Filmkritik: „The Royal Hotel“ von Kitty Green

Dass der Horror in der Einöde lauert, ist kein wirklich neues Motiv. Schon viele harmlose Tourist*innen mussten im Film durch die Hand barbarischer Hinterwäldler ihr Leben lassen. Da „The Royal Hotel“ das neue Werk der australischen Regisseurin Kitty Green ist, wird einem hier subtiler, aber auch nicht weniger effektvoll, das Gruseln gelernt, wenn sie zwei Work and Travel Backpackerinnen ins tiefste australische Outback schickt, wo sie verstörende Erfahrungen mit der (größtenteils männlichen) Landbevölkerung machen müssen. 

Kitty Green kommt als Regisseurin vom Dokumentarfilm, ein bei ihr stets wiederkehrendes Motiv ist das Untersuchen von Machtdynamiken zwischen Mann und Frau. So beleuchtet sie in ihrem Debütfilm „Ukraine is not a Brothel“, wie die ukrainische feministische Bewegung FEMEN im Hintergrund von männlicher Hand gesteuert wurde. Ihr erster Spielfilm „The Assistant“ (in dem wie in „The Royal Hotel“ Julia Garner in der Hauptrolle zu sehen ist) handelt von einer Juniorassistentin in einer New Yorker Filmproduktionsfirma, die an ihrem Arbeitsplatz Hinweise auf sexuelle Ausbeutung und Missbrauch findet und vergeblich versucht, diese zu melden. Greens neuestem Spielfilm „The Royal Hotel“ liegt wiederum eine wahre Geschichte zugrunde, die dem 2016 erschienenen Dokumentarfilm „Hotel Coolgardie“ von Pete Gleeson entnommen ist. Dieser folgt zwei finnischen Backpackerinnen in die australische Kleinstadt Coolgardie, wo sie im örtlichen Pub als Kellnerinnen arbeiten und über selbigem eine Unterkunft gestellt bekommen. Die alle drei Monate wechselnde Belegschaft wird den Einheimischen unverblümt als „Frischfleisch“ angekündigt, eine für die größtenteils männlichen Kundschaft willkommene Abwechslung vom tristen Alltag in der gerade einmal 850 Einwohner*innen zählenden Kleinstadt. Eine Szene aus „The Royal Hotel“ ist nahezu eins zu eins aus der Dokumentation nachgestellt: Als die beiden Backpackerinnen das Jobangebot über eine Arbeitsagentur vorgestellt bekommen, weist die Vermittlerin sie darauf hin, dass sie in der Lage sein müssen, mit „männlicher Aufmerksamkeit“ zurechtzukommen. 

Das wiederum stellt sich als eine sehr milde Umschreibung der Unmenge an Sexismus, Rassismus und Herabwürdigung heraus, der die beiden jungen Frauen im Hotel Coolgardie ausgesetzt sind. Sie werden mit schwer zu begreifender Selbstverständlichkeit objektifiziert, beleidigt und unverhohlen sexuell belästigt, ohne dass es Schutz für die Frauen oder irgendeine Form von Unrechtsbewusstsein bei den Männern gibt. Warum sie ihr Verhalten für angebracht und selbstverständlich halten, ist schwer bis gar nicht zu begreifen und noch weniger zu ertragen. Die Dokumentation zeichnet das gnadenlose Bild einer von der Zivilisation abgehängten Bevölkerungsschicht, die aufgrund mangelnder sozialer und kultureller Bildung zu glauben scheint, Frauen hätten eine derartige Behandlung verdient oder würden sie sich sogar wünschen. 

