Finn Askew im Interview: „Am Ende des Tages mache ich mein eigenes Ding“

Mit seinen 19 Jahren könnte Finn Askew theoretisch mein Sohn sein – so weit ist es schon gekommen. Mit dem, was er in jungen Jahren bereits erreicht hat, hätte ich damals in seinem Alter aber nicht mithalten können. Vor kurzem hat er seine erste EP „Peach“ veröffentlicht, seit seiner frühen Jugend hat er sich im Internet eine stetig wachsende Fangemeinde aufgebaut. An einem Tag, an dem in Berlin ein Schneesturm tobt, sind wir über Zoom miteinander verbunden und Finn erzählt mir unter anderem, dass er besonders viele Fans in Asien hat, obwohl er noch nie dort war. Die Wunder der modernen Welt! Dafür, dass uns so viele Jahre trennen, unterhalten wir uns aber sehr entspannt und angeregt. Mich begeistert immer wieder, wie selbstbewusst, mutig und nicht zuletzt erfolgreich junge Menschen heutzutage ihr Leben in die Hand nehmen.

Hallo Finn, wo bist du im Moment?

Ich bin in meiner Heimatstadt Wellington in der Grafschaft Somerset. Ziemlich auf dem Land. Aber hier schneit es nicht. Es hat ein bisschen geschneit in UK, aber nicht hier. Ich hätte nichts gegen ein bisschen Schnee. 

Ich habe gelesen dass du aus Somerset kommst, aber ich war mir nicht sicher, ob du immer noch dort wohnst. 

Ja, meine Familie lebt hier. Ich bin noch nicht ausgezogen, lebe immer noch zuhause. Irgendwann werde ich nach London ziehen, aber mit dem ganzen Corona Ding hab ich’s nicht eilig. Ich will dort hinziehen wenn wieder etwas los ist, sonst sitze ich nur zuhause fest. Also bin ich im Moment bei meiner Familie, das ist ganz schön.

Es ist eine verrückte Situation, oder? Ich habe ganz viel Respekt für Künstler*innen, die in dieser Zeit ihre Karriere starten. Mir macht das richtig Hoffnung. Hat irgendjemand zu dir gesagt: „Mach das nicht! Lern etwas ordentliches!“?

Es gibt immer Leute die sagen: „Bist du dir sicher, dass du das machen willst?“ Aber wenn man etwas will, dann muss man es einfach machen. Also habe ich mir gedacht: „Fick dich, ist mir doch egal was du denkst.“ (lacht)

Wolltest du schon immer Musiker werden?

Ja, ich glaube schon, dass ich schon immer Musik machen wollte. Es ist irgendwie natürlich für mich. Ich habe nie danach gefragt, meine Mutter hat mich einfach für Musikunterricht und so Zeug angemeldet. Irgendwann dachte ich, das ist eigentlich ganz cool. Sie kannte mich quasi besser als ich mich selbst, sie war diejenige, die mich drauf gebracht hat. Aber bevor ich wusste wie mir geschieht war ich auf der Bühne, habe gesungen, Gitarre gespielt und Songs geschrieben. Also dachte ich wenn ich schon mal hier bin, dann kann ich auch einfach weiter machen.

Aber wie fühlt es sich an eine Karriere zu starten, ohne sich mal schnell die Gitarre unter den Arm zu klemmen und ein paar Shows spielen zu können?

Es ist schon ein bisschen gruselig. Du weißt nie, was dabei raus kommt. Ich meine, es ist auch nicht alles schlecht. Man muss die Möglichkeiten nutzen, die sich einem in dieser Situation bieten. Du kannst keine negative Einstellung haben und rum jammern, weil du keine Shows spielen kannst. Du musst dich fragen: was kann ich stattdessen machen? Man kann immer noch sehr viel machen. Außer dass ich nicht live spielen kann, ist es für mich ehrlich gesagt nicht so schlecht gelaufen bis jetzt. Ich kann mich wirklich nicht beschweren.

