Die Teenager vom Mars sind gelandet! An diesem kalten, dunklen Nachmittag wirken Björn und Martin alias Björn Beton und Dokter Renz von der Band Fettes Brot, noch ganz gemütlich entspannt, während draußen in der Kälte am Eingang unter Decken zusammen gekauert schon die ersten Fans warten. König Boris lässt sich wegen einer Erkältung entschuldigen, und so plaudern wir zu dritt im der Mitarbeiter Lounge des Berliner Tempodroms, der vom benachbarten Liquidrom herüber wehende Chlorgeruch und das Dämmerlicht sorgen für zusätzliche Entspannung. Ein Gespräch über das lebendig halten des inneren Teenagers, Vocoder als popkulturelles Reibungsthema und die Ereignisse aus Paris.
Jetzt sitzen wir hier zusammen, es geht auf Weihnachten zu, ihr seid auf Tour. Ursprünglich war das alles mal ganz anders geplant, oder?
Björn: Genau. Eigentlich wollten wir mit dem „3 is ne Party“ Album noch auf einen zweiten Tourblock gehen. Zwischenzeitlich hatten wir aber schon die Idee gehabt, wieder Musik zu machen, weil wir Lust dazu hatten. Ursprünglich wollten wir eine 6 Track EP machen, die hatten wir im Dezember auch schon fertig. Und irgendwann in der Vorweihnachtszeit letztes Jahr haben wir gemerkt, dass das wahrscheinlich totaler Quatsch ist. Wenn wir schon die halbe Platte fertig haben, dann können wir auch ein ganzes Album machen. Dann überschlugen sich die Ereignisse und wir haben das allererste Mal mit der Band eine Tour verschoben. Das holen wir jetzt nach mit der neuen Platte. Wir haben jetzt einen ganzen Haufen Konzerte gespielt, die Tour neigt sich langsam dem Ende entgegen, wir nähern uns dem großen Finale in Hamburg.
War das eine ganz neue Erfahrung, dass ihr in ein neues Album quasi mehr zufällig rein gerutscht seid?
Björ: Ja.
Martin: Wir haben es natürlich schon drauf angelegt ein neues Album zu machen. Zwischen drin haben wir das Konzept der EP gut gefunden, aber dann nochmal drüber nachgedacht und überlegt ob das Quatsch ist für eine Band unserer Größenordnung, so was raus zu bringen. Ich glaube bei einer EP kannst du noch weniger den künstlerischen Zusammenhang vermitteln. Das ist dann wirklich nur noch eine Songsammlung von fünf Sachen, die man mal so raus haut. Wenn man wie bei uns daran gewöhnt ist, dass immer wieder eine neue Platte raus kommt, dann ist so ’ne EP mehr Quatsch für zwischendurch. Dann haben wir gedacht, wenn wir jetzt schon so weit vorgedrungen sind und die Platte schon halb fertig haben, dann machen wir einfach weiter und ein richtiges Album draus.
Das heißt, ihr hattet ursprünglich sechs Songs. Sind die jetzt auch alle auf dem Album drauf?
Martin: Ja, ich glaube. Obwohl, nein. Zwei haben es am Ende doch nicht aufs Album geschafft.
Björn: Das gibt es ja bei jedem Album, ein paar Lieder, die im Lauf des Prozesses entstehen, manche nur als Skizzen, manche richtig fertig. Das ist normal.
Finde ich aber interessant. Dafür, dass ihr ursprünglich eine ganz andere Veröffentlichungsform vor hattet, ist es am Ende eine ganz runde Geschichte geworden. Eigentlich hat man sogar mehr als bei früheren Alben das Gefühl, dass ein starkes Konzept zugrunde liegt.
