Am 4. Mai ist Frank Turners neues Album „Be More Kind“ erschienen. Der britische Punk/Folksänger verrät uns im Interview, wie das Album politisch zu verstehen ist und was er an Amerika trotz Trump so schätzt.
„Be More Kind“ wandelt in meinen Augen zwischen deinem persönlichen Leben und der aktuellen Situation der Gemeinschaft. Sind die Texte mitunter auch politisch motiviert?
Ich bin noch hin und hergerissen, ob ich das Album politisch nennen soll. Es hat zwar politische Anklänge, aber es ist kein Rage Against The Machine-Album. Die letzten Platten drehten sich über die Dinge in meinem Kopf, diesmal habe ich versucht, mich mehr außerhalb zu orientieren und andere Menschen mit einzubeziehen. Das hat vor allem den Grund, dass mich, wie viele andere sicher auch, die derzeitige Weltlage beängstigt und verwirrt. Die Songs sind ein Versuch, darüber ins Gespräch zu kommen.
In welchem Ausmaß beeinflussen soziale Missstände und die Politik dahinter dein persönliches Leben? Schaffst du es manchmal, die Nachrichten auszublenden und dich voll und ganz auf dich selbst zu konzentrieren?
In einer guten Welt sollte man leben können, ohne Wert auf Politik zu legen. Damit meine ich, sein ganzes Leben jeden Morgen aufzustehen und den Tag zu gestalten wie man will. Sein Leben nach der eigenen Facette aufzuziehen. Das gab’s ziemlich selten im Laufe der Menschheitsgeschichte. Spätestens 2016 hat sich das Gefühl bei mir eingeschlichen, dass dies in unserer westlichen Welt nicht mehr wirklich möglich ist. Zurückblickend könnten wir die Zeit von 1989 bis 2016 als Urlaub von der Geschichte betrachten. „Be More Kind“ ist wohl auch ein Appell an diejenigen, die sich wie es mir scheint damit beeilen, ihren ganzen Ärger los zu werden und alles nieder zu machen: Ihr werdet das friedliche Leben vermissen, das wir hatten. Das alles beschreibt natürlich auch nur einen Fleck auf der Weltkarte. Ich habe das Gefühl, dass die Politik plötzlich wieder mit unserem Leben kollidiert. Die Geschichte ist zurück und wir müssen etwas dagegen tun. Das fühlt sich für mich neuartig an. Ich war immer politisch engagiert und habe zum Beispiel an einer Demonstration gegen den Irakkrieg teilgenommen. Dafür habe ich mich damals aber bewusst entschieden, wohingegen ich mich mittlerweile so fühle, als hätte ich keine andere Wahl.
Hast du beim Brexit-Referendum abgestimmt?
Ja, hab ich. Das war eine schwierige Angelegenheit für mich. Ich konnte einige Argumente auf beiden Seiten nachvollziehen, aber klar haben da auch unangenehme, rassistische Menschen mitgewirkt. Das Wahlergebnis ist wie es ist. Was mich als Demokraten wirklich runterzieht, ist dabei zuzusehen, wie kein Politiker in England etwas dagegen tut. Das ist ein Desaster, das macht mich ziemlich traurig.
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Ganz konkret erwähnst du Donald Trump auf dem Album…
Gestern hatte ich per Mail eine Diskussion mit jemandem, der behauptet hat, ich habe auf dem Album Trump mit Hitler gleichgestellt. Das denke ich aber nicht, sonst hätte ich einen Song mit dem Titel „Trump is Hitler“ geschrieben. Ich wollte mit „1933“ eher die Stimmung in Amerika einfangen. Ich bin zwar kein Experte, aber ich lese viel Geschichtsliteratur. Ich glaube, in den 30ern gab’s diese Bewegungen, die ihre Macht erlangt haben, weil sie nationale Erneuerung versprachen. Letztendlich haben sie das nicht im Geringsten umgesetzt und nationale Verwüstung herbeigeführt. Darum geht’s in „1933“ – man muss sich dessen bewusst sein, dass nur weil einer mit dieser frischen Idee um die Ecke kommt, immer noch eine Lüge oder falsche Tatsache dahinter stecken könnte. Der Song ist also mehr im übertragenen Sinne zu verstehen, nichts desto trotz kann ich Donald Trump nicht leiden.
Es gibt ja auch den Song „Make America Great Again“, in dem du das deutlicher machst.
