Freya Ridings im Interview: „Musik kann therapeutisch sein, aber sie ist keine Therapie“

Ein paar Fun Facts über Freya Ridings gefällig? Ihre 2018 erschienene Single „Lost Without You“ machte sie zur ersten Künstlerin, die seit Kate Bush (mit „Running Up That Hill“ im Jahr 1985) einen komplett selbst geschriebenen Song in den britischen Top 10 hatte. Nachdem sie sich jahrelang tapfer durch Londoner Open Mic Shows gekämpft hatte, gelang ihr 2019 der Durchbruch mit ihrem Debütalbum „Unconditional“. Und am 7. Mai wird sie neben unter anderem Katy Perry, Lionel Richie und Take That beim offiziellen Krönungskonzert von King Charles III vor 20.000 Gästen in Windsor Castle auftreten. 

Fast vier Jahre sind seit ihrem Debüt vergangen, wozu die Pandemie einen entscheidenden Teil beigetragen hat. Nach zwei Jahren unermüdlichem Touren konnte Freya Ridings die unerwartete freie Zeit nutzen um zur Ruhe zu kommen, an sich selbst zu arbeiten und mit mehr Freiheit denn je ein Album aufzunehmen, das den Punkt, an dem sie sich persönlich so wie künstlerisch befindet, perfekt einfängt. Nur einen Tag vor dem Release von „Blood Orange“ treffe ich Freya Ridings, extrem gut gelaunte und angebracht aufgeregt, im Zoom zum Gespräch. Sie zeigt mir stolz das Cover ihrer Vinyl LP und erweist sich als sehr liebenswert empathisch, als ich ihr gestehe, dass ich mich an diesem Tag ein bisschen „under the weather“ fühle. 

Nach dem Gespräch geht es mir direkt ein bisschen besser. Und wer ein kleines Stück von diesem positiven Freya Ridings Gefühl abhaben möchte, dem sei der Genuss von „Blood Orange“ wärmstens ans Herz gelegt. Und unser nun folgendes Gespräch, natürlich.

Danke, dass du dir so kurz vor deinem Album-Release noch die Zeit nimmst für dieses Gespräch.

Ich danke dir für deine Zeit! Ich bin so aufgeregt. Es ist total surreal. Ich habe so viel Herzblut in dieses Album gesteckt, ich kann kaum erwarten, dass die Leute es endlich hören können. 

Ich freue mich immer so sehr über jedes Album das beweist, wie emotional, ehrlich und tiefgründig Popmusik sein kann. 

Ich stimme dir zu. Man kann so viel Seele hinein stecken. Pop kann Spaß machen. Pop kann gleichzeitig aber auch authentisch und roh sein, ehrlich und wahrhaftig.

Mir liegt Popmusik wirklich sehr am Herzen. Ich bin mit den großen Popkünstlerinnen der Achtziger Jahre aufgewachsen, Madonna und Cyndi Lauper waren meine Heldinnen.

Absolut! Ich liebe die großen, weiblichen Ikonen des Pop. Für mich waren das schon immer Adele, Florence, Taylor Swift… das ist meine heilige Dreifaltigkeit. Beyoncé! Pop als meinen Job ansehen zu können, ist eine Ehre für mich. Früher in der Schule haben sich viele über Pop lustig gemacht. Wenn heute jemand zu mir sagt, meine Musik wäre zu „poppy“, dann sage ich nein, es ist wahnsinnig schwer, guten Pop zu machen, es ist große Kunst, und ich habe sie lange studiert. Mein Vater hat eine große Leidenschaft für Popmusik, für große Songs und große Balladen. Es ist so schwierig, eine universelle Geschichte in einem dreiminütigen Song zu erzählen. Ich habe schon immer zu den großen Songschreiber*innen unserer Zeit aufgesehen. Einen einzigen Hit in meinem Leben zu schreiben, war mein großes Ziel. Dass ich durch „Lost About You“ und „Castles“ die Chance bekommen habe, ein zweites Album zu machen, ist eine Ehre. 

Und dann auch noch in diesen schwierigen, unvorhersehbaren, herausfordernden Zeiten.

Oh ja. Preach! 

Erzähl mir, wie ist es dir ergangen? Zwischen deinem Debütalbum und jetzt „Blood Orange“ sind fast vier Jahre vergangen. Auf Papier liest sich das wie eine lange Zeit…

Sie ist nur so verflogen. 