Martin: Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, dass man das denken könnte. Finde ich gut. Vielleicht ist das so, weil der gemeinsame Rahmen „Teenager vom Mars“ so gut hin haut. Aber ehrlicherweise ist das erst im Lauf der Aufnahmen entstanden. Wir haben nicht vorher gesagt: wir machen jetzt ’ne Platte aus der Sicht der kürzlich dazu gezogenen. Irgendwann war der Titel da und damit auch der gemeinsame Ansatz. Trotzdem fühlt es sich wirklich sehr wie aus einem Guss an. Tatsächlich haben wir aber noch nie so sehr drauf geschissen ob alles zusammenpasst oder nicht. Wir haben uns ganz absichtlich von irgendwelchen Konzepten gelöst. Umso erstaunlicher ist es, dass man das so wahrnimmt, dass alles so gut zusammen passt. Vielleicht lag es an dem Zeitdruck unter dem wir standen. Weil, ab dem Moment als die Tour geplant war war natürlich klar, die Platte muss spätestens zwei Monate vorher raus kommen. Da gab es kein Entkommen mehr. Normalerweise hat man nach hinten hin noch Luft, aber diesmal wussten wir, das muss fertig werden.
Wo liegt denn in der ganzen „Teenager vom Mars“ Thematik für euch der Fokus stärker drauf – auf dem Dasein eines Teenagers oder auf dem anderen Blick, den man auf Dinge hat, wenn man von ganz weit her kommt und zum ersten Mal mit ihnen konfrontiert wird?
Martin: In dem Song geht es uns mehr um den Blick von außen auf die Erde. Wir haben uns gefragt, wie es jemandem ergehen würde, der hier neu ist. Was würde dem an den Menschen auffallen? Wie kann man während Krieg ist gleichzeitig feiern? Wie kann man wissentlich seine Zähne, den Wald und die Ozonschicht kaputt machen? Das war der ursprüngliche Gedanken. Was würde Außerirdischen an den Menschen so als erstes auffallen? Die würden sich bestimmt wundern. Es gibt Bands, die würden da vielleicht einen Song draus machen, der heißt „Hurra die Welt geht unter“. Bei uns drückt sich das eher in einem Wundern über die Menschheit aus, wie die so drauf ist. Uns ist gemeinsam aufgefallen, dass es da um sehr viele ernste Themen geht, es aber trotzdem Grund gibt, gut drauf zu sein. Das mit den Teenagern spielt dann mehr so mit rein, dass man sich ab und zu wundert: wer hat denn bitte diese ganzen Regeln aufgestellt? Da haben wir natürlich große Sympathien für, wenn man als junger Mensch diese aufgestellten Regeln einfach mal umwirft oder in Frage stellt.
Martin: Wenn man sich selber als Teenager bezeichnet, räumt man sich gleichzeitig das Recht ein, sich daneben zu benehmen. Das fanden wir einfach gut.
Darwin Deez hat einmal zu mir gesagt: „Pop music will always be the voice of a teenager“.
Martin: Da hast du’s!
Würdet ihr das so unterschreiben?
Björn: Total. Beziehungsweise, ich kann das verstehen und glaube das auch. Ich weiß nur nicht ob man deshalb zwangsläufig selber immer Teenager sein muss. Aber es ist die Stimme die da spricht und es ist die Aufgabe eines Künstlers, diese Stimme zu bauen. Das ist glaube ich die größte künstlerische Kraft, die Stimme eines Teenagers zu sein. Was nicht heißen muss, dass das nicht auch Kinder oder vermeintlich erwachsene Menschen genauso empfinden können.
Martin: Das ist ja das Tolle am älter werden. Jeden Teil seiner Entwicklung hat man noch in sich. Manche Leute konzentrieren sich ab dem Moment wenn sie, sagen wir mal, über 30 sind, nur noch auf die Person die sie vorher noch nie waren, das Neue. Ich finde aber, es ist total legitim, auch die anderen Entwicklungsstufen immer wieder raus zu lassen. Das innere Kind zu feiern, der rebellische Teenager, der man mal war. Das ist die totale Freiheit, man gewinnt immer mehr Komponenten dazu, die in die eigene Persönlichkeit hinein spielen. Ich wüsste nicht, wer mir vorschreiben sollte, mich auf den Teil der als Neuestes dazu gekommen ist zu konzentrieren.
Björn: Mich unterscheiden wahrscheinlich eine ganze Menge Dinge von Bryan Adams, aber eine davon ist besonders, dass ich nie denken werde: „Those were the best days of my life“. Das liegt mir irgendwie fern, dann hätte ich damit abgeschlossen und würde denken es geht nur noch bergab. Eigentlich lebe ich jetzt so, dass ich denke das kommt noch, das kann ich erst am Ende sagen, was jetzt das schönste Jahr oder der schönste Moment war.
