im Studio eingefunden habe. Aber nach einer großartigen Single als Teaser hieß es dann, dass das dazugehörige Album erst 2015 erscheinen wird. Noch ein Jahr Kreativpause? Das konnte man sich nur schwer vorstellen.
Und dann ging alles irgendwie ganz schnell. Erst ließ Jack White in einem Fanchat vernehmen, er befände sich aktuell im Studio, um mehrere Alben fertig zu produzieren – „one of them my own“. Damit war also klar, es würde ein zweites Soloalbum geben. Im April verkündete er dann offiziell, dass „Lazaretto“ Anfang Juni erscheinen wird. Haben wir ja jetzt, Anfang Juni, sprich, es ist soweit. Hurra!
Ein neues Stück Jack White Musik ist und bleibt ein kleines Happening. Dazu ist es auch überhaupt nicht nötig, dass er versucht, sich ständig neu zu erfinden, auch wenn von manchen Medien bereits euphorisch die Meinung vertreten wird, „Lazaretto“ sei die vielseitigste und mutigste Platte, die Jack White je veröffentlicht hat. Nun ja, bei mir war es eher ein vertrautes Gefühl, das sich beim ersten Hören einstellte. Etwas irritierend mag einem auf Anhieb vielleicht die Gutlaunigkeit erscheinen, mit der Jack White sich durch „Lazaretto“ musiziert. Mit „Three Women“ geht es unverblümt in die Vollen und der Schalk macht sich nicht zuletzt textlich breit: „I got three women, red, blonde and brunette.“ Erst kürzlich erklärte Jack White in einem Interview, seine Songs würden inhaltlich grundsätzlich nicht von ihm handeln. Mit der Textzeile „I take a digital photo to pick which one I like“ scheint er das noch zu untermauern. Jack White und digitale Fotografie? Geht irgendwie nicht zusammen. Zumal er immer noch hartnäckig behauptet, noch nicht einmal ein Handy zu besitzen. Aber was, wenn das alles nur Ablenkungsmanöver ist? Lässt sich dieser kreativer Output überhaupt deart vom eigenen Ego ablösen? Wenn man „Lazaretto“ als Gesamtes hört, wird man das Gefühl nicht los, der Mann könnte locker mindestens drei Frauen gleichzeitig an der Hand haben. Irgendwie klingt Jack White überschwänglich männlicher, selbstbewusster, weniger hadernd als noch auf „Blunderbuss“, wo zum Teil bitterböse mit der Weiblichkeit abgerechnet wurde.
Aber die weibliche Kraft war schon immer eine treibende in Jack Whites Musik. Auf „Lazaretto“ ist sie nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch vertreten. Lillie Mae Rische, 2012 bereits Mitglied von Whites weiblicher Begleitband The Peacocks, ist nicht nur wie gewohnt an der Violine, sondern auch gesanglich sehr präsent, im wunderschönen, melodischen „Temporary Ground“ übernimmt sie sogar den Chorus. Tatsächlich ist „Temporary Ground“ eines der wenigen ruhigeren Stücke auf „Lazaretto“. Insgesamt kracht es ganz gut, manchmal fast ein wenig zu sehr. An manchen Stellen hätte man sich mehr von der Gebrochenheit, dem Herzschmerz, mitunter der Wut gewünscht, die Jack White so ausmachen. Wenn an den ganz hohen Stellen die Stimme kurz bricht… hach, ich denke, ihr wisst was ich meine.
Die Jahre in Nashville haben offensichtlich ihre Spuren hinterlassen. So weicht der dreckige Blues des öfteren einem etwas glatteren Countryeinfluss. Ist mitunter etwas ungewohnt, hat aber auch etwas. Was darüber hinaus die von manchen Seiten bejubelte Neuerfindung betrifft: Insgesamt lässt „Lazaretto“ sich doch als sehr klassisches Jack White Album interpretieren. Umgekehrt lnört man sogar mehr denn je Querverweise auf das eigene Schaffen, wie zum Beispiel in „Would You Fight For My Love“, in dem kräftig aus „The Hardest Button To Button“ zitiert wird, einem White Stripes Song aus dem Jahr 2003. Ist das wirklich schon zehn Jahre her?
„Lazaretto“ fügt sich folglich sehr harmonisch in den White’schen Schaffensprozess ein. Etwas Altes, Etwas Neues, Etwas Geliehenes, Etwas Blaues – wir sehen uns am Altar, Jack.
VÖ: 06.06.2014
Gehört von: Gabi Rudolph