In Kitty Greens Spielfilm sind es die beiden Urlauberinnen Hanna (Julia Garner) und Liv (Jessica Henwick), die sich gezwungen sehen einen Job als Bardamen im tiefsten australischen Outback anzunehmen, als ihnen nach zu viel wildem Partyleben unterwegs das Geld ausgeht. Während Hanna die Vorstellung in der Einöde festzusitzen eher beängstigt, wittert Liv ein Abenteuer, sie interessiert letztlich nur, ob es dort Kängurus gibt. Und selbst als das Royal Hotel sich als wahre Absteige, der Pool hinterm Haus als trocken gelegt und der Betreiber des Etablissements als alkoholkranker Widerling entpuppt, ist Liv noch lange gewillt, das Positive zu sehen – Sonnenschein und billiger Alkohol, was will man mehr? 

Aber die Warnzeichen häufen sich. Von der Kundschaft des Royal Hotels werden sie begafft wie Zootiere. Ihre Vorgängerinnen, zwei englische Urlauberinnen, wirken so zerstört, als hätten sie monatelangen Party-Exzess hinter sich. Gleichzeitig ist die Situation schwer einzuschätzen – war das jetzt eine harmlose Bemerkung eines etwas unbeholfenen Dorfbewohners? Nicht so gemeint? Oder doch schon eine Form von Belästigung? Liv ist dafür, das Beste aus der Situation zu machen. Zumindest der junge Minenarbeiter Matty (Toby Wallace, „Milla meets Moses“) sieht gar nicht mal so schlecht aus, weiß sich einigermaßen zu benehmen, und als er die beiden mit auf einen Tagesausflug an eine Badestelle nimmt, scheint die Welt doch ganz in Ordnung. Doch auch er will schon kurz darauf Hanna nicht ernst nehmen, als sie seine Avancen mit einem deutlichen „Nein“ abwehrt. 

Die augenscheinliche Ahnungslosigkeit der Männer wird immer wieder zu einem Schlüsselmoment, der kleine, aber entscheidende Keile zwischen die beiden Frauen treibt. So tut es Liv doch glatt ein bisschen leid für Matty, dass Hanna ihn aus der Wohnung jagt und er die Nacht in seinem Auto verbringen muss. Und die Art, wie der schüchterne Minenarbeiter Teeth (James Frecheville) Liv den Hof macht, ist schon fast ein bisschen niedlich. Zumindest, bis er endlich seinen Mut zusammennimmt, Liv um ein Date fragt und diese höflich ablehnt. Und dann ist da auch noch Dolly (Daniel Henshall) – der Mann macht erst gar kein Hehl daraus, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen isst, wenn man seinem Willen nicht nachkommt. 

Die bedrohliche Stimmung in „The Royal Hotel“ spitzt sich nach und nach gnadenlos zu. Dabei sind es besonders die Situationen, die nicht sofort als eindeutig bedrohlich einzuschätzen sind, die die Lage der beiden Frauen so schwer erträglich macht. Sie zeigen deutlich, dass Frauen in solchen Momenten oft Angst haben über zu reagieren, als hysterisch und/oder unfähig abgestempelt zu werden oder sich selbst sogar für paranoid halten. Hanna und Liv verfallen dabei nicht in typische Opferrollen, sie wissen sich durchaus zu wehren, ihren Raum und ihre Sicht der Dinge zu beanspruchen. Und dennoch erfordert es nahezu unmenschliche Kraft, sich in der Welt des Royal Hotel zu behaupten. 

Das führt „The Royal Hotel“ schließlich einem weit fulminanteren Finale entgegen als das dokumentarische Vorbild. Das ist auch gut so, die Dramaturgie des Films verträgt das und hinterlässt einem nach all dem Grausen mit einem leichten Gefühl der Befreiung. Das Ende von „Hotel Coolgardie“ bietet dieses hingegen nicht – was die beiden realen Vorbilder aus ihrer Zeit in Australien mitnehmen mussten, ist entsetzlich bitter. Beide Filme zeigen auf gleichermaßen eindrücklich, dass man als Frau so manches „hab dich doch nicht so“ auch heute noch teuer bezahlen muss. 

„The Royal Hotel“ ist am 11. Januar in den deutschen Kinos gestartet. „Hotel Coolgardie“ gibt es aktuell auf Amazon Prime zu sehen.

Foto © Universal Pictures