Ich denke auch immer wieder, dass es deiner Generation wahrscheinlich leichter fällt. Ihr seid sehr natürlich damit aufgewachsen, euch das Internet zunutze zu machen. 

Hundert Prozent. Wir sind die Generation, die sich mit Technologie und Social Media auskennt und weiß, wieviel Macht dahinter stecken kann. Social Media ist so einflussreich. Mein Label und meine Managerin haben mich auf Social Media entdeckt. Ich habe das Gefühl, heute wird man öfter im Internet entdeckt als durch eine Liveshow. Was das angeht, ist diese ganze Corona Geschichte gar nicht so schlimm. Wenn du ein Video hast, das viral geht, dann reicht das. Jeder auf der Welt kann es sehen. Bei einer Liveshow musst du genau in dem Moment an genau dem Ort sein. Online gibt es viel mehr Möglichkeiten. Du kannst eine Karriere komplett darauf aufbauen, um ehrlich zu sein. 

Erzähl mir wie du angefangen hast. Wie und wann hast du deine ersten Songs veröffentlicht?

Ich war in meinem Zimmer, ich zwar zwölf oder dreizehn, habe das iPad in die Ecke gestellt und mich aufgenommen, wie ich Gitarre spiele. Ich habe es auf Facebook hochgeladen, nur damit meine Freunde es sehen können. Die fanden es alle cool, also habe ich ein paar Aufnahmen mehr gemacht. In der Zwischenzeit habe ich mein Instagram aufgebaut. Als meine Managerin mich gefunden hat, war ich 16 und hatte um die 8.000 Follower. Das war schon was. Ich habe es nach und nach aufgebaut, in dem ich immer wieder Videos und so Zeug veröffentlicht habe. 

Und jetzt hast du deine erste EP veröffentlicht! Ich mag, wie vielfältig dein Stil ist. Ich weiß dass es auch Leute gibt die das verwirrt, wenn man jemanden nicht so einfach in eine Schublade stecken kann.

Genau das wollte ich erreichen. Ich mag einfach jedes Genre. Ich möchte niemals in einer Schublade sein. Mir wäre so langweilig, wenn ich die ganze Zeit nur Pop machen würde. Wenn mir danach ist, möchte ich einfach einen ordentlichen Rocksong machen. Das wollte ich mit dieser EP klarstellen. Jeder Song ist anders und so wird das auch in Zukunft bleiben. Wenn du hörst dass Finn Askew einen Song raus bringt, dann möchte ich dass du dich fragst: was wird es sein? Indie? R’n’B? Es macht so viel mehr Spaß! Es ist die ultimative Freiheit. Freiheit ist das, was ich am meisten genieße.

Ich frage mich, ob das auch ein Generationsding ist? Meine Tochter zum Beispiel hört am meisten Playlisten, sehr selten ganze Alben. 

Hundert Prozent. Ich glaube, das ist ein großes Ding für unsere Generation. Release Radar, Music Friday, all diese verschiedenen Songs. Ich höre überhaupt keine Alben. Ich höre mir einen Song von einer/einem Künstler*in an, springe dann zu jemand anderem und höre mir einen komplett anderen Song an. Meine Generation hört sich alles an. Ich glaube, es ist uns einfach egal. Früher, wenn du ein Rock Typ warst, dann hast du voll nach dieser Kultur gelebt. Wenn du ein Indie Kid warst, hast du nach dieser Kultur gelebt. Heute fragen wir uns: „was bedeutet das alles überhaupt?“ Wir hören uns einfach alles an und kreieren selbst etwas Neues. 

Ich finde es ein zweischneidiges Schwert. Einerseits finde ich es schade, dass man als junger Mensch nicht mehr so leicht einer Bewegung angehört. Gleichzeitig ist die Frage, was sind Genre überhaupt? Ist das nicht eher ein soziales Konstrukt?

Ich glaube, dass Genre nicht mehr wirklich existieren. Es ist ein komisches, kleines Konstrukt (lacht).

Um noch einmal auf das Konzept Album zurückzukommen – arbeitest du im Moment an einem?

