Geschenke, Essen, ein paar freie Tage. Weihnachten steht vor der Tür. Für Verpflegung ist gesorgt. Wer jedoch noch nach dem letzten Geschenk oder einem guten Film für die dunklen Abende sucht, ist hier richtig.
Im vergangenen Jahr wählte das “Time Magazin“ zwei Deutsche unter die hundert einflussreichsten Persönlichkeiten des Planeten. Angela Merkel und Werner Herzog. Die Kanzlerin und einen Regisseur. Kein deutscher Regisseur genießt eine derartige Achtung und ein vergleichbares Ansehen im Ausland – nur nicht hier zu Lande. Bei uns scheint er in Vergessenheit geraten zu sein. Zeit ihn wiederzuentdecken!
Der Herzog’sche Kosmos ist extrem, exzentrisch, einzigartig. Und vor allem sehenswert. Darum ein Einblick in drei seiner Filme, “Bad Lieutenant“, “Stroszek“ und “Fitzcerraldo“. Der Neue, der Unbekannte und der Klassiker. Sie alle haben den Kampf des gefallenen Helden in einer für ihn unbegreiflichen Welt gemein. Herzogs Faible gilt aber besonders der Natur und den, wie er es nennt, unbedingten Bildern, die sie erschafft.
In “Bad Lieutenant“ ist es die Zerstörungskraft der Natur. Angesiedelt in einem in den Fluten versunkenen New Orleans in den Wochen nach Hurricane Katrina. Der atmosphärisch dichte Film folgt den Spuren des Bad Lieutenant durch die Trümmer seiner verwüsteten Stadt. Nicolas Cage, der den “Cop ohne Gewissen“ tragikomisch (sicherlich eine seiner besten schauspielerischen Leistungen) gibt, bewahrt zu Beginn des Films einen Sträfling vor dem Ertrinken. Er verletzt sich bei dieser Tat jedoch schwer und muss fortan starke Schmerzmittel einnehmen. Diese sind es auch, die ihn in Drogensucht und Korruption treiben. Herzogs Film aus dem Jahre 2009 erhält kein gerechtes Ende à la Hollywood. Seinem bösen Lieutenant, der sonderbar sympathisch daherkommt, gelingt die Grad-Wende. Clean und verheiratet mit der vormaligen Edel-Hure Frankie (Eva Mendes) wird er zum Captain befördert. So wird das Kapitel des „Bad Lieutenant“ abgeschlossen und ein neues beginnt, das des “Good Captain“.
Die Kunst des Oberbayern besteht darin, dass er alltägliche Fragen nicht beantwortetet, sondern in einem neuemn ungeheuerlichen Licht präsentiert. In Herzogs Werken ist der Übergang zwischen dokumentarischem und spielfilmischem fließend. Er ist immer auf der Suche nach den extremen Auswüchsen der Gesellschaft. Seine Filme sind ein Kuriosenkabinett. So auch “Stroszek“. In fünf Tagen schrieb der Autodidakt das auf Bruno S. zugeschnittene Drehbuch, mit dem er 1974 seinen ersten Film gedreht hatte. Von der ersten Zusammenarbeit und der schauspielerischen Leistung begeistert, versprach er dem “unbekannten Soldaten des deutschen Films“ (Herzog) weitere gemeinsame Projekte. Etliche Begebenheiten sowie Schauplätze sind aus dem Leben des Bruno S., der bis zu seinem 26. Lebensjahre in diversen psychiatrischen Einrichtungen lebte, entnommen. Es ist ein verstörender, zeitloser und authentischer Film. Eine Parabel auf das Drängen nach Freiheit und Selbstbestimmung, gefilmt in einem spröden und dokumentarisch anmutenden Stil.
“Wir brauchen unbedingt Bilder, die mit […] unserm Innern übereinzustimmen und da muss man auch notfalls mitten in den Krieg hineingehen“. Dieses Zitat verdeutlicht, Herzog ist getrieben – getrieben von der Suche nach dem perfekten Bild. Was Herzog mit der Kamera macht ist Malerei, in seinen Filmen bildet er die Wirklichkeit nicht ab, sondern interpretiert sie neu. So haftet seinen Filmen etwas Kolossales und Gigantisches an. Anlass für Ablehnung in Deutschland. Grund für den Rest der Welt ihn zu feiern. Für “Fitzcerraldo“ ließ er hunderte Indios ein 360 Tonnen schweres Schiff über einen Berg ziehen. Es ist der bekannteste Herzog’sche Film. Für ihn schlug er seine größte Schlacht. Drei Jahre dauerten die Dreharbeiten im brasilianischen Dschungel, 600 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Erst beim dritten Anlauf gelang das Mammutprojekt. So mussten beispielsweise 40 Prozent des bereits abgedrehten Films mit Mick Jagger wieder eingestampft werden, da dieser auf Grund von Tournee-Verpflichtungen kapitulieren musste.
Heil bringen sollte sein “liebster Feind“: Klaus Kinski. Das Verhältnis der beiden ist einzigartig, geprägt von Kinskis legendären, Stunden anhaltenden Wutausbrüchen und seinem ungeheuren Narzissmus. Trotzdem ging von dem Verhältnis der beiden Ausnahmekünstler eine kreative und künstlerische Kraft aus, die sich auf ihre gemeinsamen Filme übertrug. Höhepunkt dieser Zusammenarbeit markiert “Fitzcerraldo“. Kinski stellt den besessenen Brian Sweeney Fitzgerald, kurz Fitzcerraldo genannt, dar, der zugleich kühner Visionär mit sensiblen und schwärmerischen Zügen ist. Fitzcerraldo hat eine Mission: den Bau einer Oper mitten im Dschungel. Dafür geht er jeden Weg. Höhepunkt dieses Wahnsinns: die Szene, in den Hunderte von Indianern ein Dampfschiff über einen Berg wuchten.
Herzogs Helden sind aus der Welt gefallen. Bei ihm scheint der Wahnsinn Methode zu haben. Doch so lieferte er einige der faszinierendsten Filme der deutschen Filmgeschichte.
Empfohlen von: Sebastian Schelly