Und zwei Jahre kann man doch eigentlich abziehen, oder?

Minus zwei, auf jeden Fall. So viel hat sich in der Zeit verändert. Vieles auch zum Besseren, für mich persönlich. Ich glaube, als Künstlerin ist es schwieriger geworden, authentisch zu bleiben. Viele setzen auf die sichere Karte, um einen Hit zu haben, so generisch er auch sein mag. Ich habe wirklich darum gekämpft, richtige Musik mit richtigen Menschen zu machen. Das war eine Herausforderung, aber ich habe auch großartige Songwriter*innen und Producer*innen gefunden, die mir die Chance gegeben haben, das zu machen. Das war großartig. Aber man weiß nie, wo es hinführt. Die Welt verändert sich ständig. Das Bewusstsein verändert sich ständig. An unterschiedlichen Punkten in unserem Leben wollen wir unterschiedliche Sachen von unseren Songs. Ich hoffe einfach, dass die Menschen die Energie, die ich versucht habe auszudrücken, in ihrem Leben haben wollen. 

Was würdest du sagen ist für dich das große Thema, das die Songs deines Albums umfasst? 

Ich wollte Songs schreiben, die von den Siebziger Jahren beeinflusst sind, weil all meine liebste Musik aus den Siebzigern stammt. Aber auch etwas, das gleichzeitig organisch und euphorisch ist, weil ich finde, dass diese beiden Aspekte nicht oft genug zusammen gebracht werden. Ich liebe einfach echte Instrumente, die von echten Menschen gespielt werden. Ich habe mir richtige Bläsersektionen vorgestellt, echte Menschen die zusammen singen, Händeklatschen… Für mich war das weit, weit außerhalb meiner Komfortzone. So ziemlich jeder aus der Industrie hat zu mir gesagt: Mach das nicht. Also dachte ich: Gut, dann muss ich das wohl machen (lacht). Das Gute war nämlich, es war Lockdown – niemand konnte mich stoppen! Das Meiste habe ich in London geschrieben. Produziert wurde vieles davon in einem winzigen Schuppen, den wir im Garten des Elternhauses meines jetzigen Ehemannes gebaut haben. Wir hatten einfach keinen anderen Ort, an dem wir aufnehmen konnten. Die Vocals, die wir dort um zwei Uhr morgens aufgenommen haben, sind genau so auf dem Album. Es ist für mich unglaublich, dass etwas so rohes und authentisches es auf das Album geschafft hat. Manche der Songs sind mehr Pop als andere, aber ich liebe genau diesen Mix. Die besten Welten treffen sich auf diesem Album. 

Ein bisschen 2023-moderne Carole King…

Danke, danke, danke! Danke für diesen Vergleich. Das ist genau das, was ich erreichen wollte. Ich liebe Carole King. Aber alle Songwriterinnen der Welt sind meine absoluten Heldinnen. Ich hatte sehr viel Druck, wie ich mein zweites Album angehen soll. Es hat mich fertig gemacht. Ich konnte so nicht mehr leben. Ironischerweise hatte ich durch die Pandemie überhaupt keine Hilfe und habe mich sehr allein gelassen gefühlt. Aber dadurch konnte ich das Album auch genau so machen, wie ich es wollte. Das war quasi Glück im Unglück, denn sonst wäre das Album nicht so geworden, wie es heute ist. Mal sehen, wie es sich entwickeln wird. Aber allein, dass ich es überhaupt machen konnte, macht mich schon sehr glücklich. 

Das ist tatsächlich der positivste Nebeneffekt der Pandemie, den ich je gehört habe. Du hattest mehr künstlerische Freiheit.