Nein, ich arbeite an der nächsten EP. Mit meinem Album möchte ich mir Zeit lassen. Man macht nur einmal im Leben ein Debütalbum, weißt du? Das ist eine große Sache. Ich möchte bis dahin eine richtige Fanbase haben. So ein Album ist ein Kunstwerk. Ich möchte nicht, dass es untergeht. Also warte ich ein bisschen. Ich werde bestimmt schon 21 sein.

Spielt es für dich also so gar keine Rolle, dass deine Songs eine zusammenhängende Geschichte erzählen?

Ich denke nicht wirklich über so etwas nach. Das Jahr bevor ich die EP rausgebracht habe, habe ich einen Song pro Tag geschrieben. Ich hatte also über hundert Songs, aus denen ich auswählen konnte. Es gab bestimmte Songs, die rausgestochen sind und miteinander Sinn gemacht haben. Auf diese Weise hat sich eine Geschichte geformt. Sie war also nicht zuerst da, eines hat nach und nach zum anderen geführt. Das kann man zum Beispiel ganz wunderbar von jemandem wie Frank Ocean lernen. Er ist so vielseitig. Er hat mir beigebracht, dass ein Song nicht immer Sinn machen muss. Der Text muss keine Geschichte erzählen. Wenn du dir seine Texte anschaust denkst du oft: das ergibt doch gar keinen Sinn! Aber er selber könnte dir jeden seiner Texte genau erklären und die ganze ausführliche Geschichte dazu. Und jeder versteht ihn auf unterschiedliche Art und Weise und sieht einen eigenen Sinn darin. Nicht jeder muss es verstehen. Aber es gibt immer jemanden auf der Welt, der es tut. 

Wie fängst du an Songs zu schreiben? Was ist dein Ausgangspunkt?

Das ist immer unterschiedlich. Beim Song „Peach“ zum Beispiel, da hatte ich ein Jahr lang das Wort „peach“ im Kopf und habe nur auf den richtigen Moment gewartet, einen Song zu schreiben der so heißt. Eines Tages war ich auf dem Weg vom Studio nach Hause und habe meinem Sound Guy geschrieben: „Morgen schreiben wir einen Song, der wird ‚Peach‘ heißen.“ Und er nur so: „Was?“ Und ich: „Ich sag’s dir, morgen schreiben wir einen Song, der wird ‚Peach‘ heißen. Das wird sick.“ (lacht) Am nächsten Tag saß ich in der Bahn auf dem Weg ins Studio, ich hatte noch nicht mal meine Gitarre zur Hand, aber ich habe den Text zu „Peach“ geschrieben. Quasi wie ein Gedicht. Als ich im Studio ankam, war der Song fertig. Wir haben nur noch den Beat und alles andere drum herum geschrieben. Das war seltsam. Sowas passiert nicht so oft.

Wer sind die Menschen, auf deren Meinung du am meisten gibst, wenn es um Deine Kunst geht?

Wahrscheinlich meine Managerin. Wenn überhaupt. Ich höre nicht auf viele Leute. Überhaupt nicht. Es ist schließlich meine Kunst, nicht ihre, oder? Wenn es mir gefällt, dann ist mir alles andere egal. Ich meine, meine Managerin ist offensichtlich meine Managerin, sie gibt mir gute Ratschläge. Aber am Ende des Tages mache ich mein eigenes Ding. Ich erinnere mich noch daran, wie mein A&R Typ über meinen Song „Same Old Love“ gesagt hat: „Der schafft es niemals in den Music Friday. Du solltest ihn nicht auf die EP nehmen.“ Dann habe ich ihn veröffentlicht und er hat es in 18 Ländern in den Music Friday geschafft. Keiner meiner Songs war bis dahin so gut gelaufen. Ich habe ihn nur angeschaut und er meinte: „Verdammte Scheiße, das gibt’s doch gar nicht.“ (lacht) Siehst du? Du musst auf deinen Bauch hören. Wenn du dir selber nicht vertrauen kannst, bist du erledigt.