Folk kommt von Herzen, ist tief verwurzelt in Traditionen und suggeriert vielschichtige Gefühlslagen, die von familiärer Nähe, Heimatverbundenheit und Bodenständigkeit zeugen. Als Zuhörer hat man nicht selten das Gefühl, wirklich intime Augenblicke mitzuerleben. Unmittelbares Eintauchen in das Seelenleben, ungefiltert und authentisch. Seit langem schönstes Beispiel für dieses Phänomen ist Beirut´s neuster Geniestreich „The Rip Tide“.
Nur die Wenigsten hätten es erwartet: Während das Vorgängeralbum „The Flying Club Cup“(2007) und die Ep „March of the Zapotec” (2009) sich exotischen Reisen um den Globus verschrieben haben und ehrfürchtige Verneigungen vor fremden Kulturen sind, ist Zach Condon nun heimgekehrt. Ähnlich wie vor Kurzem Bon Iver, ist er für die Aufnahmen zu „The Rip Tide“ zu seinem Ursprung zurückgekehrt und so sind große Teile des Albums in seinen Heimatstädten Albuquerque und Santa Fe (New Mexico) entstanden. Herausgekommen ist eine besonnene und doch verspielte Liebeserklärung, die völlig ohne reißerische oder aufwendige Verpackung auskommt (siehe Cover).
Während wir bei „The Vagabonds of Old Town“ zu stampfenden Rhythmen kräftig in die Hände klatschen und uns sonst über brillante Popsongs freuen können, wie die herausstechende Singelauskoppplung „Santa Fe“, beweist Zach Condon einmal mehr, dass es auch ohne Band funktioniert. Beweisstück A ist das fast ausschließlich Piano gestützte “Goshen“ und das beinhaltet zudem einen dieser angesprochenen intimen Momente, wo die Barriere zwischen Künstler und Endkonsument aufbröckelt und alles zu einer homogenen Maße zu verschwimmen scheint.
Kontinuierlich begleitet von zurückhaltender und andächtiger Gitarre und Italowestern-Trompetenspiel, sowie zweier hochgeschätzter Kollegen, Violinisten Heather Trost (A Hawk and a Hacksaw) und Sharon Van Etten, spielt sich Zach Condon binnen 33 Minuten in seiner gewohnt einfühlsamen Art, erneut in unsere Herzen. Die stimmlich bedingte Grenze in melancholische und weinerliche Stimmungslagen wird zudem nur selten überschritten, was dem Album im Gesamtkontext aber wohl auch keinen Abbruch getan hätte. Gekonnt ist eben gekonnt.
„The Rip Tide“ ist ein bemerkenswertes und charmantes Folk-Kunstwerk, das im Vergleich zum Vorgänger an einigen Stellen deutlicher poppiger daherkommt und dessen bescheidene Bodenständigkeit trotzdem alles überstrahlt. Nicht nur Folk-Fans von Ausnahmekünstlern wie Get Well Soon, Bon Iver und co werden mit „The Rip Tide“ ihre wahre Freude haben. Auf die zugehörige Tour müssen wir wohl leider etwas länger warten, denn Beirut präsentieren ihr zweites Werk in Deutschland vorläufig nur einmal am 10.9. beim Berlin Festival auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof.
„The Rip Tide“ ist am 26.08. auf Pompeii Records erschienen.
Gehört von: Ben Grosse-Siestrup