Vorsicht – um den musikalischen Wandel der Wombats vom letzten zum aktuellen zweiten Album auf den kürzesten Nenner zu bringen, braucht man einiges an Bindestrichen, dummen Alliterationen und Schlagwörtern aus der Genre-Schublade: vom postpubertären Power-Pub-Punk-Pop mit Studentenparty- und Stadion-Qualitäten In_die Synth-Post-Punk-Disco! Das neue Album „The Modern Glitch“ wartet nicht nur mit ungewohnt elektronischen Sounds auf, sondern auch mit weitaus düstereren Texten inklusive Vampirmetaphern und der titelgebenden Störung im System der modernen Welt.
Weezer (alte Helden und offensichtliche Vorbilder), Smashing Pumpkins (sahen die Wombats live während der Albumproduktion in L.A.) und Depeche Mode (3 Mann, 3 Synths) sind nach Aussage von Bassist Tord die exemplarischen Einflüsse, denen das musikalische Universum der Wombats neuerdings zugrundeliegt. Zum Interview und Fotoshooting trafen wir zwei der Fab Three aus Liverpool im Hamburger Docks, Gitarrist/Sänger Matthew “Murph“ stand für das Interview leider nicht zur Verfügung.
Ich möchte mit der Show im Hamburger „Molotow“ im letzten Jahr beginnen, ich hoffe, ihr erinnert euch?
DAN: Klar, im Oktober!
TORD: Das war eine super Show!
DAN: Ja, es endete damit, dass wir alle drei aus einer Flasche Rotwein trinkend crowdsurften! Ich springe sonst nie in die Menge, ich spiele schliesslich Schlagzeug! Es war Wahnsinn. Im Molotow zu spielen ist immer etwas besonderes.
TORD: Das war das erste Konzert, das wir jemals in Deutschland gespielt haben.
DAN: Es müsste so 2006 gewesen sein – lange her… Vielleicht wars auch 2007.
TORD: Das war, bevor wir einen Plattenvertrag hatten. Dort gehen auch nur so um die 100 Leute rein – und an dem Abend war es vollgepackt mit bestimmt 200 bis 300 Gästen. Bei so kleinen Gigs, die so voll gestopft sind, ist die Atmosphäre irre!
DAN: Sogar als wir dort auftraten, bevor wir einen Plattenvertrag hatten und niemand die Musik kannte, spielten die Leute im Molotow schon verrückt – sie schienen irgendwie bereit dafür, unsere Musik zu entdecken und dazu abzugehen.
Gibt es eine besondere Verbindung zu Hamburg und zu Deutschland?
DAN: Bestimmt, für uns ist das sicher eine besondere Connection. Der Promoter vom Molotow war einer der ersten – oder sogar der erste – der uns in Europa gebucht hat. Daher sind Hamburg und Deutschland generell wichtig für uns. Deutschland ist das beste Land für uns in Europa. Wir spielen hier in den grössten Clubs und haben hier die meisten Fans.
Es gibt große Änderungen in eurer Musik, das neue Album klingt deutlich anders als euer Erstling. War es geplant mehr Keyboards und elektronische Elemente einzubauen?
DAN: Das war ein natürlicher Prozess, der langsam aus kleinen Veränderungen entstanden ist. Wir alle drei haben bei der Produktion des Albums neue Synths und eine Menge neuer elektronischer Instrumente ausprobiert. Das war aufregend. Nach nun ungefähr sieben Jahren, die wir zusammen in der Besetzung Gitarre, Bass, Drums gespielt haben!
TORD: Zu der Zeit habe ich meine neue Bariton Gitarre bekommen – ich habe mich wie ein kleines Kind gefühlt, das ein neues Spielzeug bekommt! Hinzu kommt, dass wir alle nicht auf unseren Instrumente beschränkt sind – gut, ich spiel Bass, er spielt Drums, aber wir spielen alle auch Keyboard, Gitarre. Ich spiele Cello, du spielst Flöte… Ich denke, es hat sich ein bisschen aus Langeweile entwickelt, wir brauchten das, um uns selbst herauszufordern. Wir haben nun Mikrokorgs (Synthie/Vocoder im Retrolook) und Moogs (analoger Synthie aus den 70ern). Plötzlich enstanden die Ideen für neue Songs beim Herumspielen auf dem Keyboard anstatt auf der Gitarre – das hat unseren Schreibprozess interessanter gemacht, und so ist das irgendwie passiert. Es war keine geplante Entscheidung, nun eine Synthieband werden zu wollen oder so.
DAN: Wir haben uns also nicht hingesetzt, als wir mit dem neuen Album begannen und uns gesagt – ok, lasst uns alle Synths kaufen und den Sound ändern. Es war ein Prozess. Wir haben Depeche Mode und Kraftwerk gehört und bei einem der ersten neuen Songs gedacht, lasst uns sowas ähnliches probieren, das könnte cool werden. Das war erstmal bei nur einem Song der Fall. Daraus hat es sich dann entwickelt. Tord bekam dann seine Baritongitarre für „Dear Hamburg“ (eine B-Seite der Single „Anti-D“) und plötzlich war dieser neue Sound wie ein neuer Teil der Band.