Absolut. Zuerst dachte ich, alles ist schrecklich. Dann ist mir erst bewusst geworden, was für eine großartige Gelegenheit das ist. Ich konnte mein zweites Album machen, ohne den typischen Druck eines zweiten Albums. Ich hatte einfach nur Spaß dabei. Ich habe ehrlich gesagt sehr viel gegen den Willen meines Labels gemacht. Und ich glaube aus vollem Herzen, dass es das Richtige war. Versteh mich nicht falsch, ich liebe die Leute von meinem Label. Aber sie ticken nunmal so wie sie ticken. Die Industrie gibt vor, dass Dinge so entstehen, wie man sie sich ausdenkt. Ich glaube, sie entstehen so wie man sie fühlt. Ich kann nur so arbeiten. Ich bin sehr stolz auf dieses Album und ich glaube nicht, dass es so geworden wäre wie es heute ist, wenn sie eine Meinung zu jedem einzelnen Schritt auf meinem Weg gehabt hätten. Und die Fans haben mir so sehr geholfen! Im Lockdown habe ich diese wöchentlichen Instagram Liveshows gemacht. Die Fans konnten mir dabei sagen, welche Songs sie mochten – ich hatte gerade angefangen an den Songs zu arbeiten, die am Ende zum Teil auf dem Album gelandet sind. Sie haben mir Feedback gegeben, das war unglaublich hilfreich. Im Prinzip haben die Fans, ich und mein Kreativteam dieses Album zusammen gemacht. Wir hatten keinerlei A&R Feedback, nichts. Ich habe meinen Fans sehr gerne zugehört und ihr Wissen sehr ernst genommen. Es war eine ganz besondere Verbindung. Wir hatten alle die gleiche dunkle, erschreckende Zeit. Sie waren für mich da und ich habe Nachrichten von ihnen bekommen, dass ich und meine Musik für sie da waren. Das war einfach wunderschön. 

Hat die Pandemie dein Songwriting auch inhaltlich beeinflusst? 

Ich habe mich extrem als Mensch weiterentwickelt. Die Zeit zwischen Anfang und Mitte zwanzig ist sowieso eine Zeit, in der man massiv wächst. Ich habe immer das Adrenalin, das durch ständig auf Tour sein und Promo machen entstanden ist genutzt, um mich voranzutreiben. Durch die Arbeit habe ich mir im Prinzip schon vor dem Lockdown selbst eine gewisse Isolation auferlegt. Ich habe in den letzten zweieinhalb Jahren intensiv Therapie gemacht. Dieses Album ist ein Ausdruck meines Durchbruchs. Musik kann therapeutisch sein, aber sie ist keine Therapie. Eine Zeitlang habe ich regelrecht phobisch darauf reagiert, im Studio zu sein. Ich konnte es einfach nicht, es war zu viel Druck. Also habe ich eine Therapie gemacht, um zu verstehen, was genau der Auslöser dafür ist. Ich hatte einen massiven Durchbruch und habe Menschen gefunden, mit denen ich tatsächlich gerne arbeite und im Studio bin. Es hat mir endlich keine Angst mehr gemacht. Das war so eine große Erleichterung. Ich wollte nicht, dass die Leute bei meiner Musik das Gefühl kriegen, dass ich keinen Spaß hatte sie zu machen. Es ist wie beim Kochen – du schmeckst, ob etwas mit Liebe gekocht wurde. Ich hatte wirklich Spaß dabei, diese Songs zu schreiben. Selbst die schmerzhafteren. Ich habe mein ganzes Herzblut hinein gesteckt. Ich habe sehr hart an diesem Album gearbeitet und an mir selbst und bin dabei als Mensch gewachsen. 

Du hast mir gerade eines meiner künftigen Lieblings-Zitate geliefert: „Musik kann therapeutisch sein, aber sie ist keine Therapie.“ 

(lacht) Ich sag’s dir, Gabi. Es ist so wahr! Es ist eine Sache der Balance. Am Ende des Tages sind es Popsongs, sie sollen die Leute nicht zerstören. Es ist ein befreiendes Gefühl zu schreiben und man versteht sich selbst dadurch besser. Aber die innere Arbeit, die wir eigentlich alle machen müssen, ist die, mit jemandem zu sprechen und tiefer zu gehen, als wir es selbst tun würden. Dafür gibt es Therapie, und ich sie hat mir so sehr geholfen, als Mensch zu wachsen. Die Idee, die hinter dem „Blood Orange“ steckt, ist die von großem persönlichem Wachstum. 

Dein Label sollte sich nicht zu viele Sorgen machen. Ich finde, es ist ein sehr persönliches Album geworden, aber auch ein sehr eingängiges.

Ohh, danke schön. Ich liebe eingängige Songs. Ich finde, es sind die besten. Ich liebe Künstler*innen, die authentisch sind und eingängige Songs schreiben. Wie Taylor Swift. Es ist möglich! Und ich liebe es.

Foto © Sophie Adams