Als Band hat man es schwer, wenn man wie The Gaslight Anthem mit „The ’59 Sound“ ein Hitalbum vorgelegt hat. Im Grunde gibt es zwei Wege aus der Misere: Entweder nach demselben Rezept nochmal kochen, oder alles komplett neu und anders machen. The Gaslight Anthem zeigen sich davon jedoch unbeeindruckt. Was wir auf dem neuen Album „American Slang“ hören ist keine Band, die auf der Erfolgswelle des Vorgängeralbums weiterschwimmen will oder zwanghaft einen kreativen Rundumschlag veranstaltet. The Gaslight Anthem entwickeln sich weiter, ohne sich dabei untreu zu werden. Sie sind eine Band, die durch stetige Arbeit und pausenloses Touren bekannt geworden ist. Kein Hype, keine Überproduktionen, keine Skandale. Alles echt, alles eigener Schweiß. Und das hört man. „American Slang“ ist eine ehrliche Platte.
Insgesamt hört sich das neue Album abwechslungsreicher an als „The ’59 Sound“ oder „Sink Or Swim“. Ne Schippe mehr Blues, etwas Pop, Weltmusik und Soul dazu, ein wenig Stadion und die unvermeidbare Prise Springsteen, mit dem sie nicht nur die Heimat New Jersey teilen, sondern auch ab und an die Bühne, wie zum Beispiel auf dem Hard Rock Calling Festival 2009, als Springsteen beim Titelsong von „The ’59 Sound“ mitmischte.
Ganz ehrlich – The Gaslight Anthem sind keine Musikgötter. Teilweise klingt ihre Musik fast schon belanglos, doch das gleichen die Jungs mit viel Sympathie und Frontmann Brian Fallons unverwechselbarer, rauer Stimme locker aus. Vielleicht ist es auch gerade diese Einfachheit, die die Songs so funktionieren lässt wie sie es tun. Gleichbleibende Gitarrenmelodien und Gesang über im Hintergrund wechselnden vier Akkorden, naja, diese Rechnung geht immer auf. Beste Beispiele auf der Platte hierfür sind „Orphans“, „Boxer“ oder „The Spirit Of Jazz“.
Der Opener, Titelsong und zugleich die erste Single „American Slang“ ist direkt auch schon ein weiterer Rock-Vertreter. Dabei setzen The Gaslight Anthem auf gefällige Gitarrenspielereien, Akkordteppich und zusätzliche Springsteen-esque Backing Vocals. Und weiter geht es punkig im Uptempo mit „Stay Lucky“, wo uns Fallon auf eine kleine nostaligische Reise mitnimmt. Thematisch ziehen sich Rückblenden und Gedanken an die verlorene Jugend durch das komplette Album, wie etwas zum Beispiel später auch in „Old Haunts“. Von den Rock-Songs ist „Orphans“ der catchieste, wohl auch wegen seiner eingangs beschriebenen Simplizität. Er erinnert auch am meisten an das Vorgängeralbum.
Das bluesige „Bring It On“ ist das erste Lied auf der Platte mit reduziertem Tempo. Die Eingangszeile „My Queen of the Bronx, blue eyes and spitfire“ hätte genauso gut von Springsteens „The Wild, The Innocent And The E Street Shuffle“ stammen können. Völlig neue Töne vernimmt man dann bei „The Diamond Church Street Choir“. Der Song beginnt mit Finger-Schnipsen und schlängelt sich auf souligen Pfoten durch die knapp 3 Minuten, wo sich der sonst wenig jaulende Fallon im Improvisationsgesang übt.
Wer es etwas ruhiger mag, kommt bei „The Queen Of Lower Chelsea“ auf seine Kosten. Sehr interessant instrumentalisiert erzählt Fallon von einer missratenen Jugend in New York inklusive Drogen-Erfahrung. In „We Did It When We Were Young“, dem letzen Song des Albums, findet die ganze Nostalgie-Thematik ihr sprichwörtliches Finale. Sehr sachte und ruhig startet das Lied mit einer vorher bei The Gaslight Antheme noch nie gehörten Stimmung. Zwei Gesänge gleichzeitig, einer hoch gesungen, der andere tief und bluesig à la Tom Waits. Dieses Stilelement zieht sich durch das ganze Lied durch, sogar durch den Refrain, der beim letzten Durchgang noch durch eine zusätzliche dritte Gesangsspur ergänzt wurde. Mit majestätischer und bedächtlicher Musikbegleitung wird konstatiert: „I am older now and we did it when we were young“.
Alles in allem ist „American Slang“ ein facettenreiches Album. Es ist erwachsener als die Vorgängeralben in jeder Hinsicht. Die Texte sind besonnener und rückblickend, die Instrumentalisierung ist vielfältiger und auch stilistisch hat man auch mal in die ein oder andere sonst fremde Kiste gegriffen.
Gehört von: Antonino Tumminelli