TORD: Eine weitere Option!
DAN: Zum Beispiel auch bei „Techno Fan“. Wir wollten Synths und Gitarren und dachten irgendwann allerdings: mhm, wir sind aber nur zu dritt…
Ja, ich habe mich gefragt wie ihr das live umsetzt?
DAN: Tord spielt den Bass auf seiner Bariton Gitarre, das Ding ist wie zwei Instrumente in einem. Tord und Murph haben zusätzlich noch Synthesizer und auch ich habe einen Synth bei mir am Schlagzeug stehen und plötzlich haben wir so diesen massiven Sound nur zu dritt!
Hängt der Wandel zu synthlastigeren Musik auch mit den ernsteren Texten zusammen?
DAN: Ja, die Lyrics sind diesmal wirklich düsterer… Es gibt da beispielsweise diese Vampirmetaphern (in „Tokyo“ und der B-Seite „Dear Hamburg“). Als Murph „Dear Hamburg“ schrieb, hat er in Hamburg „Dracula“ gelesen und das hat ihn beeinflusst. Das ist natürlich eine sehr visuelle, dunkle Metapher – das Leben wird aus jemandem herausgesaugt… Ich glaube nicht, dass wir wegen dieser düsteren Lyrics mit dem Synthkram angefangen haben, das war eher eine musikalische Entscheidung.
TOR: Das letzte Album war eher uptempo – ich denke, diesmal passt die Musik besser zu den Texten und Themen.
Was war 1996 anders? Was ist „the modern glitch“ – die moderne Störung – so ist das Album ja benannt?
DAN: Der Song „1996“ handelt vom Erinnern, als Murph so 12 Jahre alt und alles einfacher war.
TORD: Eine Menge unserer Songs thematisieren so etwas wie Realitäts- oder Weltflucht, auch eine Flucht zurück in der Zeit.
DAN: Es ist der Versuch, zurück in eine Zeit zu gelangen, in der alles einfacher war und sich alles sicher und simpler anfühlte – wie auch im Song „Tokyo“ der Wunsch, zurück zu einem Ort und in eine Zeit zu finden, als man sich gut fühlte. Was die „moderne Störung“ – „the modern glitch“ nun ist… Ich denke, 1996 ist ein sehr persönlicher Song von Murph, es ist weniger ein sozialer Kommentar. Es ist wie beim Song „Anti-D“. Das Schöne ist ja, dass man die Texte auf verschiedene Weise verstehen kann. Zum Beispiel hat „Anti-D“ ja offensichtlich auch mit Murphs Medikamentenabhängigkeit zu tun, die ja heutzutage sehr sehr verbreitet ist…
TORD: …aber es wird darüber nicht genug geredet…
DAN: …das ist natürlich auch sehr hart, einen Song darüber zu schreiben. Aber es ist ein wichtiges Thema für junge Leute, darüber nachzudenken und zu reden, denke ich. Viele schämen sich dafür sicher und gleichzeitig ist es gut für die Leute zu sehen, dass Murph die Sucht überwunden hat und es geht ihm nun gut – man muss Antidepressiva nicht bis zum Ende seines Lebens nehmen und sich auf die Medikamente verlassen! So verschiedene Aspekte stecken also in einem Song.
TORD: Die „Störung“ bezieht sich also auch auf eine mentale oder psychische Störung.
Habt ihr heute schon Sonnenlicht gesehen, ihr hattet gestern einen Off-Day in Hamburg?
DAN: Ja, wir waren auf dem Dom (Hamburger Jahrmarkt), wir sind Achterbahn gefahren und haben den ganzen Kinderkram gemacht. Das war lustig, wir hatten eine Kinderausflugstag. Wir haben uns benommen wie 1996.
Wenn alle mentalen, sozialen Fixpunkte in der modernen Welt über uns zusammenstürzen, wie es sich in den Texten der Wombats diesmal wiederspiegelt, hilft also nur noch die Realitäts-Flucht nach vorn: der unbedingte Wille zur Party – zur Not funktionieren auch Techno (wie in der aktuellen Single „Techno Fan“ ), Erinnerungen an den ersten Kuss („1996“), Fluchten bis ans Ende der Welt („Tokyo“) – oder auch nur ein Ausflug auf den Hamburger Dom. Die Antidepressiva Medikamentensucht, auf die auf der dritten Single „Anti-D“ angespielt wird, hat Sänger und Gitarrist Murph auch schon hinter sich. „Let’s dance to Joy Division” vom herrlichen ersten Album bringt schon im Titel die musikalischen und thematischen Koordinaten weiterhin auf den Punkt – euphorische Party aus Trotz!
Interview: Rafael Mans
Fotos: Ute Mans