Ja, der ist etwas direkter (lacht). Der wird mich in Schwierigkeiten bringen. Ich muss dazu sagen, dass viel Material zu dem Album auf der Amerikatour entstanden ist, die ich 2016 mit Flogging Molly bestritten habe. Das sind alte Freunde von mir und ich liebe die Band. Jedenfalls war das zur Zeit der Wahlkampagnen und ich habe die Pflicht empfunden, etwas auf der Bühne zu sagen. Damit war ich wirklich vorsichtig. Es war mir klar, dass ich kein Amerikaner bin und es einfach nicht gut aussieht, wenn ein Typ in dein Land kommt und dir sagt, was du zu tun und lassen hast. Ich habe mir dann so eine Rede ausgedacht, die im Verlauf der Tour immer weiter gewachsen ist und hinter der ich immer noch stehe. Darin habe ich zum Ausdruck gebracht, wie sehr ich Amerika und die Kultur des Landes liebe. Zudem habe ich erwähnt, dass ich Amerika schon ein ums andere Mal in Argumentationen mit anti-amerikanisch Positionierten verteidigt habe. Was mich an Donald Trump so ärgert ist, dass er für Amerikagegner den Stereotypen für die amerikanische Gesellschaft abbildet. In meinen Ansprachen auf der Bühne habe ich dann immer wieder gesagt, dass mein geliebtes Amerika so viel besser ist als dieser Typ. An den Küsten habe ich dafür noch Applaus bekommen, in der Mitte des Landes bin ich auf weniger Zuspruch gestoßen. Ich denke, vor allem diesen Song werden einige hassen, die in den Staaten leben und meine Musik hören. Dabei würde ich mir wünschen, dass man sich die Wörter genau anhört und überlegt, was ich mit dem Text überhaupt sagen will. Mit „Make America Great Again“ wende ich mich freundlich an die Amerikaner, um sie zu erinnern, was Trump und dieser ganze populistische Nativismus anrichtet. Man identifiziert Amerika damit und die vielen schönen Seiten des Landes treten in den Hintergrund.
Wie schätzt du denn überhaupt den Wirkungsgrad von Musik ein? Kann Musik Menschen umstimmen und Frieden verbreiten?
Da habe ich mir schon viele Gedanken drüber gemacht. Man sollte sich immer daran erinnern, dass Musiker zu sein nicht sehr wichtig ist. Ich find’s ziemlich peinlich, wenn man behauptet, man könnte die Welt mit einem 3 Minuten-Song retten. Um mal ein extremes Beispiel zu wählen: Bob Dylan hat auch nicht die Menschenrechtsbewegung ausgelöst. Musik ist eine Art Kommentar, eine sehr wichtige sogar. Es gibt auch meinem Leben einen Sinn, aber ich denke nicht, dass ich indem ich 45 Minuten Musik schreibe, die Welt verändere. Stephen Fry hat die Bedeutung von Kunst einmal gut auf den Punkt gebracht, indem er sagte, dass Kunst den Weg weisen kann. Er selbst ist schwul und hat einmal darüber gesprochen, wie sich Filme, Theaterstücke und Musik positiv auf die Rechte von Homosexuellen ausgewirkt haben. Als Beispiel kann man da Elton John nennen, der als Homosexueller in der Öffentlichkeit mitgeholfen hat, die Stigmatisierung von Schwulen und Lesben abzubauen.
Fühlst du dich nicht manchmal auch verpflichtet, als Person in der Öffentlichkeit, deinen Teil beizutragen?
Nicht wirklich. Ich versuche mir meine persönliche und intellektuelle Unabhängigkeit zu bewahren. Ich werde manchmal gefragt, ob Künstler ihre Plattform für dies und jenes nutzen sollten. Ich finde, Künstler sollten tun, was auch immer sie wollen. Ich sage auch niemandem, was er zu tun und lassen hat und der Gedanke, dass mir vorgeschrieben wird, wie ich meine Plattform zu füllen habe, erscheint mir lächerlich. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich mit dem Punk aufgewachsen bin und sich meine Karriere langsam entwickelt hat, anstatt auf einmal zu explodieren. Ich fühle mich persönlich gezwungen, diese Platte heraus zu bringen und über diese Themen zu sprechen. Das kommt ausschließlich von mir selbst.
Wie blickst du auf die bevorstehende Tour? Was wird sich im Vergleich zu den vergangenen Konzerten verändern?
Ich freue mich darauf, wieder auf Tour zu gehen. Auf dem neuen Album habe ich versucht, neue Sounds zu benutzen. Es kommen Loop Drums, Synthesizer und unterschiedliche Samples vor. Bei den alten Songs werden wir zwar an der Liveumsetzung nicht viel rütteln, ich weiß aber immer noch nicht, wie wir ein paar von der neuen Platte spielen werden. Bei „Make America Great Again“ haben wir beispielsweise an einer Stelle drei Drumkits aufeinander gelegt und ich habe keine Ahnung, wie wir das auf die Bühne bringen sollen. Um das heraus zu finden, haben wir aber zum Glück eine lange Probenzeit geplant. Unser Tourrythmus wird sich auch verändern. Drei Mitglieder meiner Tourfamilie haben jetzt Kinder und ich muss mich um meine Katze kümmern. Also haben wir uns entschlossen, alle vier Wochen einen zwei Wochen-Aufenthalt zu Hause einzulegen. Sicherlich gab es Episoden in meinem Leben, da wollte ich, was die Intensität der Tour betrifft, der Härteste von allen sein. Das habe ich hinter mir und es hat mich nur eindimensional gemacht, meinem Rücken geschadet und meiner mentalen Gesundheit nicht grade gut getan. Da war ich noch viel jünger. Jetzt bin ich zur Einsicht gekommen: I don’t need to kill myself for rock’n roll. Ich will einfach schöne Shows vor tollen Crowds spielen und dabei meine Ausgeglichenheit nicht verlieren.
Interview: Finn Hackenberg
Foto: Ben Morse