Dass der diesjährige Sommer beziehungsweise Herbst für Indie-Fans der 00er Jahre quasi wie Geburtstag, Weihnachten, Chanukka, Valentinstag und Erntedankfest auf einmal ist, haben wir schon mehrfach angedeutet. Bloc Party und die Editors machten es vor und die großen Helden von Franz Ferdinand und den Babyshambles folgten – das bombastische Veröffentlichungsfeuerwerk nahm seinen Lauf. Natürlich hat sich bei dem ganzen Getöse der ein oder andere Knallfrosch eingeschlichen (Tom Smith und Falsett – Eine Kombination die wahrlich kein Mensch braucht), aber im Großen und Ganzen komme ich aus der Lobhudelei gar nicht mehr raus.
Eine der erfolgreichsten Bands der 00er Jahre, die es wie kaum eine andere immer wieder schafft Entwicklung und Signature zu verbinden, ist die Musikantentruppe rund um Alex Turner, die Arctic Monkeys. Am 6. September erschien ihr fünftes Studioalbum „AM“. Traditionell schießen die Veröffentlichungen der Arctic Monkeys schlagartig auf die Pole-Position der UK-Charts – „AM“ macht da keine Ausnahme. Wie macht er das nur? Alex Turner gehört unbestritten zu den talentiertesten Songwritern unserer Generation. Fünf Studioalben in sieben Jahren Bandgeschichte sorgen bei den anderen Musikern möglicherweise für Burn-Out und den zwingenden Aufenthalt in einer Entzugsklinik, nicht so im Falle Turner. Er gründet mit einem gewissen Miles Kane die Last Shadow Puppets, nimmt Platten auf, tourt und schreibt auch noch für einigen Kollegen Zeilen und Akkorde. Aktuell auf dem letzten Album der Queens of the Stone Age „…like Clockwork“ zu hören. Chapeau, Monsieur Turner!
Aber zurück zum Wesentlichen: „AM“. Die Arctic Monkeys hatten schon immer einen sehr hohen Wiedererkennungswert, der weit über den herrlichen Yorkshire-Akzent Turners hinausgeht. Trotz stetiger musikalischer Entwicklung – von anfänglich sehr rotzigem, ungestümem Indie-Punk bis zum blueslastigen Stonerrock der Gegenwart – bleiben die Arctic Monkeys ihrem speziellen, britischen Sound treu. „AM“ ist eine Weiterentwicklung des Vorgängers „Suck It And See“. Die 60er bleiben in Form von Blues oder Funk erhalten und werden mal mit psychedelischen Elementen, mal mit griffigen Heavy Metal- und Hard Rock-Allüren oder geradlinigem Desert Rock gemischt. „AM“ ist das amerikanischste Album der Band. Es wurde nicht nur in L.A. aufgenommen, Turner spielt auch eindeutig mit Hip Hop-, R&B- und Soul-Einflüssen. Nach eigenen Angaben wollte er eine Platte machen, deren wummernder Bass den Coolness-Faktor der L.A.-Spritztour massiv erhöht. Wenn ihr also demnächst im Großraum Los Angeles an der Ampel steht und neben euch irgend so ein sonnenbebrillter Vollpfosten mit runtergelassenem Fenster und hämmernden Beats parkt – Obacht! Nicht sofort losschimpfen, es könnte Alex Turner sein. Nichtsdestotrotz ist „AM“ ein hervorragendes Album und schlagartig in meine Jahresbestenlisten gerutscht. Den Opener „Do I Wanna Know?“ durchzieht ein eingängiger, relativ stumpfer Beat. Das darauf folgenden Gitarrenriff ist genauso simpel. Die Hookline stammt ebenso wenig aus der Abteilung ausgeklügelte, vielschichtige Raketenforschung mit unzähligen Elementen und Phrasierungen – Der Song ist völlig geradlinig, schon fast berechenbar und geht straight nach vorne (Verzeihung, der Anglizismus war unabdingbar). Arrangement und Stimmung stehen Pate für das ganze Album. „AM“ ist unfassbar sexy. Mal ehrlich, wenn ich die Platte höre, haben meine Gedankengänge nichts mit ‘nem Road Trip zu tun.
Für „R U Mine“, „Arabella“ und „I Want It All“ hat Turner eifrig bei Black Sabbath aufgepasst und adaptiert kurzer Hand satanistische Gitarrenriffs um sie (bei Arabella) mit recht seichtem Pop-Soul zu kombinieren. Das funktioniert, erstaunlicherweise, einwandfrei. Die Ballade „No. 1 Party Anthem“ ist gewissenhaft mittig platziert – Kurze Pause, durchatmen, Augen schließen. Der Song klingt nach Engtanz auf dem Abschlussball 1965. Alex mit Tolle und ich im Petticoat – Herrlich. „Mad Sounds“ geht genauso tiefenentspannt weiter. Hammond-Orgel, Schellenkranz und ein paar „Ulalalas“ lassen den Traum nicht enden. „Fireside“ reiht sich mühelos in die 60ies-Aufzählung ein und zieht das Tempo wieder etwas an. Der UK-Chart-Hit „Why’d You Only Call Me When You’re High?“ setzt den Fokus auf den Beat und schafft die Brücke zwischen R&B und dem traditionellen Arctic Monkeys-Sound. „Snap Out of It“ und „Knee Socks“ sind beides perfekte Popsongs und dennoch grundverschieden – Sorgloser Funk versus verkopfte Gitarren-Soul-Nummer. Die gedämpfte Stimmung läutet das Finale der Platte ein. Ja gut, „I wanna be your vacuum cleaner…“ klingt jetzt nicht direkt nach (Zitat – siehe oben) „talentiertester Songwriter unserer Generation“. Dennoch steckt hinter „I Wanna Be Yours“, trotz diverser Haushaltsgeräte-Symbolik, ein entspannter Lovesong mit Ginuwine-Tendenzen. Zugegeben, nicht das stärkste Stück auf der Platte.
„AM“ ist ein Album mit hohem Suchtfaktor und ich schließe mit einem Zitat aus dem Time Out Magazine: „One of Britain’s greatest bands just got greater in an unexpected but hugely welcome way. Single men, I urge you: put down FHM and pick up AM.“
Arctic Monkeys auf Tour:
04.11.2013 – Stadthalle (Offenbach)
05.11.2013 – Columbiahalle (Berlin)
11.11.2013 – Mitsubishi Electric Halle (Düsseldorf)
12.11.2013 – Zenith (München)
Gehört von: Julia Floß