Muss man sich heutzutage eigentlich viel dafür rechtfertigen, welche musikalischen Stilmittel man einsetzt? Die Diskussion, ob das jetzt noch Hip Hop ist, ist bei euch ja quasi so alt wie die Band selber. In ein paar Kritiken zum Album habe ich zum Beispiel darüber gelesen, ob man euren Einsatz von Vocoder jetzt gut heißt oder nicht.
Björn: Ich habe eigentlich nicht das Gefühl, dass wir uns da rechtfertigen müssen.
Martin: Die Gespräche, die wir zu dem Album geführt haben waren stets geprägt von gutem gegenseitigen Verständnis. Wenn ich aber Texte lese, bei denen der Schreiber nicht mit uns gesprochen hat, habe ich durchaus ab und zu gedacht, welche Platte der Mensch da jetzt gehört hat. Der Vocoder ist natürlich so ’ne Sollbruchstelle. Bob Dylan hat irgendwann Ende der Sechziger angefangen seine Gitarre zu verzerren und hat damit alle vor den Kopf gestoßen, die ihn gerne als Folksänger mochten. Manche Menschen brauchen das für ihr Koordinatensystem. Es gab über den Vocoder Effekt und auch über Autotune schon jede Menge Diskussionen und popkulturelle Statements. Man kann sich an diesem Effekt offensichtlich herrlich aufreiben. Und wenn den Menschen nichts intelligenteres zu unserer Musik einfällt, dann schreiben sie eben darüber.
Eure Tour war ja in vollem Gange, als die Anschläge in Paris passiert sind. Wie geht man damit um, wenn man gerade selber jeden Abend auf der Bühne steht?
Björn: Diese Kombination aus Fußball und Musik, die bei diesen Ereignissen eine Rolle gespielt haben, ist etwas, das uns wirklich unmittelbar betrifft. Das sind unser Leben und unsere Hobbys. Von daher ist uns das ja nochmal näher gekommen. An dem Abend selber haben wir es gar nicht mitgekriegt, uns hat es erst nach dem Konzert jemand erzählt. Gleich am nächsten Tag haben wir in Kiel gespielt und den ganzen Tag Backstage darüber geredet, ob und wie wir darauf reagieren wollen. Ich bin da immer noch sehr zwiegespalten. Ich bin der Meinung, dass es einige Menschen gibt, die das sehr, sehr gut gemacht haben, sehr gute Sachen dazu gesagt haben und das ganz toll in Worte fassen konnten. Ich finde aber auch, nicht jeder der in der Öffentlichkeit steht, muss das auch tun. Es kann auch schlau und elegant sein zu sagen, wir lassen uns davon nicht Angst einjagen sondern machen so weiter wie wir es für richtig halten. Jeder muss ja für sich selber damit klar kommen, da muss man den Leuten auch vertrauen und nicht so tun als bräuchten sie dafür die Hilfe desjenigen, der gerade auf der Bühne steht. Ich bin da sehr hin und her gerissen. An dem Abend danach haben wir dazu eine kleine Ansage gemacht, wollten das aber auch nicht zu einem großen Thema werden lassen. Ich versuche das in meinem Leben auf irgend eine Art und Weise einzubauen, damit umzugehen. Auf der Bühne möchte ich das, glaube ich, weiter außen vor lassen. Das was man dazu denkt und fühlt ist so komplex, dass ich darauf nicht adäquat reagieren kann.
Martin: Ich weiß was du meinst, aber ich finde, man muss das ja nicht ganz weg schieben. Ich finde unsere Musik beinhaltet all diese Komponenten durch eine große textliche Dichte. Diese Themen, Terror, Angst, Bedrohung, Party, das kommt alles vor, deshalb habe ich nicht das Gefühl, ich muss das auf der Bühne trennen. Ich denke auch darüber nach, wie das für Menschen ist, die vielleicht mit Angst her gekommen sind. Ob sie sich jetzt vielleicht schon entspannt haben, ob es ihnen im Lauf des Abends noch gelingen wird. Eigentlich bin ich froh, dass wir jetzt gerade auf Tour sind, weil wir dadurch die Gelegenheit haben, ein non verbales Zeichen zu setzen, dass unser Lifestyle zwar beschossen wurde aber nicht zur Frage steht.
Interview: Gabi Rudolph
Fotos: Markus Werner